Es gibt mehr gute Gründe, nach Äthiopien zu fliegen, als man im ersten Moment meinen möchte. Jene zum Beispiel, welche meine Sitznachbarin am Ethiopian Airlines Flug ET 725 von Wien nach Addis Abeba nennt. „Ich habe erst meine Tochter, die in London studiert, dann meinen Mann in Kopenhagen besucht, jetzt bin ich auf dem Weg zu einer Konferenz in Addis, wo ich das Anliegen meines Vaters weiterbringen möchte!“ Dieser, Kwame Nkrumah, war nämlich nicht nur erster Präsident Ghanas, eines der ersten von einer Kolonialmacht in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Staates, sondern seit seinem Studium in den USA ein führender Protagonist des Panafrikanismus. Diese Bewegung, die davon ausging, dass nur alle Afrikaner gemeinsam ihre Unabhängigkeit erlangen könnten nahm so richtig Fahrt auf, als die von Marcus Garvey prophezeite Ankunft eines schwarzen Kaisers 1916 in der Krönung Haile Selassies zum Kaiser von Äthiopien auch tatsächlich stattgefunden hatte.
Nun, der alte Kaiserpalast in Addis Abeba kann es nicht mit Schönbrunn aufnehmen, man lebt hier einfach weniger in der Vergangenheit als in Österreich, konzentriert sich eher auf die Zukunft. Auch wenn man vom völlig friedvollen Zusammenleben aller Afrikaner noch ein Stück weit entfernt ist darf so darf man sich doch über ein Wirtschaftswachstum freuen, welches die – übrigens ja auch nicht ganz so harmonischen – Europäer durchaus mit Neid erfüllen dürfte, 2017 belegte Äthiopien hier mit 8,3% den ersten Platz.
Plakatives Beispiel dafür ist etwa auch die staatliche Fluglinie, die ihren Standortvorteil – 95% der Weltbevölkerung sind innerhalb von 10 Flugstunden erreichbar – für ihre beeindruckende Expansion und die Schaffung zahlreicher qualifizierter Arbeitsplätze zu nutzen weiss. Abgesehen von den angesichts der Flugziele in Ost und Südwest angezeigten spanisch- und chinesischsprachiger Flugbegleiter werden alle Posten mit Einheimischen besetzt, bis hinauf zum Vorstand. Wo man dann natürlich auch die bornierten westlichen Vorurteile gegenüber Staatsbetrieben zum Thema macht und auf die eigenen Erfolgszahlen verweist, die erst wieder Neid erwecken, ohne dass der Staat auch nur einen Bir Subventionen ausgezahlt hätte.
Nichts desto Trotz gibt es genug Jugendliche, die, will man sie etwa am Markt oben auf den Hügeln am Stadtrand, von wo man erst die ganze Grösse der Stadt sieht und wo zähe Frauen Brennholz schlägern und zu Tal schleppen, photographieren, bestimmt 100 Bir Lohn dafür einfordern. Das sind zwar nur 3 Euro, aber es gibt so viel zu photographieren, geht sich leider nicht aus. Ausserdem ändert sich die Situation ohnehin, sobald man weiter in die Stadt kommt, die sich in atemberaubendem Tempo in alle Richtungen ausbreitet, auch in die Höhe. Das ist hauptsächlich chinesischen Baufirmen zu verdanken, um Gastronomie und Nachtleben in den Erdgeschossen kümmern sich auch noch Libanesen und Ägypter oder wer halt sonst noch vom Boom profitieren will, ein paar Italiener nutzen auch ihre familiären Verbindungen aus der unseligen Zeit Mussolinis Herrschaft, die Äthiopier dürften die hunderttausenden Giftgastoten des Duce heutzutage jedenfalls nicht mehr in Rechnung stellen zu wollen, eindeutig nicht nachtragend die Äthiopier.
Wahrscheinlich rührt das entspannte Selbstbewustsein der Äthiopier aus der Gewissheit, einer der ältesten Kulturen des Planeten anzugehören. Und dabei beziehen sie sich natürlich nicht auf Lucy, quasi unser Aller äthiopische Uromi, die hier schon vor über 3 Millionen Jahren gelebt hat, sondern auf ihre einzigartige Beziehung zum Alten Testament. Das geht so weit, dass sie, obwohl Christus huldigend den Rest ihrer orthodoxen Religion mit alttestamentarischen Inhalten aufgefüllt haben und also durchaus als christlicher gelten dürfen als wir katholischen Römer, zumal sie sich schon vor dem grossen Schisma gemeinsam mit den Kopten für einen eigenen Weg entschieden haben.
Zur Staatsreligion wurde sie, nachdem der Heilige Frumentius und sein Bruder als Sklaven an den König von Aksum, der ersten Hauptstadt, verkauft, dank ihrer griechischen Bildung zu Hauslehrern des Prinzen Ezana wurden und dieser Gefallen an der neuen Religion fand. Immerhin führt sich die Herscherdynastie der Zagwe gerne auf eine uneheliche Tochter der Königin von Saba und König Salomon zurück, ein durchaus Biblischer Stammbaum also. Dessen Zeitleiste zwar ettliche Fragen aufwirft, andrerseits aber auch Licht auf die einzigartige Architektur der monolithischen Kirchen von Lalibela wirft.
An diesen Ort hatte Kaiser Lalibela die Hauptstadt verlegt, nachdem Aksum seine Stellung verloren hatte, nur als religiöses Zentrum und Aufbewahrungsort der Bundeslade diente es weiterhin, auch wenn rätselhaft ist, wie sie da hin gekommen sein soll. Die Exemplare hingegen, die in Lalibela zu sehen sind, werden durchegs als Kopien bezeichnet, umso inniger werden sie nun bewacht. Schon die Bauweise der Kirchen selbst, angeblich von Lalibela selbst, nur durch drei Engel unterstützt aus dem Basalt geschnitzt, jedenfalls ab dem 12. Jahrhundert errichtet, beschützt den wertvollen Inhalt hinlänglich.
Tief in den Basaltfelsen eingeschnitten lässt sich wohl keines dieser 11 Gotteshäuser so ohne weiteres Plündern, die aus dem vollen gearbeiteten Reliefs schon gar nicht, niederbrennen ist auch keine Option. Ganz in orthodoxer Tradition läuft der Gottesdienst ab, die monotonen Gesänge der Priester tönen lange vor Sonnenaufgang über die ganze Stadt, wecken den Gast. Auch Stunden später endlich aufgerafft sind sie noch zu hören, die Gläubigen stehen, strahlend weiss gewandet dann schon oben rund um die Kirchlöcher, lauschen der Predigt Besucher wohlwollend betrachtend.
Man freut sich hier nämlich über Besuch, immer schon, und das Fremde hat auch eine ganz andere Bedeutung in einem Land, das sich mehr als Fünfzig Stämme teilen. Am Samstag ist Wochenmarkt in Lalibela, da kann man die ganze Vielfalt der Äthiopier bewundern, alle Schattierungen zeigen die Gesichter, von dunklem Afrikanisch bis zu hellen semitischen Tönen. Und man wird freundlich angesprochen, meist von Kindern oder Jugendlichen, „wir sollen Fremdsprachen üben“ erklärt mir der 15 jährige Melese, der sich mir als Auskunftsperson anbietet. Sein Vater ist Rinderzüchter am Stadtrand von Lalibela, er selbst möchte Tierarzt werden, „die Menschen hier wissen zu wenig über die Natur der Tiere und wie man sie gesund erhält!“ Und natürlich kann er mir sagen, woher die Käufer und Händler hier kommen, „die da gehen jetzt schon nach Hause, mindestens 40 Kilometer weit“. Das erkennt er sowohl an den Gesichtern, als auch an der jeweiligen Tracht.
„Wobei man bei den jungen Männern anhand des T-Shirts nur mehr sieht, ob sie München oder Manchester die Daumen drücken“ lacht er, so ist das heutzutage wohl überall. Studieren möchte er jedenfalls in Lalibela, ja, das geht, Addis kennt er aus dem Fernsehen, wirklich interessieren tut´s ihn nicht. Lieber würde er ein Bisschen was vom Kontinent sehen, die Panafrikaner würde es freuen, und Ethiopian Airlines sowieso, die sind das schon und bringen ihn sicher überall gerne hin.
INFOS:
www.ethiopianairlines.com
www.reise-nach-äthiopien.com