Ich gestehe, als Anhänger der Britisch Orthodoxen Glaubenslehre irritiert auf den Verkauf des 1884 von Fredrik Henry Royce gegründeten und 1907 zur Rolls Royce-Ltd. fusionierten Fahrzeugherstellers an die Bayrischen Motorenwerke gewesen zu sein. Oder „not amused“, wie Ihre Majestät, die Königin sich dem Vernehmen nach auszudrücken pflegt, welche übrigens ab und an mit meiner Mutter selig verwechselt wurde, beziehungsweise vice versa, jedenfalls in Japan.
Prägend für meinen Hang zu Britischen war wohl mehr noch Onkel Bill, zu ihm nach Schottland hatte man mich in der Pubertät geschickt, um, unter anderem, die Verwendung der englischen Sprache zu perfektionieren, eine charmante wiewohl etwas abwegige Idee meines Vaters, ganz so, als würde man einen jungen Mann nach Vorarlberg schicken, um Deutsch zu lernen. Doch von Sir William Hamilton, Direktor des Queen Mum Hospital for the Sick Child, konnte man nicht nur einwandfreies Englisch lernen, noch beeindruckender war der feine Stil, den er stets an den Tag legte, nie sah man ihn ohne seinen perfekt geschneiderten Dreiteiler, selbst bei der Gartenarbeit trug er Krawatte zum weißen Hemd, auch wenn er dann den Rock ablegte und die Ärmel drei mal akkurat umschlug.
Eines schönen Sonntag Nachmittags kam ich zur Ehre und dem exquisiten Vergnügen eben diesen Wagen zu fahren, einen Rolls Royce Silver Dawn aus dem Jahre 1953, der neckischer Weise über eine Anhängerkupplung verfügte, die Hamiltons erkundeten nämlich gerne den Kontinent, als Schotten gaben sie ungern unnötig Geld für schlechte Hotels aus. Auch dass er Rolls fuhr begründete Sir William mit ökonomischer Vernunft, er war sicher, nie wieder mehr einen Wagen anschaffen zu müssen, die laufenden Kosten seien minimal, Reparaturen die Ausnahme.
Das war´s auch schon mit der Anamnese meiner britischen Krankheit, was ich sonst noch in dem schottischen Sommer lernte waren Sanftmut und Toleranz, Bill hätte die Übernahme der Traditionsfirma von seiner Insel wohl mit dem Hinweis quittiert, besser, die fähigsten Ingenieure beider Welten konzentrierten sich darauf, nicht mehr und nicht weniger als das beste Auto der Welt zu erschaffen, satt wie früher im Dienste der Rüstungsindustrie gegeneinander zu arbeiten und so auch gleich den Nachweis geführt, welch kardinale Bedeutung das Projekt für die Europäische Integration habe.
Und nun, dreißig Jahre nach der Bekanntschaft mit Bills Silver Dawn, den mittlerweile seine Enkel durch die Highlands chauffieren, ereilt mich die ehrenvolle Aufgabe, der Präsentation des Nachfolgemodells in Südafrika beizuwohnen. Das Silver ist aus der Typenbezeichnung verschwunden, darüberhinaus auch das Stahldach, statt diesem wartet nunmehr ein erfreulich anachronistisches Stoffverdeck unter einem gediegen geschreinerten Teakholzdeckel auf seinen Einsatz. Ich hoffe doch, nicht darauf zurückgreifen zu müssen, das Wetter am Kap sollte jetzt im Herbst ja eigentlich perfekt zum Drophead Coupé passen. Durch die Weinberge über Stellenbosch zieht dann doch ein kühles Lüfterl, als Richard Carter, Director of Global Communications stolz das jüngste Baby präsentiert, dessen edle Linien auf dem Rasen vor den rot im Sonnenuntergang glühenden Bergen majestätisch zur Geltung kommen. Warum dem so ist erklärt gleich darauf Design Chef Giles Taylor, erstmals bei einem Royce unterstreicht die freihändig aufgetragene Beschnittlinie nämlich eine nach vorne geneigte Gürtellinie, was dem Dawn einen wesentlich dynamischeren Charakter verleihe, als seinen behäbigen Geschwistern. Zärtlich streicht er dann über das straff gespannte Stoffdach, nicht nur, dass es dank üppigster Fütterung im geschlossenen Zustand beinahe geräuschlosen Passagierkomfort gewährleiste sei bemerkenswert, vor allem auf die formvollendet gezogene Dachlinie ohne Knick ist er stolz, da hätten seine Ingenieure lange daran zu basteln gehabt.
Nun, das Dach interessierte am nächsten Morgen kaum Einen, strahlend blauer Himmel wölbte sich stattdessen über den vor dem Delaire Graff Estate im Spalier wartenden Dawns, ihre einladend weit geöffneten hinten angeschlagenen Fahrertüren saugten die begierigen Testfahrer gleichsam ein. Netter Weise schließen sich die Tore auf Knopfdruck, rasten satt ein, dem Wagen muss man auch nur per Knopfdruck mitteilen, ob man vor oder zurück fahren will, alle anderen Sorgen nimmt einem ein Royce definitionsgemäß ab, „effortless“ muss die Fortbewegung erfolgen, ohne jede Anstrengung. Tut sie auch, selbst wenn der Wagen in Realität dann doch wesentlich massiver ausfällt, als er auf den Photos wirkt, setzt er sich mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit in Bewegung, Leistung ist schließlich immer schon ausreichend vorhanden, wie Rolls Royce stets versicherte, konkrete Zahlen zu liefern widerstrebte dem Geiste britischen Understatements, heutzutage können Sie, wenn´s denn unbedingt sein muss, die Zahl sicher irgendwo nachlesen. Dort steht dann wohl auch geschrieben, über wie viele Übersetzungsstufen das Automatikgetriebe verfügt, so unmerklich wie diese ihre Arbeit erledigen kommt nicht das geringste Interesse an banalen Details auf, sind sicher auch genug, sie wechseln ohne jeden auch noch so kleinen Ruck.
Überhaupt fällt es nicht leicht, irgendwelche Auffälligkeiten zu berichten, ein Royce stellt sich einem perfekten englischen Butler gleich untertänigst in den Dienst seines Chauffeurs, zumal wenn dieser, wie im Falle des Dawn ausschließlich zu erwarten, in Personalunion auch der Eigner ist. Ganz generell ist der gewöhnliche Rolls Royce Kunde ja wesentlich jünger als früher, beim Dawn darf er sich auch endlich dynamisch seiner Umgebung präsentieren, schüchterne Snobs werden in ihm wohl weniger anzutreffen sein. Der Wagen befördert extrovertierte Lebensfreude, gerne auch mit Freunden genossen, man fühlt sich hinten geborgen und umsorgt, der Platz ist geradezu demokratisch fair verteilt, genau wie die Aussicht auf die phantastische Landschaft am Kap, die draußen entspannt vorbeigleitet, als wäre sie ebenfalls von akribisch arbeitenden Designern entworfen. Dass die Passagiere keinen Grund haben, sich über womöglich ruckartige Fahrweise ihres Chauffeurs zu beklagen, hat übrigens auch wieder mit einer kleinen Finesse zu tun, welche die Ingenieure ausgetüftelt haben. In der Hitze des Gefechts belästigt man seine Passagiere ja manchmal mit, von einer erratisch hochschaltenden Automatik verursachten Bremsmanövern, im Dawn verhindern dies Informationen vom Sateliten, der Wagen weiß also schon vor dem Fahrer, wohin der Weg führt, dementsprechend vorausschauend gestaltet er die Schaltvorgänge. Und man bekommt wieder mal gar Nichts davon mit, nicht als Fahrer, und schon gar nicht die Passagiere, da bleibt der Champagner wo er hingehört, auch wenn James heute ausnahmsweise mal frei hat!
Klingt beinahe langweilig, diese Perfektion, ist sie aber ganz und gar nicht, sondern einfach nur sehr angenehm, macht einen vielleicht sogar zum besseren Menschen, man muss ja nichts beweisen, nicht sich selbst, den Anderen schon gar nicht. Oder doch? Natürlich, gewissenhaft, wie so einen Test durchzuführen wir als unsere Verpflichtung verstehen, steht abschließend ein selbstlos durchgeführter Fahrversuch auf dem Programm, der so banale Eigenschaften wie Straßenlage und Kraftentfaltung jenseits des Cruisens auf den Grund gehen soll. Zufällig eignet sich der letzte Abschnitt unserer Route als dafür geradezu prädestiniert, fünfzehn Kilometer malerische Küstenstraße vom Feinsten durch einen Nationalpark, flüssig schmiegen sich die Kurven an den Abhang, unverbaut und weit und breit kein Mensch, über die Berggipfel schieben sich langsam dunkle Regenwolken während vom Atlantik her die letzten Strahlen der Abendsonne die Szenerie klar ausleuchten. Zeigte die, statt einem Drehzahlmesser im Armaturenbrett wohnende Leistungsanzeige bislang stets eine Reserve von über 80 Prozent an, darf der Dawn nun ein wenig mehr davon nutzen, wie viel genau entzieht sich meiner Kenntnis, ein beherzter Tritt aufs Gaspedal führt zu umgehender Beeinträchtigung des Gesichtssinnes, die brachiale Beschleunigung sollte auch zur Plattenverschiebung reichen, vielleicht hat sich der Afrikanische Kontinent letzten Freitag etwas entgegen meiner Fahrtrichtung verschoben. Auch die Querbeschleunigung in der anschließenden Kurve hatte das Zeug, modifizierend in die Tektonik einzugreifen, man möchte da keinesfalls mit den Reifen oder jedwedem andern Teil der Radaufhängung tauschen, schön, dass es in der Welt von Rolls Royce immer dies zurückhaltenden servilen Geister gibt, deren vornehmste Aufgabe es ist, dem Fahrer möglichst alle Sorgen abzunehmen und jeden Wunsch von den Füssen abzulesen.
Nach einem vom einheimischen Richard Carter ausgerichteten original südafrikanischen Brai, einem Barbeque mit allem drum und dran inklusive lokaler Traubensäfte, lassen wir uns gerne heimchauffieren, so komme ich auch noch in den Genuss, Richard und Gilles beim räsonieren über ihr neues Produkt belauschen zu dürfen. Die beiden unterhalten sich aber nicht einfach über das Auto, oder die Zielgruppe, nein, bei Rolls Royce genießt man das Privileg, seine Kunden ad personam zu kennen, und nicht auf Marktforschungsdaten angewiesen zu sein. Wie beim Schneider in der Savile Row wird also auf, geradezu intime, Details eingegangen, man weiß, wer was wünscht und was gar nicht mag, kennt seine Käufer wohl besser, als jeder andere Hersteller. Neben dem bedingungslosen Bekenntnis zu Qualität, hinter dem übrigens auch die Mutterfirma steht, ist es offensichtlich diese Nähe zum Kunden, derentwegen Rolls Royce immer noch von sich behaupten kann, nicht mehr und nicht weniger zu produzieren, als schlicht und ergreifend das beste Auto der Welt. Trotz prasselnden Regens verläuft die Unterhaltung übrigens sehr entspannt im Plauderton, ich kann nicht umhin, den beiden Herren im Fond gegenüber das tatsächlich flüsterleise Stoffdach als vorbildlich zu loben. „Na das will ich auch hoffen, schließlich hat es uns einige Millionen mehr als geplant gekostet“ gesteht er, aber Kompromisse werden hier eben keine toleriert. Vielleicht ist genau das auch der Grund, warum die Bespoke Abteilung in Goodwood mir noch keinen Preis für die Anhängekupplung mitteilen konnte.