Jene, die Facebook nutzten, kennen das Phenomen: das „soziale“ Netzwerk erinnert einen an Ereignisse, die man vor einem oder auch mehreren Jahren zum gleichen Datum stolz hochgeladen hat. Oder auch irgendwer anderer mit dem man irgendwo war und ebendieser das Ereignis teilenswert befunden hat. In meinem Fall hat der prinzipiell perfekt als Alibimaschine geeignete Algorythmus fuer das vergangene Jahr nichts entdeckt und sucht jetzt in Jahreszahlen, deren dritte Stelle sich durch die Ziffer „1“ auszeichnet. Erst habe ich mir dabei nichts gedacht, bin dann aber doch neugierig geworden. Zur Antwort auf die Frage nach dem „warum hab ich 2020 nix interessantes erlebt“ hat mir dann der Beethoven auf die Spruenge geholfen.
Den durfte ich naemlich anlaesslich der Eroeffnung seiner Geburtstagsfestivitaeten vor – mittlerweile – 250 Jahren besuchen. Die starteten kurz vor Weihnachten 2019 im Rathhaus zu Bonn, haben sie sich dort verdient, viele schoene Ausstellungen mit Leihgaben – nona – aus Wien. Die waehren spaetestens nach dem Sommer aber eh zurueck gegangen, da waeren sie naemlich an der Donau zwecks Ludwigs Huldigung unabkoemmlich gewesen. Auch ein schoenes gemeinsames Konzert war geplant, in den Schlossparks von Bonn und Schoenbrunn sammt Liveuebertragung und Projektion da und dort, Asien selbstverstaendlich inklusive, dort hat’s naemlich mehr Klassikliebhaber als irgendwo sonst.
So hat es mich auch nicht sonderlich ueberrascht, in Bonn ettliche fernoestliche Journalisten kennen zu lernen. Da fragt man sich dann nach dem „woher“ und „fuer wen“, hoert oft zum ersten mal von Orten, an denen viele Millionen Menschen leben, deren Namen man allerdings noch nie gehoert hat, speziell wenn es sich um chinesische Kollegen handelt. „Wahrscheinlich haben Sie den Namen noch nie gehoert“, hat also einer, dem das nicht neu ist, seine Vorstellung eingeleitet, „aber sie werden sicher noch davon hoeren, ich komme aus Wuhan!“ Na ja, mal sehen…
Zurueck in Wien habe ich erst mal schnell den Bonn-Beethoven-Artikel ins Reine gebracht und dann versucht, Weihnachtsfeiern so gut wie moeglich aus dem Weg zu gehen. Ist nicht wirklich meins, abgesehen von einem feierlichen Abendessen mit meiner ruehrenden Ex und ihren grossartigen Kindern habe ich die Feiertage in splendid isolation in meinem Atelier verbracht. Jeden Gedanken an etwaige Unternehmungen hat dann auch noch eine Grippe verdrangt, klar, hab ich mir gedacht, der Selbststaendige wir ja nur dann krank, wenn er sich’s leisten kann, also wenn eh nix los ist. Selbst Sylvester haette ich beinahe versaeumt, Einladungen unter dem Titel „das darf man nicht alleine feiern“ erfolgreich unter Hinweis auf eine sich gerade manifestierende Verkuehlung abschmetternd mehr oder weniger gluecklich am Sofa dahindoesend, nur vom bunten Schein vor meinem Studiofenster berstender Feuerwerksgegenstaende ans ach so besondere Datum erinnert.
Die Nahrungsversorgung stellten vor Allem schlecht bezahlte, frierende Afghanen und Pakistanis auf billigen Motorrollern sicher, welch fuer diverse von mir bevorzugte Restaurants in der unmittelbaren Umgebung die Hauszustellung erledigen. Ganz selten schleppte ich mich zum naechsten Supermarkt, nur um danach schweissgebadet wieder vor dem Fernseher zu verenden, die Vierschanzen Tournee schien mir in einem Stueck abgehalten worden zu sein, unterbrochen nur durch seltsame Filme, die mein willenloser Fernsteureungsfinger anscheinend ganz alleine ausgesucht hatte. Kurz gesagt: ich bin ziemlich umnachtet ins Jahr 2020 gestartet.
Erster Lichtblick des Jahres war eine Einladung nach Bad Kleinkirchheim, ein neues Explorer Hotel sollte eroeffnet und darueber entsprechend berichtet werden. Bis dahin sollte ich mich ja erholt haben, Schi, Schlitten und Schnabulieren stand am Programm, nix wie. Essen, Trinken und Rodeln ging ganz gut, doch auf Schiern wollte sich kein Erfolgserlebnis einstellen sondern hauptsaechlich Erschoepfung. Offensichtlich hatte ich diese „Grippe“ noch nicht wirklich ueberstanden, lag danach wieder zwei Wochen darnieder. Und geschmeckt hat’s auch nicht wirklich, obwohl die Kaernter Koechinnen ueber jeden Verdacht erhaben waren.
Im Februar begann sich das uebliche Einladungskarussell zu drehen, Ostern im Tessin, kurz darauf Jersey, nein, nicht das neue, sondern die Kanalinsel, ganz nach meinem Geschmack. Dazu noch ein paar weitere Destinationen, inclusive meiner alten Heimatinsel Paros, sowie eine Peloponnes Rundreise, welche ich leiten sollte. Als Auftakt stand gleich Ende des Monats Rethimnon auf dem Programm, und zwar der legendaere Karneval mit dem grossen Umzug am Faschingssonntag dem 5. Maerz. Als Hauptstadt der einstigen venezianeschen Provinz Kreta blickt man stolz auf eine langeTradition zurueck, zu Recht, wie ich mich ueberzeugen konnte, grandiose „Armas“ genannte Waegen hatten die diversen Kompanien gebaut, weder an Phantasie noch an Geschick fehlte es ihnen.
Zu dem Zeitpunkt kannte schon wirklich Jeder Wuhan, der Virus war angekommen, die griechischen Passagiere im Flieger von Wien nach Athen trugen schon fast alle Masken, ich hielt das fuer uebertrieben. Wie anscheinend auch alle, welche nack Kreta wollten, wie sollte es denn auch ein chinesischer Virus bis dorthin geschafft haben? Hatte er es scheinbar auch noch nicht, waehrend sich die Regierung in Athen Gedanken machte, wie man des Clusters in Kastoria Herr werden koennte, waren die Vorbereitungen in Rethymno beinahe beendet.
Freitag abend durfte ich in der Werkstatt verbringen, bei letzten Handgriffen helfen und mich an Gegrilltem und Raki aus eigener Produktion laben. Die Kuerschner und Pelzhaendler hatten den Virus von der Messe in Italien mitgebracht, ganz offensichtlich haben einige der unzaehligen chinesischen Einkaeufer ihn als Mitbringsel dort deponiert. Von denen war aber keiner nach Kreta gekommen, weder noch, die Pelze, welche in den Kostuemen verarbeitet wurden, waren entweder schon seit Menschengedenken auf der Insel oder synthetisch. Kein Problem also.
Sah die Regierung anders, Pressekonferenz im Rathhaus am Samstag mittag, dutzende aufgebrachte Einheimische im Stiegenhaus liessen boeses ahnen. Der Premier persoenlich hat’s verboten, Lokalpolitiker, welche den Auftrag nicht umsetzen sollten sogar verhaftet werden, hiess es aus gut informierten Quellen. Als Kenner der griechischen Seele nahm ich an, dass der hellenische Hang zur Anarchie die Macht an sich reissen wuerde, allein: nix da, Bestuerzung aber Disziplin, die Griechen sind auch nicht mehr, was sie einmal waren!
Als ich mich mit der Buergermeisterin zum Abendessen traf schlichen wir durch Nebengassen ins Restaurant, sie wollte gar nicht sehen, wie viele Menschen ausgelassen feierten, sonst haette sie ja etwas unternehmen muessen, noch weniger wollte sie gesehen werden, man haette ihr sonst einen Strick daraus drehen koennen. Auch anderntags, als im Zuge des abgesagten Festzuges einige tausende Menschen bei traumhaftem Wetter bunt verkleidet ueber die Esplanade zogen hielt sie sich versteckt. Ich hab’s trotzdem sehr genossen, die letzte unbeschwerte Reise am Beginn eines unglaublich frustrierenden Jahres. Und meine Schluesse gezogen, Details demnaechst!