Mitten in den USA liegt Chicago angeblich, behaupten die Einheimischen. Wenn man sich die Karte genauer anschaut, findet man die Stadt eher am oberen Rand. Ausserdem immer noch eher im Osten, aber zum Verkehrsknotenpunkt hat´s allemal gereicht, schliesslich kam das Meiste mit dem Schiff, und da hat die Lage an einem See natürlich ihre Vorteile. Die Kühe marschierten gleich gar zu Fuss in die Stadt, nachdem sie sich in der Prairie ringsum den Wanst vollgeschlagen hatten. Die Steaks reisten anschliessend mit der Bahn, wir kommen mit dem Flugzeug, landen auf einem der meist frequentierten Flugplätze der Welt, 70 Millionen Menschen tun´s uns jährlich gleich. Neuerdings kann man auch wieder direkt aus Wien an die Stadt am Michigan See fliegen, das freut nicht nur die Burgenländer, deren dort mehr als in Eisenstadt leben, Nachkommen natürlich eingerechnet.
Dass sich die dort wohlfühlen verwundert eigentlich gar nicht, ist Illinois doch flach wie die Puszta, vom Flughafen rollt man ein knappes Stündchen auf vielspurigen Highways durch die Ebene, zum Landeanflug bereite Jets kommen oben entgegen, neben den Fahrbahnen laufen Geleise, man fährt auch Bahn, das mit dem Verkehrsknoten scheint zu stimmen. Am Horizont wachsen derweilen die Skyscraper in den Himmel, zuvorderst der Sears Tower, war mal das höchste Gebäude der Welt, nach 9/11 immerhin wieder das höchste Amerikas, jetzt hat New York wieder die Nase vorn. Ausserdem hat eine englische Versicherungsgesellschaft sich die Namensrechte unter den Nagel gerissen, was man in Chicago naserümpfend ignoriert. Dem Neuankömmling stockt aber eher der Atem angesichts dieser einzigartigen Skyline, da kommt vielleicht noch New York mit, und sonst eh schon nichts.
Mit ein, zwei feschen Ringerln fädelt sich der Kennedy Expressway schliesslich in die Stadt ein, der Sears, äh nun halt Willis Tower steht direkt daneben, an einem Fluss, der Turm kratzt, wie sich´s gehört, an den Wolken, der Fluss verkriecht sich zwischen Häuserschluchten, über die Strassen rattert die `L´, Elevated Railroad, also die O-Bahn quasi. Unter der Erde war kein Platz mehr, ausserdem musste es schnell gehen, die Stadt boomte Ende des neunzehnten Jahrhunderts ziemlich rasant, nachdem das grosse Feuer von 1871 circa 18.000 Gebäude vernichtet, hunderttausend Obdachlose zurückgelassen und ein ideales Exeperimentierfeld für die Stadtplanung geschaffen hatte.
Hier ist auch der Grund zu finden, warum Chicago in den USA gerne `second city´ genannt wird, weil die aktuelle eben schon die zweite, verbesserte Version der Stadt ist, und nicht, wie manche meinen, weil sie sich hinter dem Big Apple einzureihen hätte. Das halten die Chicagoans nämlich überhaupt nicht für angebracht, wie unser `Chicago Greeter´ Larry Byrne entschlossen erklärt. Er ist einer von unzähligen ehrenamtlichen, nun ja, Fremdenführern, die neugierigen Gästen die Stadt näher bringen, ein Jeder hat sein Spezialgebiet. das von Larry ist die Goldcoast, ein zentrumsnaher und doch erstaunlich grüner Stadtteil, in dem sich seit jeher jene angesiedelt haben, die Chicagos florierende Wirtschaft und Industrie wohlhabend werden hat lassen, oder gleich Steinreich, wie etwa die Astor oder die Erfinder des Schlafwagens George Pullman und des Mähdreschers Robert Mc Cormick. Die Meriten von Sears, Wrigley und Boeing dürfen als bekannt vorausgesetzt werden, sie alle haben ihre Spuren hinterlassen und ihre Nachfahren sitzen noch immer an der Spitze der Konzerne und der dazugehörigen Wolkenkratzer (o.k., die der Sears nicht).
In die beeindruckenden Villen in unterschiedlichen historisierenden Stilen sind mittlerweile zahlungskräftige Executives eingezogen, nur der Erzbischof ist noch da und lässt sich in seiner prachtvollen Residenz im weitläufigen, offenen Garten von seinen Schwestern umsorgen. George Clooney wurde auch lange nicht mehr gesehen, die malerischen Häuser des Viertels dienen als Location für Film und Fernsehen, auch die Protagonisten von E.R. und ähnlichen Gassenhauern gingen hier einst ein und aus.
Nach Drehschluss haben die sicher auch den einen oder anderen Drink gezwitschert, puritanische Abstinenz ist den Bewohnern der Stadt erfreulich Fremd, sonst wäre ja Al Capone nicht auf seine exorbitanten Steuerschulden gekommen. Geheime Speak-Easies braucht es nicht mehr, Chicagos Szene boomt, lokale Garagenbrauereien florieren, auch den besten Whiskey brennt man gleich in der Stadt. Koval heisst der neue In-Drink, die Brennerei findet man gleich nördlich der Villen der Gold Coast. Die Initiatoren und Inhaber Sonat und Robert Birnecker sind typische Chicagoans, waren eigentlich am Weg zu einer internationalen Karriere, haben dann aber doch ihrer Begeisterung Tribut gezollt, der für das Brennen und die Stadt.
Natürlich, hier spürt man förmlich die Lebensqualität, und sieht auch endlich den See, an dessen schier endlosem Ufer zu jeder Stunde die Anrainer ihre Körper auf dem Laufenden halten. Sogar Strände gibt es, alle paar Meilen, und ambitionierte Schwimmer die geduldig ihre Bahnen vor dem Lake Shore Drive ziehen. Früher war das wohl mal eine recht beschauliche Tätigkeit, doch nachdem 1947 Robert Mc Cormick, Investor und reich an Einfluss und Barmitteln, einen gewissen Ludwig Mies van der Rohe mit dem Bau zweier richtungsweisender Wohnhäuser beauftragte, hat sich die Skyline und die Verkehrsdichte am Ufer nachhaltig verändert. Wie auch die Bauauffassung, `Weniger ist Mehr´ war van der Rohes Motto, dementsprechend zeitlos wirken die beiden schlicht-strengen Appartementblöcke, die seltsam kitschigen Ausgeburten der Postmoderne in der Umgebung scheinen sie nobel zu ignorieren.
Überhaupt ist es beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit hier unzählige riesenhafte Türme herumstehen, nicht so gedrängt in Stirnreihe wie in New York, aber die müssen ja auch alle auf einer winzigen Insel Platz finden. Hier gewährt man ihnen nobel Platz, reichlich öffentlicher Raum, Auditorien, Museen und Theater teilen sich das visionär vor Spekulanten gerettete Seeufer am Grant Park. Und an der Mündung des Chicago River in den See kann man sich sein Appartement in einem jener Hochhäuser aussuchen, welche, wie etwa der Aqua Tower, zeigen, wie es mit der Architektur in den nächsten Jahren weitergeht. Dazu musste man immer schon hierher kommen, grossen Visionären, Mäzenen und Baumeistern ist man immer mit Respekt begegnet. Selbst die Eisenbahn schlüpft dezent unter dem Chicago Art Institute durch, einem Museum, welches weder Louvre noch dem Met nachsteht, selbst ein ausschliesslich dort verbrachter Tag reicht bei weitem nicht aus, die reichen Sammlungen und Furore machenden Sonderausstellungen zu erforschen.
Aber nicht nur die Bahn nutzt das Souterrain von Chicago, auch etliche Schnell- und Zufahrtsstrassen finden dort auf mehreren Ebenen Platz. Einst lagen auch die am Tageslicht, dann wurde der Platz knapp, und man zog schlicht eine zusätzliche Ebene ein. Ungesehen konnten dort dann Al Capone´s Mannen ihre Ware zustellen, das Wort Unterwelt bekommt in Chicago eine sehr konkrete Bedeutung, heute warten jene auf ihre Chance, denen die Stadt bislang nicht so gut gesinnt war. Sind ausgesprochen freundliche und hilfsbereite Menschen, helfen verirrten Passanten den richtigen Ausgang zu finden, zeigen Interessenten zuvorkommend die Drehorte der Batmann Filme. Genau, mit Gotham City mag zwar eine andere Stadt gemeint gewesen sein, aber Chicago schaut einfach besser aus!