homolka_reist

wahrlich, er ist auferstanden!

Aus gegebenem Anlass poste ich hier folgende Geschichte über die Osterfestlichkeiten auf Paros aus dem Jahre 2006. Das heisst VOR der sogenannten Griechenland sowie der momentanen Virus Krise. Die aus dieserm zeitlichen Abstand resultierenden Irritationen im Text ersuche ich gegebenen Falls zu entschuldigen bzw. in die Reflexion des geschätzten p.T. Publikums einfliessen zu lassen.

Vom Flughafen nach Piraeus nehmen wir diesmal den Bus. Seit die U-bahn, allen Unkenrufen zum Trotz, rechtzeitig zu den Spielen fertiggestellt wurde, stellt sie die risikolosere Verbindung dar, doch unsere Fähre verlässt erst in drei Stunden den Hafen, und vom Bus aus sieht man ein bisserl was von den Veränderungen, die Athen im letzten Jahr erfahren hat. Walter, ein mitreisender Freund möchte auch sehen, wie die Lämmer nach Hause transportiert werden, ich habe ihm erzählt, dass Business-men in Armani-Anzügen sich beim Fleischer ihres Vertrauens ganze Tiere über die Schulter legen lassen, schliesslich ist auch das Herbeischaffen von ganzen Tieren immer noch ein Statussymbol in der griechischen Gesellschaft.
Während Walter am Fenster in der Sonne wegdöst fragt ein älteres Pärchen deutscher Zunge, ob wir, da wir doch auch in den Hafen führen, vielleicht wüssten, wo die Schiffe nach Naxos abführen, sie müssten aber noch Tickets kaufen, was aber ausserhalb der Hochsaison doch kein Problem sein sollte. Also, Klartext: Ostern ist DIE Hochsaison. Für viele Griechenland-Fans ist dies ohnedies die beste Zeit, das Land ohne Sonnenstich zu geniessen. Und die Schönheit der blühenden Landstriche zu preisen, hiesse diese putzigen Vögelchen auf die Reise in ebendiese Stadt zu tragen. Nur: alleine wird man kaum reisen. Da Religion in Griechenland, noch, eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, und Ostern die erste Gelegenheit nach dem Winter darstellt, Freunde und Familie zusammenzubringen, reist man aus den Städten, in die einen nur ökonomische Zwänge getrieben haben, zurück in die Dörfer der Jugend. Oder wenigstens auf die Inseln der jährlichen Sommerfrische. Und weil die Familien noch Grosse sind, weitverzweigt und vielverschwägert, und Griechen nichts mehr schätzen als ihre „parea“, was soviel heisst wie Freundeskreis, und nicht weniger bedeutet, als eine ausgewählte Version einer Grossfamilie, findet jährlich eine Völkerwanderung grössten Ausmasses statt.

Deswegen, liebes Ehepaar Müller aus Dortmund: sorry! Ich konnte ihnen zwar das Gate epsilon tessera (E4) zeigen wo´s zu den Kykladen ging, doch die modernen, sauberen Fähren sind Wochen vorher schon ausgebucht. Also: rechtzeitig buchen, Agenten gibt´s genug, und einer hat sogar schon e-mail (addresse im anhang).
Mit der ihnen eigenen Mischung aus autoritärem Auftreten und anarchistischem Geist lotsen die Hafenpolizisten die hysterischen Massen in die richtigen Schiffsbäuche. Empfohlen wird, eine Stunde vor Abfahrt am Pier zu stehen, doch ein hektisch hupender, überladener Motorroller mit einer Besatzung von zwei Erwachsenen und einem Kind, der sich nähert, während die grosse lLdeklappe zu schliessen beginnt, lässt die Mannschaft innehalten, um einen möglichen letzten Reisenden auch noch aufzulesen.
Und gut so: an bord wird er auf lang vermisste Freunde treffen, man wird laut und deutlich Erlebnisse des vergangenen Winters austauschen, und ein erstes Bier gemeinsam geniessen. So unmittelbar, wie auf einer österlichen Fähre lässt sich griechischer Alltag kaum anderswo empfinden, in all seiner Lautstärke, Hektik, Handy-Verliebtheit und Liebe zu ihren erst- wie auch gerade-eben-Geborenen.

Parikia, der Hafenort der Insel, empfängt uns im rötlichen Schein des Sonnenuntergangs. Anders als im Sommer halten nur vereinzelt Zimmer-Vermieter ihre phantasievoll gestalteten Schildchen hoch, um ihre, meisst günstigen Quartiere zu füllen. Werden doch die meissten Reisenden schon sehnsüchtig erwartet, der Winter auf einer insel ist kein Honiglecken. Das heisst, das Honiglecken ist das Einzige,was an die Sonnentage des letzten Sommers erinnert, wenn tiefe Wolken über die einsamen Dörfer ziehen. Umso grösser die Freude jetzt, auf jeden Ankommenden wartet ein vielfaches an Abholern, und jeden Tag gesellen sich neue dazu.
Spätestens Karfreitag sollten aber wirklich alle da sein. Sonst könnten sie versäumen, Zeugen eines der wundersamsten Bräuche zu werden, die die Insel zu bieten hat, die szenische Darstellung der Grablegung. Wir haben uns mit lokalen Freunden in Mapissa verabredet, einem Ort im Süden, der weniger wegen seiner Schönheit bekannt ist, als für seine Epitaphia. Ausserdem, so haben wir erfahren, sollte es dort möglich sein, eine geöffnete Taverne zu finden. Tatsächlich, bei „ i Parea“ haben sich Andersgläubige, vornehmlich nordeuropäische Herätiker, also katholische oder protestantische Touristen, versammelt.

Vor der ersten Visite des Papstes in Griechenland hat doch tatsächlich der Patriarch von Athen den alten Karol, Gott hab´ ihn selig, als den Antichristen in Person bezeichnet. Der Aufruf an die Gläubigen, den Himmel mithilfe von schwarzen Luftbalons zu verdunkeln, ist dann eher verhallt, das Fernsehen hat aus der Ankunft des „Verräters“ die Show gemacht, die Jiannis Pavlos 2 so beherrschte. In einem Interview nach der Abreise hat Patriarch Christodulos übrigens erwähnt, er habe in Karol Woytila die faszinierendste Persönlichkeit getroffen, die er je kennengelernt habe, zweifelsohne ein von Gott erfüllter Mann. So sind sie, die griechischen Kirchenfürsten, stark im Glauben, doch pragmatisch in der Umsetzung.

Ganz sicher muss man aber fasten, am Freitag! In der Taverne wie gesagt nur Fremde, das Lokal wird, während die russisch-griechische Eigentümerin in der alten Heimat nach dem Rechten sieht, von ihrer Schwiegermutter geführt, Ihr Englisch zeugt von langen jahren der Diaspora im amerikanischen Midwesten. Um elf sollen wir uns bei Jiannis, einem jungen Rechtsanwalt, der in der Schweiz studiert hat und gleich hinter der Kirche ein liebevoll renoviertes Anwesen besitzt, einfinden, um an der Prozession teilzunehmen. Menschen strömen schon seit einiger Zeit in´s Zentrum des Ortes, viele im Sonntagsstaat, alle hungrig. Die Meisten Touristen sind schon aufgebrochen, als wir schockiert feststellen: das Lokal füllt sich wieder – Und diesmal mit Griechen! Da das ganze Dorf sich nun am Kirchplatz drängt, und die Menschenmenge wirklich unüberblickbar geworden ist, lässt sich unauffällig ein Abstecher machen, zu Mary, die hoffentlich dichthält.
Als der Epitaph, das Blumengeschmückte Leichentuch Jesú, die Kirche verlässt, ist es unmöglich, auf der Plateia irgendjemanden tatsächlich zu treffen. Dicht an dicht versucht Jeder so nah, wie möglich hinter dem Popen dem Tross zu folgen. Eine Szene tiefverwurzelten Glaubens – die nur dadurch, für uns Aussenstehende, etwas an Feierlichkeit vermissen lässt, weil unentwegt Handys läuten, Freunde angerufen werden oder, auch direkt vor dem ernst blickenden Popen, lauthals Wiedersehensfreude kundgetan wird. Hier ist die Religion halt noch ein Bestandteil des alltäglichen Lebens!

Die 14 Stationen des Kreuzweges werden hier von Laien dargestellt, das heisst, wenn Jesus verraten wird, so sitzen als „Römer“ verkleidete „Juden“, die wiederum verkleidete Lehrer oder Elektriker sind, möglichst regungslos an einer Tafel, und Judas, in unserem Fall Costas, der sonst hinter der Bar steht, küsst Jesus, also Giorgos. Und weil etwa zweitausend Gläubige dies sehen wollen, sitzen Giorgos und Costas stundenlang, einander zugeneigt, regungslos an der Tafel, die im Vorgarten einer Tourist-agency aufgebaut ist. Die Prozession zieht durchs gesammte Dorf, erst hinunter, ein Stück auf dem Periferiako aussen herum um schliesslich wieder hinauf zur Kirche zu gelangen. Sicher ein Höhepunkt der Darstellungen ist die Szene, als Jesus unter dem Kreuz stürzt. Der Darsteller leidet nicht nur unter dem frischen Wind, der aufgekommen ist, auch Kniet er jetzt schon seit einiger Zeit auf dem Kopfsteinpflaster des alten Gässchens, welches passenderweise als Kulisse dient. Ein Römer, der gerade ein Gespräch am Mobiltelephon abwürgt, peitscht auf ihn ein, nicht fest, aber auch schon ein Stündchen lang. Ach ja, und was der Lendenschurz nicht verbergen kann: Jesus leidet unter leichtem Übergewicht! Eine Tatsache die bisher verborgen blieb.

Das ist jetzt vorbei, denn, als ob die Szene nicht schon skuril genug wäre, versucht jeder Gläubige das Leiden Christi mittels der, in der ausgestreckten Hand von sich gehaltenen Handycamera aufzunehmen. Das klappt hier ausgezeichnet, doch schon an der nächsten Station wird´s schwieriger. Das flackernde Blaulicht zeugt von der Ordnungsmacht, die hier versucht, profane Handlungen hintanzuhalten. Aus dem, sonst als Parkplatz dienenden Stück Brachland, wurde für heute Golgotha. Drei Kreuze, dem Wind ausgesetzt, drei trauernde Frauen knien davor, wir werden auf Distanz gehalten. Der Wind trägt Wortfetzen herüber. Ja, Jesus spricht! Er beklagt das Wetter, die eisige Nacht, und dass er nun schon seit zwei Stunden in diesem knappen Lendenschurz hier oben stehe, auch, daß ihm ab und an rakomelo, heisser, mit honig verfeinerter raki gereicht wird lässt die Kälte nicht ewig ertragen. Seine Mitgekreuzigten stimmen ihm zu, die Gruppendynamik sorgt dann für ein Gespräch, das, alte Frauen sich hektisch bekreuzigen lässt. Schliesslich beschliessen die Gekreutzigten, unter den gegebenen Wetterbedingungen Golgotha besser zu verlassen, verabreden sich in einer Bar, steigen vom Kreuz und in ihre Autos.

Der Samstag Morgen beginnt mit einem Gruss, der optimistischer nicht sein könnte. „Kali Anastasi“ wünscht man einander, eine gute Auferstehung. Vor die Auferstehung hat Er noch die Besorgungen gestellt. Spätestens heute besucht man seinen „Kreatagora“- den Fleischer. Im Supermarkt herrscht Ausnahmezustand, die Eisenwarenhändler müssen ihre letzten Vorräte an Souvlas, den langen Grillspiessen, aus dem Lager holen, um der Nachfrage Herr zu werden. Am Monastiri-beach, ganz hinten in der Bucht von Naoussa, und sohin windgeschützt, präsentieren die Burschen vom Wasserschisteg erstmals in dieser Saison ihre muskulösen Körper. Was aussieht, als würden sie Gräber ausheben, ist nichts als die Vorbereitung zu einem grossangelegten Schafs-gemetzel. Hier werden morgen acht Tiere nebeneinander ihrem perfekten Garzustand entgegenbrutzeln.

Im laufe des Abends strömen mehr und mehr Menschen zu den zwei Kirchen von Naussa, bis schliesslich gegen elf tatsächlich die gesammte Bevölkerung auf dem Vorplatz eingetroffen ist. In der Kirche haben nur die wahrhaft Gläubigen Platz gefunden, seit einer Stunde gelangt man nur mehr mit geduldiger Bestimmtheit durch das Haupttor. Lässt sich aber nicht vermeiden, weil dort die gesegneten Kerzerln verkauft werden, ohne die sich das heilbringende Licht des Ostens nicht nach Hause nehmen lässt. Der Patriarch von Jerusalem hat heute morgen das Licht in der Krypta der Grabeskirche direkt vom Heiligen Geist empfangen, Zeugen waren, wie immer, keine zugelassen. Mit Hilfe prosaisch-neuzeitlicher Transportmittel gelangte das Licht nach Athen, wurde vom zuständigen Erzbischof mit allen Ehren in Empfang genommen, und, ohne zu erlöschen, zu Land und zur See, in alle Diözesen weitergereicht.

Nun, kurz vor Mitternacht, hat die Spannung in der Kirche ihren Höhepunkt erreicht. Hinter der Türe inmitten des Hauptaltares bereitet sich der Pope vor, die Auferstehung zu verkünden, aber man spürt geradezu, wie die Gläubigen dahinter den Auferstandenen selbst wähnen, so drängen sie nach vorn. Plötzlich erlischt das Licht, die Glocken beginnen hektisch zu schlagen, und die Tür öffnet sich. Der Pope tritt heraus, in prächtigem Festtagsornat, und hält es in Händen- Das Licht. Die Gläubigen strecken sich, stehen auf Zehenspitzen, mit ausgestreckten Armen versucht jeder als erster, seine Kerze an der des Popen zu entzünden. Doch dieser lächelt verschmitzt, hält die Kerze hoch, fast schon hat der Erste sie erreicht, er lächelt ein bisserl mehr, und hält seine Kerze ein bisserl höher, die Gläubigen werden ein bisserl grantig, der Pope muss schon lachen. Und endlich lässt er seine Herde gewären, die Ersten drängen nach draussen, um die Flamme weiterzugeben.

Nun schreitet auch der Pope nach draussen, ein Messner mit einem Buschen auf einem langen Stab geht ihm voran. Auf den Stufen vor der Kirche betritt der Pope ein für diesen Anlass errichtetes Podium, um, mit dem Rücken zu den Gläubigen, ihnen die frohe Botschaft kundzutun. Weil er seine Brille vergessen hat, pflückt er kurzentschlossen einem der umstehenden Honoratioren seine, an einem Ketterl baumelnde Lesebrille vom Hals. Der Messner wirft die Stange hoch, fängt sie wieder, sein verklärter Gesichtsausdruck gibt Zeugnis von seiner grossen Freude. Was den unvorbereiteten Reisenden, die umstehenden Kinder und alten Damen in Schrecken versetzt, ist das unvermittelt einsetzende Geknalle. Da die griechische Kirche, wie auch die römische, den Ostersonntag als Beginn des Jahres feiert, und die Bevölkerung hierin mit der Amtskirche einer Meinung ist, findet das haidnische Geknalle hier direkt im Anschluss an das höchste Kirchenfest statt. Auch Feuerwerk wird geschossen, auf Tinos gibt es seit Jahren erbitterten Schusswechsel zwischen zwei Kirchen, regelmässig kommt es zu Bränden, und das Fernsehen berichtet live von dort.

Nach dem Gottesdienst gibt´s, endlich, was zu essen. Man zieht sich in den Kreis der Familie zurück, um nach der langen Fastenzeit die traditionellen Speisen zu sich zu nehmen: wie bei uns werden rote Eier gepeckt, auch Schinken und Brot gibt es, aber worum sich vorerst alles dreht ist die Majeritza. Eine Suppe, zubereitet aus den Eingeweiden des Lammes, das wir morgen speisen werden. Angeblich ist sie nicht bei allen gleich beliebt, aber kein Grieche würde dies zugeben, und die Höflichkeit gebietet Zustimmung, sollte einem die Ehre zuteil werden, als Gast an einem Ostermal teilzunehmen.

Der Ostersonntag beginnt spät und langsam. Nach der Majeritza tut der eine oder andere Verdaungsraki not, und wer nicht zum Souvla-drehen eingeteilt ist, lässt sich Zeit. In Monastiri stehen wieder die Wasserski-boys, ob sie schon oder noch dort sind tut nichts zur Sache, jedenfalls hat man einige auch vor der Kirche gesehen. Jetzt werden nach und nach die Lämmer verzehrt, auch Kukuretsi wird gereicht, die am Spiess gebratene Wurst, wieder Innereien, im eigenen Darm, alles sehr archaisch, man kann wohl annehmen, dass seit Jahrtausenden ein ähnliches Ritual das Ende des Winters beschlossen hat. Endlich strömt auch wieder der Wein, die Sonnenstrahlen wärmen auch schon deutlich, leichten Herzens verabschieden wir den Winter, hier am Strand, und beneiden die Hellenen wieder einmal um ihren über die Jahrtausende erprobten Lebensstil.

p.s.: den für genau JETZT auf Einladung von George Bafitis geplanten Trip werden wir natürlich nachholen –
nachzulesen demnächst hier!
www.kalypsoparos.com

paros_fertig.pdf

Dieser Beitrag wurde am 2020/04/17 um 15:28 veröffentlicht. Er wurde unter griechenland, inseln, kykladen, paros abgelegt und ist mit , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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