Von der Plateia Eleytherias, dem Freiheitsplatz im Zentrum von Ierapetra direkt am Meer gelegen, führt die Dimokratias Strasse hinaus aus der Stadt, immer geradeaus an der fruchtbaren, flach auslaufenden Südküste Kretas entlang bis nach Mirtos, wo die steilen Klippen des Dikti Gebirges wieder das bekannt abweisende Gesicht des kretischen Südens mit seinen tief eingeschnittenen Schluchten zeigt.
Wenige Kilometer vor der Stadt, in den von landwirschaftlichen Betrieben, Gärtnereien und Bauhäusern geprägten Vororten, steht ein Denkmal unauffällig in einem kleinen Hain neben der Fahrbahn, gleich neben einer Tankstelle, nur der unerwartete Blumenschmuck in dieser prosaischen Umgebung lenkt die Aufmerksamkeit auf die rechtwinkeluge, weisse Marmorsäule mit der oxydierten Bronzebüste. Laut Strassenschild heisst die Strasse hier noch immer `Dimokratias´, doch die Einheimischen nenen sie lieber beim alten Namen: Odos Pavlos Koupers.
`Der Holländer´, wie man Paul Kuypers hier anerkennend nennt, ist an dieser Stelle im September 1971 32jährig bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, da hatte der Landwirtschaftsexperte schon fünf Jahre hier gelebt und zu hohem Ansehen gebracht. Schliesslich war er es, dem die Einwohner des Bezirkes Ierapetra ihr überdurchschnittliches Einkommen verdanken, das geht jedenfalls aus der offiziellen Statistik hervor. Seine Idee war damals ziemlich neu für die Gegend rund ums Mittelmeer, so misionierte er auch auf Syros einige Zeit vergebens, erst den Kretern erschien sein Vorschlag vielversprechend.
Also bauten sie die von ihm entworfenen `Thermokipia´, Gewächshäuser, einfache Konstruktionen, ein Gerüst meist mit Kunststofffolien überzogen, doch offensichtlich äusserst effektiv. Der Boden hier war immer schon fruchtbar, Nährlösungen wie auf den heute üblichen Böden aus Sand oder Steinwolle benötigt man hier nicht, und Wasser ist auch reichlich vorhanden, zumal in der wichtigen wachstumsphase im Winter. Nur haben eben zu dieser Zeit der heftige Wind und danach die kräftige Sonne das Gedeihen der Früchte gehemmt, geschützt vor den Umwelteinflüssen fuhren die Bauern von Ierapetra jedoch plötzlich reiche Ernte ein. Und konnten so ihre Ware genau dann auf den Markt bringen, wenn die Konkurrenz noch nicht liefern konnte, die Paradeiser von der Südküste Europas wurden zum Exportschlager.
Das ist schliesslich auch den Spaniern nicht entgangen, auch in Holland machte man sich die Technik zu eigen, doch da wie dort regieren high-tec und Chemie, während hierorts die Entwicklung auf einem gesunden Level stehenblieb. Während in Nord- und Westeuropa die Bauern im Anzug morgens ihre Computerausdrucke checken dreht der Landwirt hier noch selbst den Wasserhahn auf, nur ganz wenige Genossenschaften arbeiten im grossen Stil, meist sind es Familienbetriebe, die von Jänner bis Mai ihre Früchte ernten. Die werden von einer rastlosen Flotte von Sattelschleppern täglich zu den Häfen nach Chania und Heraklion chauffiert, morgens hin, abends wieder retour, auch das Speditionsbusiness ist unten im Süden zu Hause. Zu den Sammelstellen bringen die Ernte immer noch oft die kleinen Pick Ups, reife Früchte werden gleich vor Ort en gros an Kleinhändler, meist Roma samt Familie, verkauft, die sie widerum in der Region lautstark direkt vom Wagen vermarkten. Und was gar nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet scheint, wird einfach auf eine Weide neben der Strasse gekippt, worüber sich die Schafe freuen, welche scheinbar immer zur rechten Zeit am rechten Ort auftauchen.
Sie haben natürlich keine Wahl, wissen die frische der Früchte vielleicht gar nicht zu schätzen, doch der Gourmet merkt den Unterschied. Wo oft eiskalte Paradeiser Zahnschmelz und Gaumen beleidigen kommen hier nur handwarme, pflückfrische Exemplare in den Salat, und das ausgerechnet Dank des `Holländers´!