homolka_reist

unbekannt, ewig, (kulturhaupt-) stadt!

Um ein Haar wäre in Matera endgültig das Licht ausgegangen, jetzt stossen die Höhlenmenschen mit ihren Gästen auf eine gemeinsame Zukunft an.

„Matera war eigentlich die längste Zeit niemandem ein Begriff, nicht mal in Italien, außer vielleicht ein paar über Fünfzigjährigen. Wir mussten in der Schule „Jesus kam nur bis Eboli“ von Carlo Levi lesen, da ging es nämlich um die unerträglichen Lebensumstände der Menschen hier die noch in Höhlen hausten“ erzählt Gaetano Ricci aus seiner Jugend. Und gibt zu, dass er seinen Eltern immer noch dankbar ist, ihn damals von hier weggebracht zu haben. „Manchmal haben wir die Großeltern besucht, ich konnte es kaum glauben, dass die sich gegen die Delogierung wehrten und nicht in die neuen Häuser außerhalb der Altstadt ziehen wollten. War nicht gerade fein bei ihnen zu Hause!“

Mittlerweile kommt er aber gerne auf Besuch nach Matera, von Taranto herauf, wo er die Pension nach seinem Leben als Postoffizial am Meer genießt. Wir treffen ihn im Café Vittorio Veneto am Corso in der neuen Stadt wo er sich mit einem alten Freund zum Affogato verabredet hat, der konzentriert-süditalienischen Version eines Eiskaffes. „Auch wenn mir Matera nie abgegangen ist und ich heute noch lieber am Meer als hier oben in der kargen Murgia lebe muss ich zugeben, dass ich froh und auch ein Bisschen stolz bin wenn ich sehe wie sich meine Heimatstadt, quasi in letzter Minute, gemausert hat!“

Weil eigentlich sollte ja genau jenen beiden Ortsteilen, Sassi Caveoso und Sassi Barisano, welche ausschlaggebend dafür waren, dass die Unesco 1993 Matera zum Weltkulturerbe erklärt hatte, schon damals längst geräumt gewesen sein. Denn nachdem 1948 die Stadt von der Malaria heimgesucht worden war konnte auch die Regierung nicht mehr wegschauen und begann mit der Umsiedlung der Bewohner in neu errichtete Wohnblocks am Stadtrand. Die Höhlen selbst wurden gesperrt und verstaatlicht, viele gaben auch ihre eigentlich nur aus Fassaden bestehenden Häuser auf, den Rest erledigte das Erdbeben von 1980. Dieses erregte allerdings auch die Aufmerksamkeit geschichtsinteressierter Menschen in aller Welt, woraufhin Mittel aufgetrieben werden konnten um dieses einzigartige Kulturdenkmal zu sichern und sanieren. Haben damals viele kritisiert, rausgeworfenes Geld sei das, hat sich aber, wie man heute feststellen kann, bezahlt gemacht.

Auch für Enzo Montemurro übrigens, der neben seinem Hauptberuf als Beamter in der Gemeinde nicht nur als Fremdenführer seine Begeisterung für die unterirdische Geschichte seiner Heimatstadt teilt sondern sich auch zum Hotelier aufgestiegen ist. Er hat ein paar Höhlen die einst als Mönchszellen eines Klosters dienten adaptiert, wie in Italien nicht anders zu erwarten ausgesprochen stilvoll, sie würden es ohne weiteres in jede Einrichtungszeitschrift schaffen. Selber wohnt er gleich nebenan in einem Haus das der Familie seiner Frau gehörte, seine eigene Omi hat unten zwischen jenem Felshügel, der schon in etlichen Filmen den Berg Golgota gab, und dem Langobardenfriedhof gelebt. „Ich habe oft mit meinen Freunden dort gespielt, obwohl es eigentlich streng verboten war“, schwärmt Enzo von seiner abenteuerlichen Kindheit, „und natürlich haben wir sämtliche Höhlen gründlich inspiziert, immer auf der Suche nach einem Schatz!“

Was nach einem typischen Bubentraum klingt ist gar nicht so weit hergeholt in einer Stadt die eine der ältesten unserer Erde ist. Schon vor zehntausend Jahren haben die ersten Menschen in den Höhlen Quartier genommen, da hatte selbst Jericho auch noch keine Mauer. Es folgten Griechen, Römer, Langobarden, sowie ein kurzes Gastspiel der Sarazenen. Um das Jahr Tausend übernahmen Normannen das Regiment und machten Matera zum Königssitz, Anjou, Staufer und Aragonesen beließen es dabei, eine echte Erfolgsgeschichte. Man war stets stolze Provinzhauptstadt, recht unabhängig, und wollte sich ein dahergelaufener Adeliger wie der Napolitanische Graf Tramontano zum Herren aufschwingen machte man ihn umgehend einen Kopf kürzer. Auch den Nazis stellte man sich mutig entgegen, die wollten den ganzen Haufen sprengen, mussten sich aber schließlich mit der Erschießung von 12 Geiseln zufrieden geben. Selbst von der eigenen Regierung ließ man sich, wie oben erwähnt, nicht vertreiben, my cave is my castle sozusagen.

Und nun also Europäische Kulturhauptstadt, da ist das große Geschäft doch geradezu vorprogrammiert, oder? „Wir wollen eigentlich gar keine Touristen hier“ wiegelt überraschender Weise Bürgermeister De Ruggeri ab, „jedenfalls nicht jene, die nur auf einen Sprung vorbeikommen, die Identität des Ortes nicht respektieren sondern eigentlich zerstören!“ Und nur, wie Salvatore Adduce, Präsident der Matera Basilicata 2019 Foundation ergänzt, „eilig den Palombaro Lungo besichtigen, im Gehen das berühmte Brot kosten und schließlich ihren Plastikmüll zurücklassen!“ Dementsprechend steht das Jahr unter dem Motto „Insieme“, mit Gästen und Freunden will man sich dem Slogan „Open Future“ widmen, „denn nur gemeinsam und mit der nötigen Offenheit kann man die Zukunft gestalten“, da sind sich die Beiden einig, in zehntausend Jahren Vergangenheit hat man wohl auch etwas Erfahrung in Sachen Zukunft sammeln können.

Was diesen Palombaro anlangt hilft mir Enzo auf die Sprünge, ist nämlich genau sein Thema, der riesige Wasserspeicher unter der Piazza. Wiederentdeckt wurde er erst, als man Anfang des Jahrtausends dort eine Fußgängerzone eingerichtet hat, die Piazza Vittorio Veneto ist so etwas wie der Verkehrsknotenpunkt der Stadt. Am obersten Rand des Flusstals balancierend, die neue Stadt im Rücken, rechts und links hinunter geht es zu den Sassi Barisano und Caveoso, gerade aus am Grat lang gelangt man zu Dom und Uni die über der Altstadt thronen.
Interessanter Weise wurde diese Wasserversorgung, welche das Zusammentreffen des Apulischen Karsts mit dem Lehm der Basilikata nutzt, um den Regen des Winterhalbjahres und einer Quelle auf einem nahen Hügel zu sammeln, erst im neunzehnten Jahrhundert errichtet. Offensichtlich haben die Römer zu ihrer Zeit in Matera nichts zu sagen gehabt, die hätten das geologische Phänomen nämlich schon viel früher zu nutzen gewusst.

Weil ihnen anscheinend guter Rat zu teuer war mussten die sparsamen Einheimischen noch zwei Jahrtausende länger täglich hinunter zur Grevina pilgern und kübelweise das frische Wasser in ihre Behausungen schleppen. Vielleicht sind auch ein paar Tropfen für Körperpflege abgefallen, übertriebene Hygiene war aber sicher nicht angesagt. Enzo erklärt mir in einem der für interessierte Besucher liebevoll wiedererweckten Sassi die Raumaufteilung, „ganz vorne hast du Koch. Ess- und Schlafplatz, meist im gleichen Zimmer, ein paar Stufen tiefer lebten die Tiere, ganz unten und schon tief im Fels siehst du die Cantina, da haben sie Wein und Käse gemacht und gelagert. Bei meiner Nonna hat´s genau so ausgesehen, nur kleiner!“ Die Omi hatte nämlich nur Ziegen und weder Felder noch einen Weinberg. Schade eigentlich, weil sowohl Matera Rosso und Greco als auch die regionalen Kuhmilchkäse einen hervorragenden Ruf genießen. Und das Brot aus Matera ist sowieso das einzige in Italien das sich mit einer geschützten Herkunftsbezeichnung schmücken darf.

Um dem kulinarischen Erbe auf den Grund zu gehen schickt uns Enzo zu Ilaria in die „Keiv Bar“. Nicht nur der Humor, mit dem sie die italienische Aussprache englischer Wörter nutzt, um ihrer Trattoria einen einprägsamen Namen zu geben zeichnet sie aus, auch die Speisekarte voller Erklärungen der Spezifika Materas landwirtschaftlicher Produkte kann begeistern. „Die Menschen hier waren immer arm, sonst hätten sie ja nicht in Höhlen gelebt. Das fruchtbare Land rundum gehörte einigen wenigen Großgrundbesitzern, also haben sie gelernt zu nutzen, was ohne großen Aufwand zu ziehen war.“ So findet man reichlich Hülsenfrüchte und Bohnen in der Küche, Fleisch und Milchprodukte kommen vom Podolica Rind, „das ist die ursprünglichste Rasse die man in Europa findet, die Tiere sind wohl im Zuge der Völkerwanderung mit den Menschen aus dem Osten eingewandert“ stellt Ilaria auch gleich das Wappentier von Matera vor. Diese Rindviecher sind genauso genügsam wie die Menschen hier im Süden, auch sie kommen mit dem Wenigen klar, was im karstigen Hochland auf 400 Metern Seehöhe wächst. Der, ebenfalls uralte, Grano Duro Buchweizen etwa aus dem auch das Mehl fürs schmackhafte Brot gemahlen wird. Wie so oft zeigt sich auch da wieder mal, dass Menschen genau dann die größten Kulturleistungen erbringen, wenn die Voraussetzungen eigentlich gar nicht so günstig sind. Und das gilt natürlich nicht nur für die Küche!

www.guidamatera.com
www.matera-basilicata2019.it/en
www.bbalconvento.it
www.keivmatera.com/

Dieser Beitrag wurde am 2019/02/01 um 11:46 veröffentlicht. Er wurde unter basilikata, italien, matera, SALZBURGER NACHRICHTEN abgelegt und ist mit , , , , , , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: