Zugegeben, es wird Zeit, dass ich mich retour melde. In Hellas Fuss zu fassen hat meine ganze Energie gefordert, als rundum gelungen würde ich das Unterfangen dennoch nicht klassifizieren. Immerhin sehe ich mittlerweile aus dem Bett ohne Verrenkungen die Akropolis.
Ist ja generell so, dass man in dieser Stadt kaum zehn Minuten spazieren kann, ohne über geschichtlich Relevantes zu stolpern. Doch von zuhause dieses phantastische Bauwerk zu sehen erschien mir seit dem ersten Besuch der Stadt in den neunzehnhudertsiebziger Jahren als höchstes Glück. Und nein, es soll hier nicht um so offensichtliche Monumente wie den Parthenon gehen. Zu vordergründig und viel zu weit in der Vergangenheit verortet. (Grässliches Wort, hier scheint es aber herzupassen)
So weit zurück zu gehen ist gar nicht notwendig, nachdem sich Athen in den eineinhalb Jahrtausenden seit dem Ende des Imperium Romanum kaum verädert, und wenn, dann eher zu seinem weniger beeindruckenden verändert hat, ist es dafür im zwanzigsten Jahrhundert so richtig drunter und drüber gegangen.
Spätestens als sich auch das Osmanische Reich langsam aber sicher in die Bedeutungslosigkeit verabschiedete haben sich griechische Bürger des untergegangenen Reiches bemüssigt gefühlt, die neue alte Hauptstadt mit ihrer Anwesenheit zu bereichern, anfangs durchaus eher vermögende. Dass Griechenland darüber hinaus einen König zu bieten hatte und damit alles, was dem Europäer wichtig war, hat sicher auch nicht geschadet, selbst wenn der ein Bayer war. Sofern man über das nötige Selbstbewusstsein und finanzielle Potenz verfügte baute man sich sein Herrenhaus möglichst nahe des königlichen Palastes.
So wie Andreas Syngrou, der aus einer alteingessessenen chiotischen Reeder- und Händlerfamilie stammte, die nach einem ausgesprochen unglücklich gelaufenen Aufstand gegen die Türken flüchten musste. Und zwar ausgerechnet nach Konstantinopel vulgo Istanbul wo er sich auch niederliess. Die Geschäfte liefen weiter blendend, offensichtlich wurden Griechen doch nicht so diskreminiert wie christliche Eiferer oft behaupten, Syngroy heiratete in die Familie Mavrokordatos ein, die waren nicht nur im Auftrag des Sultans unterwegs gewesen sondern obendrein 1699 von SKH Leopold I in den Reichsgrafenstand befördert worden. Beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit also.
Kinderlos geblieben siedelten die Eheleute Syngroy nach Athen um und beauftragten den Hofarchitekten Ernestos Ziller mit dem Entwurf ihres Stadthauses standesgemäss neben dem königlichen Anwesen am Syntagma Platz. Und nachdem Syngroy in Griechenland erfolgreich ins Bankgeschäft eingestiegen war fiel es ihm leicht sowohl die Fertigstellung des Kanals von Korinth als auch den Bau des Boulevards vom Palast hinunter ans Meer sowie mitzufinanzieren. Der seinem Namen auch heute noch Ehre macht.
Wie übrigens auch jenes Spital, welches sein dann leider schon Witwe an den Gestaden des Ilissos in Pagkrati errichten liess. Interessanterweise ist es seit damals – unter anderem – auf die Behandlung von Haut- und Geschlechtskrankheiten spezialisiert, warum auch immer. Marschiert man das klassizistische Hospitalsensemble entlang bergan fallen, kurz bevor man die Chios Strasse überquert, unweigerlich ein paar Gebäude auf, die nicht ins architektonische Einerlei passen wollen. Es sind dies Zeugen einer weiteren – von erstaunlich zahlreichen – Zeiten, in denen Griechen aus ihren Heimaten rund um Ägäis und Schwarzes Meer ihr Heil in der Flucht suchen mussten.
Insbesondere die Neunzehnhundertzwanziger Jahre brachten tausende Neoathener von eher weit her, an der Art der Bauten erkennt man unschwer, ob sie organisiert beherbegt wurden oder sich eher spontan in Form von unbürokratischer Selbsthilfe ein Dach über dem Kopf besorgen konnten. Mit etwas Glück, Geld und guten Beziehungen konnte man eine Wohnung in einem der Bauhaus-artigen, dreigeschossigen Häusern finden wie sie rund um die U-Bahnbaustelle zwischen König Alexander Boulevard und John Kennedy Strasse stehen. Biegt man von der Tzon Kennenty (sic!) in die Michail Karoli ab – ob die nach dem Krautrocker benannt ist konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, aber immerhin ist er an einem 17. November gestorben – fallen unweigerlich die meist mehr als baufälligen, eingeschossigen Steinhäuser auf. Auch die verdanken ihre Entstehung dem drängenden Wohnungsbedarf kleinasiatischer Flüchtlinge. Der eine oder andere dürfte Karriere gemacht haben, jedenfalls finden sich selbst anwaltliche Kanzleien in den einstigen Notunterkünften.
Jene, welche eine „gebaute“ Unterkunft ergattern konnten waren die privilegierten. Die meisten waren froh, in einem jener Zelte Unterschlupf zu finden, die rund um die, ebenfalls notdürftig zusammengeschusterte Kirche Aghos Nicholaos, aufgeschlagen waren. Im Laufe der neunzehnhundertzwanziger Jahre kamen sie an, geflüchtet aus einer bis zu Elevtheros Venizelos fataler Zuneigung zur „megali idea“ eines Grossgriechenlands beiderseits der Ägäis friedlich koexistierenden Heimat für Türken, Griechen, Juden und Armenier. Welchem der Zerfall des Osmanischen Reiches und die Gier der Sieger des ersten Weltkrieges ein grausames Ende bereitet hatte, genau wie der Regentschaft König Konstantins. Und so begaben sich in Kleinasien Hunderttausende auf eine Reise ins Unbekannte.
Deren Geschichte hält man beim lokalen Fussballverein Mikriasiatikos Kaisarianis in Ehren, das Klublokal ist mit Schwarzweissphotos der Vertreibung der Griechen aus Smyrna und dem damit einhergehenden katastrophalen Grossbrand der Stadt dekoriert. Dass man sich nicht unterkriegen liess kann man nebenan am Portal der „Near East Foundation“ sehen, das blickt selbstbewusst neoklassizistisch auf die „Strasse des Nationalen Widerstands“. Wobei man ihm ansieht, dass die Verbindung in die asiatische Vergangenheit nicht mehr ganz so prächtig ist, zumindest was die Facade angeht. Im Kontrast dazu gibt sich die Hinterseite des Stadions durchaus zukunftsorientiert, hier findet sich eine Volksschule mit direktem Zugang in den weitläufigen Park des Alsos Kaisariani. Von wegen in Athen gibt´s keine Grün!
Fortsetzung folgt…






