Mit der Auszeichnung „Geheimtip“ kann man nicht sparsam genug umgehen, erst recht, wenn man damit einen Ort adeln möchte, von dem man auf den ersten Blick überzeugt ist, das ihn ein jeder interessierte Tourist doch sicherlich kennen würde. Und genau davon war ich überzeugt, als ich erstmals nach Noto kam, dem neu angelegten, die alte Stadt am Hang der Hybläischen Berge hat ja das Erdbeben von 1693 gründlich verwüstet. Die Bewohner, nicht faul, haben aber ihr altes Noto nicht einfach wieder aufgebaut, sondern die Gelegenheit beim Schopf gepackt, und ein beeindruckendes Beispiel barocker Architektur aus dem Boden gestampft, da haben die Syrakianer unten im Sumpf aber Bauklötze gestaunt.
Doch der Reihe nach: gegründet wurde die Siedlung von Sikulern, die den Kolonisiatoren aus Korinth weichen mussten, welche sich an der Küste breit machten. Besonders angetan hatte es ihnen Ortyga, eine strategisch günstig zwischen zwei Naturhäfen liegende Insel, die sie nur noch mit dem dahinter liegenden, fruchtbaren Festland verbinden mussten und fertig war Syrakusai, den Namen hatten sie sich auch von den Vorbesitzern geborgt, „Syrakka“ nannten diese den Sumpf zwischen den beiden Flüssen, die in die Bucht münden. Und noch etwas machte Ortygia zum Objekt der Begierde und Ziel einer Landnahme: die Pygi Arethusas, eine Quelle, die der Sage nach von Wasser gespeist wird, welches unter dem Thyrrenischen Meer auf Intervention der Artemis aus Griechenland hierher geflossen sei, ein hervorragender Vorwand für die Karthager, um die ganze Gegend unter den Nagel zu reissen.
Woher sie das wussten? Nun, einerseits hat, wie uns Homer wissen lässt, schon Odysseus ein Auge auf die Küste geworfen, andrerseits waren die Sikuler schon länger als zur See fahrendes Volk amtsbekannt, schon ein Hethitischer Grosskönig hat über sie Informationen einholen lassen. Wahrscheinlich hatten sie ihre Informationen beim Orakel von Delphi organisiert, dem antiken Vorgänger der NSA, die Priesterinnen dort haben nämlich nicht nur im Drogenrausch Rat suchenden Herrschern kryptische Anweisungen erteilt, sondern vor sie Allem gründlich befragt, „abgeschöpft“ würden deutsche Kollegen sagen. Im Laufe der Zeit konnten die Agentinnen unter dem Parnass sich so ein ziemlich vollständiges Bild der antiken Welt ausmalen und der Verbreitung der hellenischen Hegemonie effektiv Vorschub leisten.
Syrakus also, gelobtes Land, fruchtbar wie kaum ein Landstrich im Herkunftsland, und weit und breit weder Athener noch Spartaner, die einem die Vormachtstellung streitig machten oder ihre politischen Vorstellungen aufdrängen wollten. Unter der Herrschaft guter Tyrannen entwickelte sich Syrakus zur Vorzeigekollonie, dank Schiller kennen wir zumindest Dionysios periphär, und selbst der soll ja recht gnädig gewesen sein, immerhin haben gleichzeitig die Athener dem klugen Sokrates den Schierlingsbecher gereicht, nur weil er so goschert war. Dionysios schlug sich derweilen mit den Karthagern herum, denen Sizilien auch gut ins Konzept passte, legte sich mit den Etruskern drüben am Festland an, kümmerte sich aber auch um seine Propaganda und liess Prachtbauten errichten, deren Spuren man immer noch in Syrakus bewundern kann.
Die gleiche Strategie verfolgten später auch die Römer, das zweite Theater der Stadt verdanken wir ihnen, kleiner zwar als das griechische Geviert, dafür mit Fliesswasser und ausgefeilter Bühnentechnik. Nach dem Untergang Roms kamen die Vandalen, taten, was sie tun mussten, bis Byzanz das römische Reich in seiner östlichen Ausformung wieder installierte, ausgerechnet Kaiser Konstans II. verlegte sogar seine Hauptstadt kurzfristig hierher. Dann kamen die Araber, später Normannen, dann Staufer, Aragoneser, Savoyer und Bourbonen, ab 1516 waren dann die Habsburger nicht mehr zu verhindern, in wechselnden Verwandschftsverhältnissen bestimmten sie Siziliens Geschichte zumindest mit, bis sich endlich Giuseppe Garibaldi 1860 ein Herz und einige tapfere Männer nahm, von Genua nach Marsala segelte, und von dort aus endlich Italien zusammen zimmerte.
Mittlerweile oben in Noto: über das Königreich beider Sizilien herrscht gerade Kaiser Maximilians Enkel Karl II, El Hechizado, der Verhexte, als das Erdbeben die einstige letzte Bastion des Islam in Italien zum Einsturz bringt. Zehn Jahre später, 1703, beginnt der Wiederaufbau, allerdings 6 Kilometer weiter unten, näher am Meer, Feinde sind weit und breit nicht mehr zu sehen, nur die Habsburger haben sich mit den Bourbonen in Erbstreitigkeiten verwickeln lassen, König ist nun Filippo Quinto, Herzog von Anjou, Sohn von Anna von Bayern. Die Sizilianer wird das wohl kaum gekümmert haben, Geld scheint reichlich vorhanden gewesen sein, sie ergehen sich in üppigstem Barock und bauen sich eine ordentliche neue Stadt. Drei Hauptachsen legen sie an den Hang, sehr kommod, so können die jeweiligen Anrainer standesgemäss verkehren, ohne Steigungen erklimmen zu müssen. Unten die Handwerker, in der Mitte die Bürger, auf der höchsten Ebene lässt sich der Adel nieder. Und mittendrin die Kathedrale, eine Perle des Barock aus hellem Kalktuff, der sich ob seiner Weichheit perfekt bearbeiten lässt, und so zur klaren Linie der Stadt beiträgt. Nur bei Statik und Ausführung der Kuppel hat sich der Architekt anscheinend verrechnet, die stürzte nämlich 1996 ohne ersichtlichen Grund ein. In der Zwischenzeit strahlt die goldgelbe Steinlaterne wieder makellos über der Stadt, der Dom ist fertig renoviert, selbst die Fresken leuchten wieder in alter Pracht von der Decke. Das ist Oleg Supereco zu verdanken, der junge moskowiter Meister des Fresco All´Secco hat nicht nur die heimischen heiligen wieder ans Firmament gepinselt, sondern sich selbst gleich dazu, man erkennt ihn gleich, sehr heilig schaut er nicht aus.
Einen Zusatznutzen hatte das Unglück auch, war Noto bis zum Bauschaden nur wenig bekannt und verfiel zusehends, rüttelte der Vorfall doch einige Zuständige wach, die UNESCO spielte auch mit, und so floss einiges Geld in die Renovierung des Doms aber auch die Revitalisierung der Stadt. Und die Italiener sahen die ganze Pracht im TiVu, fuhren im Urlaub hin, um zu sehen, was sie da Schönes bislang übersehen hatten. Da war dann natürlich auch nicht mehr zu verhindern, dass so manch zehlungskräftiger Römer oder potente Mailänderin sich ihr Teil vom Kuchen sicherte und den einen oder anderen Palazzo erwarb.
Auch Cristina Summa erfüllte sich einen Jugendtraum, erwarb den letzten Wohnsitz des Fürsten von Nicolaci in der 1737 von Uhrahn Giacomo, dem Baron von Bonfalà, in Auftrag gegebenen Villadorata. Die Nicolais, Ureinwohner Notos, waren Herren über eine Flotte von Thunfisch Fangschiffen, brachten es bis zu einem Quasi Monopol im Südosten der Insel, stiegen schliesslich über den Erwerb riesiger Ländereien und umfassender Bildung bis in den Hochadel auf. Seine Durchlaucht, die Letzte, hatte einen prachtvollen Ausblick von seinem Quartier, Cristina hat ihn auch uns bürgerlichen Reisenden zugänglich gemacht, in ihrer Maison d´Hotel 7roomsvilladorata nächtigt man in Gästezimmern die nach den vorherrschenden Winden Siziliens benannt und entsprechend eingerichtet sind. Und zwar auf einem Niveau, welches auch den hohen Herrschaften kaum Unmutsäusserungen abgenötigt hätte!
Verhungern lassen sie einen in Noto natürlich auch nicht, ganz im Gegenteil, da gibt´s für jeden Gusto die passende Gastro, kochen können anscheinend alle Sizilianer. Natürlich hat ein Jeder seine Erklärung für den unvergleichlichen Geschmack, meist landet man bei der Mama, wie etwa Marco Baglieri, Chef des gelobten, vom Papa als Trattoria übernommenen und zu Haubenniveau hochgekochten Ristorante il Crocifisso gerne zugibt. In jedem Interview, deren der Starkoch nicht wenige gibt, lässt er die neugierigen Gourmets wissen, dass er alles, was er kann, von der Mama gelernt hat. Was nicht weiter überrascht, aber warum dann nicht gleich zur Mama essen gehen? Die hat sich nämlich mit Giorgio, Marcos Bruder, zusammengetan, der mit dem Ristorante Dammuso ein weiteres Feinschmeckerplatzerl auf die Karte von Noto gesetzt hat. Und im Dammuso steht tatsächlich die Mama in der Küche und zeigt noch mal, wo der Löffel hängt. Klar ist, dass der Figlio sich da ordentlich ins Zeug lässt, in dem Alter will man sich ja von der Mama nicht mehr vorführen lassen, die sowieso einfach so traumhaft weiter kocht wie eh und jeh, die Konkurrenz beflügelt jedenfalls beide, gut für uns!
Natürlich kann man im Dammuso auch das Desert degustieren, genau wie im Marpessa gleich ums Eck, wo man, das Menú quasi von hinten aufzäumend, das Angebot der Konditorei aufs Feinste nach vorne bis zum vorzüglichen Antipasto ausgeweitet hat. Und für den Fall, dass man über den Appetit gespeist und den Durst gebechert hat offerieren die Gastgeber auch gerne die Nächtigung im eigenen Haus an (man muss sie nur fragen, öffentlich ist die Information nicht zugänglich, Sie verstehen;-).
Oder man macht es wie die Sizilianer, die pilgern manchmal von weit her nach Noto, um im Café Sicilia auf unbequemen, klapprigen Alusesseln auf dem Corso Vittorio Emmanuele ihre Granita zu geniessen. Dieses traditionelle Sorbet schmeckt zwar fast überall auf der Insel phantastisch, hier aber angeblich am Besten. Wer sich nicht zwischen Mandorla, Pistaccio oder Maulbeere entscheiden kann, bestellt einfach das Tris, ein Degustationsmenú mit den duftenden Aromen der Saison. Man kann so aber nicht nur den Tag beschliessen, ganz im Gegenteil, die Granita ist des Sizilianers bevorzugtes Sommerfrühstück. Ein Brioche dazu, und der Tag kann beginnen, so lässt sich auch der August ganz gut ertragen, bei den Sikulern!