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auferstehung

Mit Matera ist dieses Jahr ein Ort Europäische Kulturhauptstadt der nach Jahrtausenden durchgehender Besiedlung schon kurz vor dem Aussterben stand

Man kennt ihn, diesen Hügel mit dem Kreuz darauf, jeden Falls als Cineast mit Hang zum Historischen. „Ich war hier immer wieder meine Omi besuchen“ erinnert sich hingegen Enzo Montemurro, „war immer sehr spannend, in den Höhlen und Ruinen rund um ihr Haus herum zu spielen!“ Und übrigens ab 1968 verboten, was natürlich einen Ragazzo aus dem Süden nicht wahnsinnig beeindruckt. Doch auch die Omi hat das Angebot in eine der Sozialwohnungen oberhalb des Flusstales ziehen irgendwann angenommen. Womit die zehntausend Jahre lange Geschichte der durchgehenden Besiedelung von Sasso Caveoso, der Höhlen von Matera zu Ende ging. Beinahe jeden Falls.

Begonnen hatte sie in der Jungsteinzeit, auf der gegenüberliegenden Seite des tiefeingeschnittenen Tales der Gravina zu der die Menschen bis ins letzte Jahrhundert täglich hinunter steigen mussten um ihren Trinkwasserbedarf zu decken. Auch war es wohl dieser Grenzfluss zwischen Apulien und der Basilikata, der ihnen den Weg vom Golf von Taranto herauf zu dieser perfekt geschützten Siedlung gewiesen hatte. So perfekt, dass sie Matera nie wieder verlassen mussten und so mit Jericho zu einer der ältesten durchgehend besiedelten Stadt der Welt machten. Das Buch „Jesus kam nur bis Eboli“, in dem Carlo Levi 1944 die Lebensumstände der Menschen in den Sassi beschrieb, und eine Malariaepidemie kurz drauf hätten dem allerdings beinahe ein Ende gemacht. Matera, wo die Menschen noch in Höhlen lebten war die Schande Italiens, die Bewohner wurden in neu errichtete Sozialwohnungen umgesiedelt, ihre Behausungen im Gegenzug enteignet, dem Verfall preisgegeben, den Rest erledigte das Erdbeben von 1980.

„Ich bin ja froh, dass schon meine Eltern in den 50er Jahren weggezogen sind“ gesteht Gaetano Ricci und genießt seinen Café Affogato im Café auf der Piazza Vittorio Veneto. „Wir sind nach Taranto gezogen, ans Meer, so wie man sich Italien gemeinhin vorstellt, damit wir Kinder gesund aufwachsen, hat die Mama entschieden. Und ich war ihr immer dankbar dafür. Doch jetzt, als pensionierter Postbeamter, komme ich allerdings gerne immer wieder auf einen Sprung hierher, treffe alte Freunde und Verwandte und staune darüber, wie sich Matera gemausert hat. Bis vor zehn Jahren kannte es keiner, außer ein paar über 50 Jährigen, die Levi in der Schule lesen mussten. Und nun gibt es sogar ein Luxushotel in der Stadt!“ Was für Einheimische immer noch überraschend sein mag erklärt sich ausschließlich aus dem Gemeinderatsbeschluss sich als Europäische Kulturhauptstadt zu bewerben. Auch wenn Matera lange schon Provinzhauptstadt ist und rundherum kleine Industriebetriebe angesiedelt wurden so war es doch nie leicht hier unten im Süden sich wirtschaftlich über Wasser zu halten.

A apropos Wasser: gerade eben ist Enzo am Weg zu seinem Dienst im Palumbaro Lungo vorbeigekommen, der größten Zisterne der Stadt. Die wurde erst vor 20 Jahren entdeckt, als man die Piazza Vitorio Veneto fußgängerfreundlicher machen wollte, immerhin treffen hier etliche der Treppen, die von der Höhlenstadt herauf führen auf die mehr oder weniger neue Stadt. Die wurde im frühen 19. Jahrhundert modernisiert, seither treffen sich hier Via del Corso, Via Roma und Via XX Settembre, ganz so wie es sich für das junge Italien gehörte. Und weil hier oben am Rand der Schlucht des Grevina zufällig der apulische Kalkstein auf den Lehm der Basilicata trifft hat man dieses geologische Geschenk kurzerhand genutzt um ein riesiges Speichersystem aus dem Fels zu schnitzen von dem aus das lebensnotwendige Wasser schwerkraftgetrieben den gesamten Ort versorgen konnte. Schon interessant, dass es Jahrtausende gebraucht hat in denen die Menschen täglich hinunter zum Fluss mussten, bis sie auf diese Idee gekommen sind. Dafür haben sie auch schnell wieder drauf vergessen, kann jetzt nicht mehr passieren, Enzos Begeisterung ist ansteckend, wenn er in den riesigen Steinkathedralen sein Matera in typisch italienischer Nüchternheit auferstehen lässt.

Noch etwas hat er wiedererweckt, und auch da zeigen sich jener Stil und Begeisterung die man sich in Bella Italia gemeinhin erwartet. „Certo, die Höhlen von Matera gehören alle dem Staat, aber die Häuser, welche im Laufe der Jahrhunderte davor errichtet wurden, sind privat. Dieses hier war einst Teil eines Klosters, meine Familie hat es gekauft und wir haben es zum Gästehaus umgebaut. Komm weiter!“ Wir befinden uns jetzt etwa achtzig Höhenmeter unter der Piazza in Sasso Caveoso, einem der beiden historischen Stadtviertel, nach Sasso Barisano wäre es links hinunter gegangen, auf dem Grat dazwischen balancieren ein paar Palazzi und ganz oben der Dom. Von dem aus sieht man auch hinunter auf den „Convento“, eine von vielen dicht gedrängten alten Hausfassaden, interessant wird es allerdings aus der Nähe. Denn das eigentliche Gebäude ist außen nur ein paar Meter tief, innen hingegen reichen die Räume in den Fels, durch eine kreisrunde, im Boden des Bades eingelassenes Glasscheibe sieht man in ein beleuchtetes Loch, „das ist eine der vielen Zisternen, die man hier einst nutzte, man sieht noch die Einschnitte vom Seil mit dem man den Wassereimer hochgeholt hat“ erklärt Enzo die historische Funktionsweise. Auch die zahlreichen aus dem Fels geschürften Ablagen hat er feinsäuberlich konserviert während alle modernen Einbauten aussehen wie aus einer italienischen Einrichtungszeitschrift. Die Zimmertür direkt auf die Gasse lasse ich nachts wegen der Frischluft angelehnt, außer ein paar flirtenden Katzen und klingenden Gläsern vom Nachbarn ist nicht viel zu hören, die nächsten Autos sind hunderte Meter entfernt. Und scheinbar auch hundert Jahre.

Und die Stadt wacht auch langsam auf, zumindest hier unten in Sasso Caveoso. Die Sonne braucht etwas länger, bis sie jene Teile Materas erreicht, die im Flusstal liegen, die beste Zeit um ungestört den Genius Loci wirken zu lassen. Auch wenn schon einige Häuser entlang der Hauptstraße revitalisiert sind so liegt doch noch ein Großteil Materas im Dornröschenschlaf, insbesondere der südöstliche Anhang harrt noch seiner Erweckung. Gegen neun Uhr trifft ein Trupp von Archäologen mit einem winzigen LKW ein, sie machen sich an einer Ausgrabung zu schaffen, schließlich wollen die archaischen flachen Langobarden Gräber bis zum Eintreffen der Besuchermassen im Frühling ordentlich präsentiert werden. Schon länger fertig sind zwei Schauhöhlenwohnungen in denen man sich vor Augen führen kann, wie der Alltag hier bis in die Neunzehnhundertfünfziger Jahre ausgesehen hat. Gleich hinterm Eingang eine Wohnküche, ein paar Stufen hinunter der Stall, ganz unten die Cantina, hier wurde Wein gelagert und Käse gemacht. Alles sehr schön hergerichtet aber man kann sich gut vorstellen, dass es weder olfaktorisch noch hygienisch wirklich fein war hier zu leben und versteht Gaetanos Dankbarkeit für den Umzug vor seiner Geburt. Erst recht wenn man weiss, dass er wahrscheinlich als erstes am Morgen Wasser hätte holen müssen, vom Fluss, den man unten in der Talsohle gurgeln hört.

Und nun auch blinken sieht. Denn in der Zwischenzeit haben die Sonnenstrahlen auch die letzten Winkel der Stadt erreich, selbst die Piazza San Pietro und das Kreuz auf jenem felsigen Hügel der spektakulär aus der tiefsten Stelle von Caveoso herausragt und schon so manch historische Rolle gespielt hat, etwa als Golgota. Weil als Filmkulisse haben schon viele tausend Menschen Matera bewundert, sei es in Pier Paolo Pasolinis Matthäusevangelium, Mel Gibsons Letzter Versuchung Christi, natürlich Francesco Rosis Verfilmung von Jesus kam nur bis Eboli oder aber auch Werken wie „Africa-Erotica“. Besonders bei schlechtem Wetter oder in der Dämmerung drängt sich dieser Ort geradezu auf hier schweren Stoff zu drehen, jetzt um die Mittagszeit hingegen eignet er sich auch ganz hervorragend um sich kulinarisch mit der Gegend vertraut zu machen. Das tut man am Besten bei Illaria in ihrer „Keiv Bar“ die, auch wenn sich die stolze Einheimische den kleinen Seitenhieb mit der italienisch ausgesprochenen Cave vulgo Höhle nicht verkneifen kann, in einem ganz normalen überirdischen Haus auf der Piazza San Pietro mit Blick über das Tal zu finden ist. „Wir waren die Ersten, die in der Altstadt eine Trattoria aufgemacht haben, und lange die einzigen, die ganzjährig geöffnet hatten“ erzählt Illaria von den Anfängen. „Funktioniert hat das nur, weil wir erstens an einer hervorragenden Location mit Ausblick sitzen, andrerseits aber weil wir uns dezidiert der lokalen Küche und ihrer Geschichte widmen!“ Und so passen die Kulisse der urzeitlichen Höhlenkirche Santa Maria de Idris e San Giovanni mit ihrem archaischen Glockenturmaufbau und dem markanten Kreuz und den spartanischen Behausungen perfekt zum Menü. Das beginnt, wie es sich für solch karge Gegenden gehört, bei Suppen und Eintöpfen mit Kichererbsen, Bohnen und Hülsenfrüchten, dazu gehört unbedingt das lokale Brot, als einziges in Italien übrigens mit einer geschützten Herkunftsbezeichnung geadelt. Aber auch tierisches Eiweiß liefern die Bauern der Basilikata, wohlschmeckende Käse etwa oder herzhafte Bresaola, beides übrigens von frei lebenden Podolica Weiderindern. „Das ist genau die Rasse, die im Zuge der Völkerwanderung mit den Menschen nach Europa gekommen ist und mit dem kargen Boden zurecht kommt. Immer wieder hat man versucht leistungsfähigere Rassen einzukreuzen, ohne Erfolg. Die Milchleistung ist kaum gestiegen, viel mehr Fleisch ist auch nicht dran, dafür entschädigen die Rinder uns mit einem einzigartigen Geschmack!“

Schaut so aus, als würden sich in Matera weder Tiere noch Menschen so einfach modernisieren lassen, auch Bürgermeister De Ruggeri ist der Stolz anzusehen, wenn er von den zwei Schwestern erzählt, die sich stets geweigert haben ihr Heim zu verlassen und seit ihrer Kindheit in den neunzehnhundertfünfziger Jahren erfolgreich geweigert haben, ihre Höhle aufzugeben. Erst als die UNESCO 1993 Matera Weltkulturstatus zubilligte wurde ihnen öffentliche Hilfe zu Teil, schließlich sind sie ja nun ein Teil davon. Aber genau wie Signore De Ruggeri mit seiner überraschenden Aussage „wir wollen eigentlich keine Touristen“ ausdrückt fürchten auch sie die plötzliche Aufmerksamkeit und halten sich im Hintergrund. „Wir möchten vermeiden, ein Must-See-Stopp zu werden, den man zwar schnell besucht, aber nicht wirklich begreift und dabei auch noch die Identität des Ortes zerstört“ präzisiert der Bürgermeister seinen Wunsch. Genau deshalb steht das Jahr auch unter dem Motto „Insieme“, gemeinsam, und genau so will man es auch begehen. Erstens wurde es schon mal mit kreativen Partnern aus der Basilikata, Italien und ganz Europa erarbeitet und zweitens um den Slogan „Open Future“ erweitert, um so der Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass eine Zukunft Offenheit braucht. Und eben Gemeinsamkeit, um die Menschheit weiter zu bringen. Für Matera ist die Rechnung schon aufgegangen, „wir haben vergangenes Jahr schon vier mal so viele Touristen gehabt wie vor unserer Nominierung zur Kulturhauptstadt, und mittlerweile hat nicht nur meine Familie dank unseres kleinen Hotels unmittelbar etwas davon“ ergänzt Enzo, der nebenher auch noch im Fremdenverkehrsamt der Gemeinde arbeitet. Wenig Profit erwirtschaften werden nur Hotelketten, die finden in Matera einfach nicht Platz, dafür passt das Konzept des „Albergo Diffuso“ hier perfekt, ein Hotel das insofern diffus ist, als es vorhandene Räume zur Beherbergung nutzt. So wie Enzo mit seinem B&B Al Convento eben oder Daniele Kihlgren auf deutlich luxuriöserem Level im Sextantino. Beiden gemeinsam ist das Gefühl Bestandteil der Stadt zu sein, wenn man aus dem Zimmer auf die Gasse tritt, näher wird man einer Europäischen Kulturhauptstadt nie kommen. Fehlt nur noch die Eintrittskarte zu den Ausstellungen und Veranstaltungen, auch keine große Sache, kostet ganze 19 Euro. Und zwar für Alles und das ganze Jahr, auch keine Ausrede nicht hinzufahren also!

www.matera-basilicata2019.it/en/
www.bbalconvento.it/
www.keivmatera.com/

MATERA_PRESSE_SCHAUFENSTER_11.1.2019.pdf

Dieser Beitrag wurde am 2019/03/28 um 12:28 veröffentlicht. Er wurde unter basilikata, DIE PRESSE, italien, matera abgelegt und ist mit , , , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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