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PASSKONTROLLE

Vorne weg gleich mal eine Binsenweisheit: das Wetter in den Alpen kann ganz schön abwechslungsreich sein. Doch gibt es, wie wir wissen, kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. Auch bietet sich die Bahn als Komplizin an, schon gar, wenn das eigentliche Vergnügen erst am anderen Ende Österreichs wartet.

Und ein Vergnügen ist es in der Tat, den Eidgenossen auf zwei Rädern die Aufwartung zu machen und sich gründlich mit den geographischen sowie Straßenverhältnissen vertraut zu machen. Die mühselige Anreise aus dem fernen Osten Österreichs lässt man hingegen, so es denn unbedingt das eigene Bike sein muss, besser von der ÖBB erledigen, ab in den Autoreiszug mit der Maschin´ und selig schlummernd geht´s nach Feldkirch. Schnell durch ein winziges Fürstentum und schon hat man mit Bad Ragaz einen wunderbaren Einstieg in die erstaunliche helvetische Kurvenwelt erreicht.

Der Kurort verdankt seinen Status der Tamima Therme, ihr wundertätiges Wasser hat schon Paracelsus gewürdigt. Die ersten Kurgäste mussten sich allerdings noch zur Quelle in die Schlucht der Tamina abseilen, erst 1840 hat man eine Leitung in den Ort gelegt,1872 gar das erste Thermalwasserhallenbad Europas. Bald darauf gründete sich in Zürich der „Frauenverein für Mäßigkeit und Volkswohl“, geleitet von Susanna Orelli-Rinderknecht richteten die Zürcher Bürgerfrauen Gaststätten ohne Alkoholdruck ein. Die „Sorell“ Hotels halten den Namen der Gründerin in Ehre, beherbergen aber nicht nur Abstinenzler, das Tamina am Platz in Bad Ragaz ist, nicht zuletzt dank der familiären Betreuung durch das geschäftsführende Ehepaar Weber, ein hervorragendes Beispiel Schweizer Gastfreundschaft.

Früh am nächsten Tag geht es über Davos auf den Fluela, einen der 5 legendären Alpenpässe der Tour, armdicke, 5 Meter lange Schneestangen erzählen von harten Wintern. Wir haben Glück, Petrus bescheidet sich mit Schneeregen, nur das Navigationsgerät unserer Harley lässt sich davon beeindrucken, will uns starrsinnig zum Autoverlad der Rhätischen Bahn umleiten. An sich eine verlockende Alternative, gut zu wissen, dass man könnte, wenn man müsste, doch der Flüela ist ein Muss für jeden sportlich eingestellten Kraftfahrer (@ der große Denzel) und dankt es mit ziemlich freiem Ausblick und grandiosen Eindrücken auf der Passhöhe sowie abtrocknender Fahrbahn auf der Abfahrt ins Engadin.

Seine Einzigartigkeit als höchstes bewohntes Tal der Alpen verheimlicht es geschickt, meist weit ist die Talsohle beiderseits des En vulgo Inn, zahlreich die Ortschaften, lustig deren Namen. Zu verdanken ist dies dem als Alltagssprache durchaus noch gebräuchlichen Rumantsch, das in erstaunlich verschiedenartigen Dialekten gesprochen wird, nicht verwunderlich, wenn man die Abgeschiedenheit mancher Seitentäler erst mal erfahren hat. Ganz anders verhält es sich da schon im Oberengadin, dem Heiligen Maurtitius sei Dank, der gebürtige Ägypter war angeblich schon um das Jahr 300 als Legionskommandeur in der Gegend. Er wird wohl auch die seit der Bronzezeit bekannten Heilquellen genutzt haben, die zusammen mit den 300 Sonnentagen St. Moritz vom hinterwäldlerischen zum mondänen Urlaubsort machten.

Weit kann man das Tal hochfahren, ohne dass einem die Höhenlage bewusst wird, ganz eben geht es den Silsersee entlang, bis ein Schild einen unscheinbaren Hügel als Malojapass und Europäische Hauptwasserscheide ausweist. Er findet zwar im offiziellen Roadbook der Grand Tour of Switzerland keine Erwähnung, bietet sich aber als Alternative an, wenn die Zeit drängt, zu groß ist die Gefahr, auf den anderen 3 Pässen ins Tessin wegen der atemberaubenden Ausblicke den Sonnenuntergang vor die Verkehrssicherheit zu stellen. Keine 100 Höhenmeter haben wir auf den zwanzig Kilometern seit Sankt Murezzan überwunden, doch seinen Januscharakter zeigt der Maloja kaum, dass man ihn überschritten hat. In atemberaubend engen Kehren geht es hinunter nach Chiavenna, fast 1500 Meter Höhendifferenz sind das herüben, da glühen die Bremsen der Harley. Den Pass haben schon die Römer gerne genutzt, das Tal kannten sie als Prae Gallia, Vorgallien also, aber das war halt in einer Zeit lange vor der Satelitennavigation. Wir hören absichtlich nicht auf die Stimme aus dem Navi, die empfiehlt, prinzipiell zu Recht, eine Route über Splügen und Nufenen, wohl weil sie keine Wetterinfos verarbeitet. Wir schon, die tiefen, schwarzen Wolken versprechen nichts Gutes. Also Abkürzung über die Laghi di Como und Lugano an den Maggiore nach Locarno. Fein, wenn so viel Landschaft auf engstem Raum Platz findet und man dem Wetter ein Schnippchen schlagen kann!

Weil: am nächsten Morgen blinzelt das Auge von Sonnenreflexen auf dem See geblendet ungläubig vom Balkon des Hotel Belvedere, knallblauer Himmel, besser geht´s nicht. Schon gar, wo heute eines der feinsten Hindernisse im Weg steht, das man sich als Motorradfahrer nur wünschen kann: der Sasso San Gottardo! Der wird seit ewigen Zeiten gerne als Verbindung von Nord- nach Südeuropa genutzt, auch schon lange dient Bellinzona als Wächter dieser Handelsroute. Erstmals befestigt haben die steinzeitliche Siedlung, no na, die Römer, so richtig ausgebaut die Visconti. Die Einwohner haben sie dann heimlich an die Eidgenossen verkauft, typisch Schweizer Lösung, könnte man sagen.

Durchs Tal des Ticino fahrend kann man sich jetzt ganz auf die majestätische Kulisse der Berggipfel konzentrieren, bald drängen die markanten Dreitausender des Gotthardmassivs ins Bild. In Airolo heißt es aufpassen, viele Wege führen in den Norden. Die Eiligen nehmen den Tunnel, die Braven die gut ausgebaute, die verwegenen die alte Tremola Passstraße. Letztere ist in der Nebensaison manchmal für den Individualverkehr gesperrt, das Erlebnis, die historische Granitpflasterfahrbahn zu bewältigen, rechtfertigt jedoch die Umfahrung des Schrankens. Reist man auch noch in der Nebensaison erlebt man die Erhabenheit der Berge und ihrer Überwindung, die Ruhe und den Ausblick besonders intensiv. Nur die tapferen Radfahrer dürften vergleichbare Erfahrungen machen.

Die Grenze zum Kanton Uri, also der „echten“ Urschweiz, haben stolze Eidgenossen mit einem riesigen, an den Fels gepinselten Schweizerkreuz markiert. Den Reisenden erwartet gleich darauf mit Hospental ein altehrwürdiger Hospizort. Die Gasthöfe erzählen stumm von Zeiten, als hier umgespannt oder zwischen Kutschen nach Graubünden, Uri, Tessin oder Wallis umgestiegen wurde. Wir wählen Letzteres, zielen auf den Furkapass, noch liegen Leitschienen vor Lawinen sicher in den Tunnels, das Furkahaus hat fest vernagelt den Winter überstand. Ein Stück weiter wartet unter dem zurückweichenden Rhonegletscher das Hotel Belvedere auf bessere Zeiten. Reichte die Eiszunge Ende des 19. Jahrhunderts noch bis vor die Tür erwarten die Glaciologen mittlerweile, dass sie bis zum Ende des Jahrhunderts ganz verschwunden sein wird. Die Touristen, die zur Jahrhundertwende noch fasziniert im Grand Hotel an der Endstation der alten Furkabahn Logis nahmen, haben sich auch schon merklich zurückgezogen.

Die warme Witterung hat aber auch gute Seiten, mit dem Schmelzwasser, welches das breite Rhonetal erreicht, verwandelt sie das Wallis in einen Garten Eden. Zwischen Obstplantagen gondelt man gen Genfersee, auf den Felsvorsprüngen balancieren kleine Weingärten über dem Abgrund, Winzer und Ernte schaukeln in abenteuerlichen Seilbahnen zu Tal. Auf Flaschen gezogen reist letztere dann erst wieder über die Berge, in den Kanton Freiburg zum Beispiel, wo korrekter Weise Chasselas zum Fondue genossen wird. Für das Schweizer Nationalgericht gilt es einige Regeln streng zu beachten, was die Grundzutat anlangt muss die Hälfte aus Gruyère bestehen. Über die Herstellung des 1115 in einer Urkunde des Grafen von Greyerz erstmals erwähnten Hartkäse wacht ein Konsortium, beheimatet im gleichnamigen Ort, der viel vom damaligen Charakter bewahrt hat.

Dass die geradezu babylonische Sprachverwirrung gerade hier evident wird ist der nahen Sprachgrenze zu verdanken, mitten durch die nahe Kantonshauptstadt läuft sie, dementsprechend nennt man sie entweder Frybourg oder Freiburg, als Ureinwohner frankoprovenzalisch Friboua. Diese Sprache, ja genau, noch eine, hört man da und dort im Espace Mittelland, zu dem auch der Jura gehört, das westlichste Revier unserer persönlichen Grand Tour of Switzerland. Der jüngste Kanton bietet zur Abwechslung hügeliges Gelände zum gemütlichen Cruisen, dem nur eine kulinarische Besonderheit im Weg stehen könnte. Im Val de Travers lauert die grüne Fee, jene Sagen umwobene Wermuthspirituose, die ihre Farbe dem lokalen Artemisia absinthum verdankt. 1915 bis 2005 in der Schweiz, wie fast überall, versehentlich verboten, ist das Feuer unter Claude-Alain Bugnons Ofen im Ursprungsort des Gebräus über all die Jahre nie erloschen. Erstaunlich eloquent führt er einen im Laufe einer ernsthaften Degustation in die Geheimisse des Treibstoffs der Impressionisten ein. Immerhin muss man danach gar nicht mehr unbedingt raus, um die Schönheit der Schweiz würdigen zu können.

Sollte man aber, viel steht noch auf dem Programm, dank der Topographie der Schweiz und dem ausgeprägten Hang ihrer Bewohner zum Straßenbau ist man mit dem Töff, wie das Motorrad hier liebevoll genannt wird, immer Rasch an der nächsten Attraktion. Im Jura wäre zum Beispiel unbedingt noch La Chaux-de-Fonds zu empfehlen, die Heimatstadt Le Corbusiers ist aber nicht nur für Architekturfans interessant, auch Freunde feiner Zeitmesser kommen im Zentrum der Uhrenindustrie auf ihre Rechnung.

Dass diese mit dem Zuzug deutschsprachiger Arbeiter die Sprachbalance verschoben hat, war auch für Friedrich Dürrenmatt, der zu Letzt mit Blick über den Neuenburger See in Neuchâtel lebte, ein Thema. Ihn hat die Vielsprachigkeit seiner Heimat wohl genau so fasziniert wie die Vielfalt der Landschaft. Die hätte er aber auch an einem der unzähligen anderen Seen bewundern können, Fleckvieh und schneebedeckte Berge stehen allenthalben dahinter.

Am Besten, man erfährt sie. Und zwar Alle!

INFO

Sämtliche Informationen, das Roadbook, sowie Hotelempfehlungen, darunter auch zu den von uns genossenen Hotels Sorell Tamina, Bellevedere Locarno, Hotel Gruyère und Schweizer Hof Luzern finden Sie auf grandtour.myswitzerland.com

Auch wer nicht mit dem eigenen Motorrad fahren will, ist willkommen! Partner der GToS ist Harley Suisse, spezielle Mietangebote und organisierte Touren auf harley-davidson.com/content/h-d/de_CH
Auch Edelweiss Bike Travel bietet sich an, der österreichische Anbieter hat sogar das Road Book entwickelt, sowohl der East als auch der West Loop dauert 8 Tage, www.edelweissbike.com

Für die Anreise empfiehlt sich swiss.com, oebb.at, sowie im Land sbb.ch, mit dem Swiss Travel System steht einem auch die Möglichkeit offen, nur Teilstrecken mit dem Bike oder verschneite Pässe zu unterfahren, www.swiss-pass.ch/

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Dieser Beitrag wurde am 2017/05/29 um 07:07 veröffentlicht. Er wurde unter DRIVE, grand tour of switzerland, schweiz abgelegt und ist mit , , , , , , , , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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