„Iassu Martin, Eleni hier, du hast eh nicht vergessen, oder?“ Das schöne an Notlügen ist, sie funktionieren wie moderne Antischlupfregelungen: prompt und unauffällig. „Natürlich nicht“, hör ich mich antworten, und grüble. „Also sehen wir uns bei meiner Hochzeit am Samstag!“ Natürlich, hab ich doch versprochen, jetzt verstehe ich auch die kryptische Eintragung in meinem Kalender für das Wochenende, Paros mit Fragezeichen hab ich vermerkt, sicherheitshalber gleich über ein paar Tage. „Du bist also bereit, gut, wo bist du denn gerade?“ Unterwegs, behaupte ich, und ja, bereit bin ich. Das stimmt sogar fast, den Weg kenn´ ich, Griechenland wie meine Westentasche, und für den Balkan besitze ich eine hervorragende Straßenkarte, vielleicht ist die aber nicht ganz aktuell, das Land durch das ich reisen soll nennt sie Jugoslawien. Und vor der Tür steht die Moto Guzzi Stelvio, mit der war ich gerade am Nordkap, gut 600 Kilometer täglich ohne Probleme, weder technischer noch körperlicher Natur. Paros ist allerdings eine Insel, ergo muß ich Fährentickets organisieren, Anruf bei Stamatis Filippis in Piräus. Samstag muß ich dort sein, also die Freitagnachtfähre, meint Stamatis, mal schauen, nicht ganz leicht, immerhin wollen praktisch alle Athener am Wochenende weg. Ja, eine Person und ein Motorrad bring ich noch unter, Glück gehabt, schließlich ist ja schon Donnerstag Mittag.
Freitag sechs Uhr früh, es schaut nach einem prächtigen Tag aus, die kühle Morgenbrise bläst mich wach, auf der Ostautobahn brüllt mir die Sonne schon ins Gesicht. Schnell noch eine `Plaketta´ für die ungarische Autobahn an der Grenzstation erstanden, im Wind- und Radaraschatten eines einheimischen Busineßkombis durchmesse ich angemessenen Schnittes die Puszta, ich hoffe, der Typ weiß wirklich, wo die Messungen erfolgen. Auf der Tangente von Budapest heischt die Tankanzeige um meine Aufmerksamkeit, lenkt mich kurz ab, und schon fädle ich mich in einer Baustelle auf die falsche Fahrbahn ein, die Raststätte bleibt so unerreichbar. Also runter vom Band, kurze Suche, einen Mokka und 24 Liter Super später schlängle ich mich durch den morgendlichen Berufsverkehr wieder auf die M5. Hatte eigentlich mit längeren Etappen gerechnet, die Schrankkoffer am Heck und die hohe Scheibe lassen bei der terminlich angeratenen Reisegeschwindigkeit jedoch den Treibstoff großzügiger fließen, als erwartet. 300 Kilometerstints sind eindeutig zu kurz, bedeuten zwei zusätzliche Stopps, das ist erstens teuer und zweitens in meinem Zeitplan nicht so vorgesehen. So widme ich mich in der langweiligen flachen Ebene der Reichweitenmaximierung, die Verbrauchsanzeige arbeitet erstaunlich korrekt, Scheibe in die niedrigste Stellung, mich mache ich klein, und innert der nächsten Stunden sinkt der Durchschnittsverbrauch tatsächlich um fast zwei Liter! Nach der Ortsdurchfahrt von Beograd, fünf Stunden nach Abreise, führt eine langgezogene bergauf-rechts direkt aus dem Stadtgebiet hinauf in die grünen Hügel, Geschwindigkeitsbeschränkung-Ende, Gas geben, und endlich Kurven!
Es folge die Ebenen von Nis und Leskovac, Industrieruinen inmitten von landwirtschaftlichen Kombinaten, dann schlagartiges Autobahnende, eine elegante, sich verengende Kurve spuckt den überraschten Motorradfahrer in ein enges Tal. Nach neunhundert Kilometern High-Speed-Cruisen beginnt hier endlich der Kurvenspaß für Fortgeschrittene, das Tal der Južka Morava schneidet durch das schroffe Gebirge, rechts der Fluß, links der Hang, und vorne – Lastautos! Die Balkanbewohner kennen das Thema, Biker sind schneller, also macht man ihnen das Leben nicht unnötig schwer. Doch sind hier nicht nur Einheimische unterwegs, so kriege ich schließlich meinen ersten Adrenalinkick. Kurze Kolonne hinter einem Sattelschlepper, geht sich locker aus, Blickkontakt mit dem Fahrer eines Bayrischen, ich bin schon neben ihm, da schert er aus. Was soll ich Ihnen sagen, als ich mich wieder hinter ihm vom Schreck erhole, muß ich feststellen: Kennzeichen `D´, nix neues!
FYROMazedonien ist schnell erledigt, sind nur 200 K, praktisch alles Autobahn, darunter eine der schönsten Europas. Mitten im Land liegt ein Gebirge, die Täler so eng, daß man kurzerhand die Richtungsfahrbahnen in jeweils ein eigenes gelegt hat, also um den Berg auch herumfahren kann, was sich sehr kurzweilig gestaltet, weil hier einfach kein Radarpistolen schwingender Polizisten Platz findet. Schon kurz danach künden zwei riesige Nationalflaggen vom Mazedonisch-Makedonischen Grenzübergang, die Griechen haben ja den Namen quasi mit Beschlag belegt, und so wehen eine rot-gelbe Sonne und das bekannte blau-weiße Kreuz in Fußballfeldformat über der Grenzstation. Die Formalitäten beschränken sich auf die Frage nach dem Fahrtziel, „ahhh, Paros, very nice“ und schon werde ich in die Anarchie des griechischen Straßenverkehrs entlassen, nach ziemlich genau zwölf Stunden sitze ich bei Methoni in einer Taverne mit einem kühlen Gläschen in der Hand am Strand, knappe dreizehnhundert Kilometer von Wien entfernt, und wähle die Nummer von Stamatis, um mich nach der genauen Abfahrtszeit der Fähre zu erkundigen. Lustiger Weise kommt mir beim Einwählen des Mobiltelephons ins griechische Netz gleich mal eine Stunde abhanden, hier gilt die oströmische Sommerzeit, was meine Regenerationsphase schlagartig beendet. Nach Vernichtung eines Potpuris gegrillter Meeresbewohner mache ich mich wieder auf den Weg, die Strasse ist größten Teils neu, die Luft riecht nach Pinien und Meer, und statt der trockenen Hitze am kontinentalen Balkan genieße ich nun die milde Brise und das sanfte Licht der hereinbrechenden Dämmerung, fühle mich daheim.
Ist sich dann Alles blendend ausgegangen, noch im Hafen habe ich einen Ouzo gezwitschert, und also an Bord geschlafen wie ein Baby, ein besoffenes halt. Die Feierlichkeiten haben die Anreise gelohnt, ich habe mich aufs köstlichste amüsiert, so wurde mir zugetragen. Genächtigt habe ich in der Strandhütte meines Freundes Dimitri in seiner `Waterskizone´ , bei Konstantin im `Café Karinos´ zum Frühstück wieder mal den besten Cappucino der Ägäis serviert bekommen,und auch noch einen sachdienlichen Hinweis bezüglich der weiteren Urlaubsplanung erhalten. Er hat Photos italienischer Architektur der dreißiger Jahre herumgereicht, aufgenommen bei seinem letzten Segeltörn auf Leros. Da ich wieder mal was Neues sehen wollte, zufällig am nächsten Tag eine Fähre von Paros direkt nach Leros ablegte, und ich, gaaanz zufällig, eine neue Freundin aus Athen auf der Insel besuchen wollte, erlebte ich den nächsten Sonnenuntergang am Pier in Parikia, um mich und die Stelvio nach mittellanger Wartezeit im Bauch der `Diagoras´ zu verstauen.
Um vier Uhr früh laufen wir in Lakki ein, imposante Bucht zwischen schroffen dunklen Felsen, kein Wunder, daß sich im zweiten Weltkrieg die Flotten der Italiener, Deutschen und Engländer um diesen Hafen gerissen haben. SMS von Freundin Marianna Angelou, „warte gleich links im Hafen“. Wer das Chaos in griechischen Häfen kennt, weiß, daß eine derartige Angabe sehr vage ist, nichts desto Trotz entdecke ich inmitten der Massen die fesche Marianna in einem schwarzen Golf mit Athener Kennzeichen, und nehme die Verfolgung auf. Gar nicht leicht, in rasender Fahrt durchqueren wir die Dörfer der Insel, dank ABS und ASR der Stelvio ohne näheres Kennenlernen der Fahrbahnoberfläche. Das Hotel Archontiko Angelou erweist sich als malerische Gründerzeitvilla, die vertraute Architektur ist einem österreichischen Architekten zu verdanken, der hier eine mediterrane Variante des Cottage Stils abgeliefert hat.
Der nächste Morgen startet mit dem allseits gerühmten Frühstück im lauschigen Garten, dann erkunde ich die Insel, dauert nicht besonders lange, sehr kompakt das Eiland, doch voll interessanter Architektur, die 1936 als Porto Lago von den Italienern angelegte `Metropole´ ist tatsächlich einzigartig, und der doppelte Hauptort an den beiden Hängen der mächtigen Festung zeigt sich erfreulich unverschandelt. Die völlige Abwesenheit von Massentourismus läßt auch die geringe Anzahl an Stränden vergessen, wurden schließlich drei phantastisch relaxte Tage in einem längst verloren geglaubten Griechenland.
Ich werde Sie jetzt nicht wieder mit den Details der nächsten Fährpassage langweilen, jedenfalls habe ich den langen Schlag durch die gesamte Ägäis zurück nach Athen selig verschlafen. Und das ist auch gut so, schließlich stehen nun die wirklich interessanten Etappen auf dem Programm. Nicht, daß ich wirklich einen Plan hätte, aber in drei Tagen sollte ich in Cres sein, dazwischen liegen sechs Staaten, die es zu durchmessen gilt. Also Kurs Nord, möglichst direkt, ohne Autobahn! Wenn man die Topographie der Balkanhalbinsel betrachte, sieht man vor Allem Eines: Berge! Und Pässe, Täler, kurze Ebenen, aber hauptsächlich kurviges Geläuf, exakt das, was dem sportlich eingestellten Motorradtouristen das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt. Ich wähle die Direttssima, von Piräus über Theben die alte Landstrasse, dann immer hinter dem Küstengebirge hoch nach Lamia, kurzer Blick auf´s Meer, wieder in die Berge, durch eine endlos scheinende Ebene nach Trikala, bis die Meteora Klöster den Eingang in ein wahres Kurvenparadies verkünden. Mittlerweile gibt es ja auch hier ein wahres Wunderwerk der Straßenbaukunst, Brücken, Tunnels und das Alles, doch bis vor wenigen Jahren war die gewundene Strasse von Trikala nach Grevena die Hauptverbindung von West nach Ost, Sattelschlepper haben sich hier ihren Weg vom Fährhafen Igoumenitsa in die Türkei gebahnt, dementsprechend großzügig ist die Straße angelegt, schnelles Vorankommen garantiert! Wirklich zügig und fast alleine genieße ich den Kurvenrausch unter blauem Himmel, bis mich ein Wolkenbruch biblischen Ausmaßes genau auf einer baumlosen Hochebene schlagartig einbremst. Innert einer Minute bin ich naß bis auf die Unterwäsche, finde schließlich Unterstand in einer archaischen Imbißbude im Infield einer Serpentine, kann mich immerhin stärken, kurz danach mittelfeucht weiterreiten.
Wenig später, wieder staubtrocken, durchquere ich fast forward die Braunkohleflöze von Ptolemeida, aus himmelhohen Schornsteinen blasen Kraftwerke die in die Luft, was sie nicht zu Energie machen konnten. Die Sonne kratzt schön langsam an den Berggipfeln im Westen, in der Grenzstadt Florina will ich eigentlich noch einen Bankomaten konsultieren, nehme statt dessen einen kühlen Drink, und reise noch bei Tageslicht in Makedonien ein. Das hilft, in der Kreisstadt Bitola nach einer Geldquelle zu suchen, als ich endlich fündig werde, habe ich natürlich keine Ahnung, wieviel der Betrag, den ich in Form neuer Dinarscheine ziehe, wert ist. An der nächsten Tankstelle erhalte ich im Tausch immerhin zwei Liter Superbenzin, man akzeptiert auch gerne alle Kreditkarten. Vollgetankt nehme ich die letzten fünfzig Kilometer nach Ochrid in Angriff, das enge Tal wird nur von den brennenden Wäldern zur Rechten erhellt.
Der Ochridsee war mal eine mondäne Sommerfrische, zumindest für die Yugoslawische Nomenklatura, hat noch immer seinen Reiz, der sich mir jedoch wegen heftiger Zahnschmerzen nicht zur Gänze erschließt. Nach einer pragmatischen Selbstoperation umrunde ich schmerzfrei den See, erklimme den Grenzpaß, und reise in Albanien ein. Die unzähligen Bunker, welche vor kurzem noch böse Imperialisten waffenstarrend in Schach halten sollten haben dank farbenfroher Graffitis jeden Schrecken verloren, richtig friedlich fühlt es sich hier an, und doch hat man den Eindruck, eine Abkürzung nach Indien entdeckt zu haben. Man kocht auf offenem Holzfeuer, fährt Eselskarren, oder die clichehaften Mercedese aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, immer jedoch blitzblank!
Verkehrstechnisch stellt Albanien eine interessante Herausforderung, als Überlebensstrategie empfiehlt sich folgende Methode: mitten auf der Strasse, dem Entgegenkommenden zwischen die Augen zielen, so macht das hier, wer flotter unterwegs ist, im letzten Moment weicht ja doch ein Jeder aus. Man hat den Trick schnell verinnerlicht, und kann sich dann auf das Wesentliche konzentrieren, die phantastischen Kurven! Hier haben sich noch keine Ingenieure mit ihren CAD-Programmen verwirklicht, die Trassen sind den natürlichen Gegebenheiten folgend angelegt, das Stammhirn weiß wie´s weiter geht, bevor noch das kognitive System eingreift, und eventuelle Störfaktoren meldet. Exekutivorgane gehören nicht dazu, die stehen brav neben ihren winzigen Streifenwagen am Ortsanfang, freuen sich über den flotten Touristen, und picken nur jene Vaterlandsverräter heraus, die mit großen dunklen Geländelimousinen offensichtlich zum Abfluß des geringen Inlandssozialproduktes beitragen. Um die Haftung kümmert sich vorbildlich die Antischlupfregelung der Guzzi, Gasgriff am Kurvenscheitelpunkt auf Anschlag, die Elektronik sorgt für einen gepflegten Driftwinkel, schaut spektakulär aus, fühlt sich jedoch zu keinem Zeitpunkt kritisch an.
Orientierungstechnisch anspruchsvoll ist nur das Verlassen der Hauptstadt, Tirana wird hinten und vorne, sowie im Zentrum umgekrempelt, vielleicht stellen sie ganz zum Schluß sogar noch Hinweisschilder auf, bis dahin muß man sich halt durchfragen. Irgendwann findet man sicher die Route nach Skoder, ist schließlich so etwas wie eine Achse in die Zukunft, viele Betriebs- und Industriegelände, ökonomisch vielversprechend, ästhetisch weniger. Die letzten fünfzig Kilometer bis zur Grenze nach Montenegro bieten schließlich Paris-Dakkar-Feeling, eine einzige Autobahnbaustelle, ganz ohne schwere Baumaschinen, dafür Schlaglöcher in welchen man einen mittleren PKW verstecken kann, feiner Staub und tiefer Schotter zwingen einen zu stehender Haltung, und das Land spuckt einen Reiter aus, der ausschaut, als hätte er die letzten Monate in der Sahara verbracht.
Dies verhindert, daß der im sauberen Montenegro versehentlich in einem teuren Luxushotel absteigt, mich haben sie jedenfalls diesmal nicht ins Aman Sveti Stefan hineingelassen, schade, weil das wirklich eine einzigartige Absteige ist, dafür habe ich den Sonnenuntergang an der Corniche von Budva um so mehr genossen, man glaubt ja gar nicht, wie modern, westlich und fortschrittlich jedes Balkanland erscheint, solange man nur von Albanien aus einreist!
Die bosnische wie auch die kroatische Küste erfreuen mit abwechslungsreichen Radien, überraschen dank kreativer Asphaltmischungen und plötzlichem Temperatursturz, die zähen Kolonnen sind für ambitionierte Motoristen eher Herausforderung denn Ärgernis. Nur auf dem Weg zur Fähre hinüber nach Cres geht gar nichts, Sonntag zuckeln die Wohnmobile retour ans Festland über die enge Straße auf Krk. Dafür gehört Losinj am Montag fast mir alleine!
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