Überraschung anderntags, kurz nach Sechs finden die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer, das Fenster musste ich irgendwann einen Spalt öffnen, die Heizung hat es all zu gut mit mir gemeint. Abgesehen von ein paar lustigen Finnen, welche die Melodien aus den Karaoke Bars mit auf den Heimweg genommen haben hört man in der Nacht nichts, etwaigen Verkehrslärm dämpft der Schnee. Von dem, klagen die Einheimischen, sei heuer etwas wenig und selbst der erst spät gekommen, und ob er so lange liegen bleibt wie für gewöhnlich ist auch mehr als fraglich. Der Tag, mein erster in Sirkka, verspricht, wie auch die letzten 10, Temperaturen, die man um diese Zeit am Levitunturi bislang nicht kannte. Rechnet man sonst im März mit minus zwanzig in der Nacht und um die zehn Grad unter Null tagsüber, rechtfertigen die nun herrschenden Plusgrade durchaus die Bezeichnung Hitzewelle für ein Wetter, welches sich von jenem daheim in Wien kaum unterscheidet. Was mich aber mal gar nicht stört, steht doch eine ausgedehnte Tour mit dem Motorschlitten auf dem Programm. Für die habe ich extra lange Unterhosen, mehrere Lagen Langarmleiberl und meine HiTec Colmar Schikombi eingepackt, dicke Wollsocken und meine Loden Steinkogler Winterböcke, dazu ein ausgeklügeltes System von Unter- und Überhandschuhen, noch nie bin ich mit derart umfangreichem Gepäck zu einer 5-Tages-Reise aufgebrochen!
Wäre nicht notwendig gewesen, erstens ist´s, wie gesagt, erstaunlich warm, die Sonne scheint zwar flach aber intensiv vom völlig klaren Himmel, zweitens werden wir in der Verleihstation nur wenige Schritte vom Hotel entfernt neben dem Supermarkt gelegen angekommen in wenig kleidsame doch ausgesprochen praktische Overalls verpackt. Drittens zeigt uns die freundliche junge Instruktorin neben sämtlichen relevanten Details wie Gashebel und Bremsgriff auch die Schalter für die Griffheizung, mitte oben off, links warm, rechts unten barbecue, oder so ähnlich. Ach ja, noch etwas wichtiges wäre zu erledigen: Alkoholkontrolle, ins Röhrchen blasen, angeblich darf man nur mit Nullkommanull ans Steuer, überaschenderweise hat sich der Restalkohol vom Vorabend bis unter die Nachweisgrenze verflüchtigt, auf geht´s!
Ziemlich gefinkelt haben sie hier die Verkehrsführung ausgetüftelt, eine Unterführung vermeidet die Konfrontation mit Radfahrzeugen oben auf der Hauptstrasse, feinsäuberlich getrennt gleiten Langläufer, stolpern Wanderer, tuckern wir Schneemobilisten aus der streng reglementierten Zivilisation hinüber in die kleine Freiheit. Platz ist da ja genug, die den diversen Interessen gewidmeten Wege nehmen Abstand zu einander, links biegen Männer mit grotesk kurzen Angelruten zum dick zugefrohrenen See ab, sie werden noch Stunden später bei unserer Rückkehr regungslos auf dem Eis hocken und ihre Ruten über die, mit professionellem Gerät gebohrten Löcher halten.
Und während die Langläufer klassisch oder im Schlittschuhschritt geräuschlos in die schier endlosen Weiten Lapplands ziehen drücken wir faul den Gashebel und sind blitzartig im ersten schütteren Birkenwäldchen verschwunden. Und auch schon wieder draussen, meist verläuft die Strecke über weite Ebenen, im Sommer sind sie Sümpfe erklärt Mika, weswegen er auf ihnen auch nicht seiner sommerlichen Motorsportalternative auf der Enduro fröhnen kann. Aber gute sechs Monate lang darf man sich dafür auf dem Motorschlitten austoben, so dünn besiedelt, wie das Land hier ist, beschwert sich keiner über die Wilden auf ihren Maschinen.
Wobei eigentlich eine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 Km/H gilt, unsere Geräte sind dank Drosselung mittels Gummipuffer unterm Gashebel auch bei etwa 70 abgeriegelt. Noch. Ich fahre mit Mika nun voraus, um an einer von ihm vorgeschlagenen Geländekante spektakuläre Photos zu machen. Die ist zwar nur etwas über einen Meter hoch, das reicht aber für photogenen Weitblick. Ich verlasse die Piste, um den Nachfolgenden meinen Schlitten nicht als Kollisionsziel in den Weg zu stellen, ziehe einen Bogen hinaus in den unverspurten Schnee, sieht schliesslich alles gleich aus. Doch Schnee ist nicht gleich Schnee, der neben der Piste ist tief, langsam sinke ich ein, versuche die Situation noch mit Beschleunigung noch zu retten, doch die weiche weisse Masse schiebt sich vor dem schweren Motorschlitten auf, nichts geht mehr. Beim Absteigen versinke ich bis über die Brust, einmetervierzig sollen hier durchschnittlich im Winter runter kommen, dürfte stimmen.
„Mach mal deine Photos, den holen wir nachher raus“ quittiert Mika mein betropetztes Gesicht, ich denke gar nicht daran, ihm zu widersprechen, schliesslich ist er der Finne und dürfte solche Situationen zu meistern wissen. Die Karawane zieht vorbei, ja ja, alles in Ordnung, wir kommen gleich nach. Erst mal schaufeln wir den Schneewulst vor und auf den Kufen ein wenig zur Seite, „und jetzt machen wir mal die Drossel raus!“ Mika dreht nur schnell am Gummiding, wirft den Motor an, gibt, neben dem Schlitten stehend, ordentlich Gas, und schon springt mein 400 Kilo schwerer Snowlynx elegant aus dem Tiefschnee auf die Piste. Sieht ganz einfach aus, muss ich auch mal probieren, später dann. Vorerst geniesse ich die volle Leistung, doppelt so schnell wie vorher geht´s nun dahin, 140 behauptet der Tacho. Aber bitte nicht weitersagen.
Mittagspause machen wir an einem kleinen See, natürlich fest zugefrohren, so bleibt das hier mindestens noch bis Juni. Na ja, heuer vielleicht nicht, unsere Führerin bleibt beim Versuch, mir für ein Photo eine dynamisch hingelegte Kurve vor die Kamera zu legen fast stecken, „komisch, so schwer ist der Schnee um diese Jahreszeit für gewöhnlich nicht“, wenigstens müssen wir sie nicht ausbuddeln. In einem hölzernen Tipi brennt schon das Feuer, an dem wir Renntierwürstel und geräucherte Filets grillen und verzehren werden, das heisst, verzehren tu ich sie lieber draussen. Erstens ist die Luft da besser, der Ausblick sowieso, und in der Sonne lässt sich´s echt gut aushalten, frühligshaft geradezu. Sollte es Anfang März eigentlich nicht, ich weiss, aber mir soll´s Recht sein, mir ist Frühlingsschilauf auch lieber, als das elende Frieren zu Weihnachten, und hier und jetzt spielt es gerade genau meine Lieblingsversion von einem Winter!
Auch den Elchen gefällt, dem Vernehmen nach, solch wohlig warmes Wetter, zumal die Bullen bei der Brunft im Herbst erheblich an Gewicht verlieren, und so Gefahr laufen, während der Wintermonate zu verhungern, da sieht man wieder, wie sehr der Geschlechtstrieb den Männern zusetzen kann. Als Konzentratselektierer sind die der Unterart der Trughirsche zugehörigen Wiederkäzer auf Energiereiche Nahrung angewiesen, die in Form von jungen Trieben nun wieder an die Luft trauen. Und weil Alces alces der einzige Hirsch ist, welcher auch unter Wasser äsen kann, wo seine Natriumhaltige Lieblingsnahrung prächtig gedeiht, freut er sich schon besonders auf die ersten freien Tümpel. Bis es soweit ist wird´s aber, wie wir gehört haben, noch ein Bisserl dauern, bis dahin durchstreift er sein ihm bekanntes Teritorium, im Winter bescheidet er sich mit 200 Hektar, weitet es im Sommer auf bis zu 1500 aus, die er trotz der Grösse eher einzelgängerisch begrast. Diese raumgreifende, misantropische Lebensweise dürfte auch der Grund dafür sein, dass wir, selbst beim Patroullieren auf dem Motorschlitten, nicht einen einzigen dieser riesigen Paarhufer getroffen haben, auch den meisten Einheimischen ist er nur von unerfreulichen Wildunfällen auf der Landstrasse persönlich bekannt.
Aber natürlich will sie jeder sehen, besonders die Touristen, nicht umsonst klebt auf dem Heck jeden Fahrzeugs, das es aus Europa in den hohen Norden geschafft hat, ein Aufkleber in Form der typischen Silhouette. Marktlücke also, die man hier heroben unbürokratisch mkit dem Einsatz eines Hubschraubers füllt. Der wartet ganz bescheiden am Parkplatz der Liftstation der Gondoli 2000, zwischen einem alten Mercedes und dem Ford Transit, der offensichtlich als Basis dient, auch Captain Pekka Gast hat nichts an sich, was an cooles Pilotengehabe a la Magnum erinnern würde. Braucht er auch gar nicht, locker fädelt er das blitzblaue Fluggeraät zwischen den Laternenmasten aus, lässt den Heli nach rechts kippen, so dass man gleich mal den Eisfischern am Immellopola See ins Loch lugen kann, nein, bei dem Lärm beisst nichts.
Wir sind aber ohnehin auf der Suche nach grösseren Exemplaren der finnischen Fauna, Pekka fordert uns auf, nach den Elchen Ausschau zu halten, man findet sie angeblich leicht. Ja, von hier oben schon, bald entdecken wir verräterische Spuren im Schnee, folgen ihnen, und entdecken ein Päärchen, das sich im Wald zu verstecken gedenkt. Nun, panisch wie die Viecher sind laufen sie auf der anderen Seite des blattarmen Birkenbüschels wieder heraus, ihr, im Sommer wohl zur Tarnung geeignetes Fell macht sie auf Schnee schön sichtbar, und mit so einem mächtigen Geweih am Schädel kann man sich hinter den schmalen Stämmen sowieso nicht so einfach unsichtbar machen. Pekkas Charakter wechselt im Minutentakt zwischen Jagdinstinkt und Rücksichtnahme, nach wenigen Minuten lässt er den jeweils ausgespähten Tieren wieder ihre Ruhe, schnell entspannen sie sich, die knatternden Aussichtsplattformen gehören wohl auch für die animalischen Ureinwohner schon zur natürlichen Umwelt.