Es mag verlockend erscheinen, sich Catania vom Meer her zu nähern, bringt bei genauerer Betrachtung aber rein gar nichts. Sicher, das Panorama mit dem majestätischen, schneebedeckten Aetna über den alten Ziegeldächern und barocken Kuppeln ist prachtvoll, es gibt auch einen Hafen, einen grossen gar, doch von der Stadt selber ist dieser durch eine Reihe von Verkehrsadern abgeschnitten, die Strasse ist da noch das kleinste Hindernis, optisch schiebt die Bahntrasse dem Blick den Riegel vor.
Der wahre Schuldige erhebt sich aber selbstbewusst hinter der Stadt, verbirgt sein Haupt meist -schuldbewusst(?)- in Wolken. Der Aetna beschert seinen Anrainern nämlich nicht nur dank fruchtbarer Erde und nie versiegenden Bächen reiche Ernte, ab und an zeigt er sein anderes, zerstörerisches Gesicht. Meist verlaufen die Eruptionen relativ harmlos, dann werden hurtig Dämme aufgeschüttet, die Lavaströme in geordneten Bahnen um bewohnte und genutzte Gebiete geleitet, der Flughafen bleibt ein paar Tage gesperrt, bis sich die Ascheschwaden verzogen oder gelegt haben.
Aber alle paar Jahrhunderte zeigt er, was er kann, am 8. März 1669 legte er gar den heftigsten historischen Ausbruch hin, spie bis zum 11. Juli Feuer, Lava und Felsbrocken. Das, bis dahin malerisch auf einem Felsvorsprung direkt am Meer gelegene Castello Ursino, unter Friedrich II. um 1255 auf den Fundamenten der normannischen Hafenbefestigungsanlage errichtet, steht seither scheinbar sinnlos quasi mitten in der Stadt, wenigstens hat der Burggraben die Lava umgeleitet und schlimmere Bauschäden verhindert. Und die Bewohner konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, ganz anders als 1693, als ein verheerendes Beben zwei Drittel der 20.000 Einwohner Catanias das Leben kostete.
Ein Deckenfresco im Dom von Catania führt anschaulich vor Augen, wie der Lavastrom aus einem Nebenkrater bei Nicolosi nahe der Stadt diese scheinbar umarmt, das Castello Ursino aus dem Hinterhalt überfällt, das Hafenbecken flutet, nur um schliesslich, nachdem er sich fast ein Monat an der Stadtmauer gestaut hatte, diese zu durchbrechen, ins Zentrum zu fliessen. Doch schon damals begann man, die Lava durch Dämme und Mauern, die man aus den Ziegel von für verloren erklärten, abgerissenen Häusern errichtete umgeleitet, um grösseren Schaden abzuwenden. Nichts desto Trotz hatten sich nach nur vier Monaten Landschaft und Küstenlinie völlig verändert, 37 Quadratkilometer erstarrtes Eruptionsgestein schufen neue geographische Gegebenheiten und begruben so manch historisches Baudenkmal.
Einen ganzen Kilometer neuen Landes fanden die Fischer schliesslich zwischen ihrem alten Markt und den Booten vor, als sie wieder ihren Geschäften nachgehen wollten, doch einen erfolgreichen Standort gibt man nicht so ohne weiteres auf. Und so stehen sie auch heute noch in ihren Gummistiefeln hinter der Fontana dell´Amenano zwischen Domplatz und dem Viadukt der Eisenbahn und preisen lautstark den frischen Fang des frühen Morgens an. Oder auch nicht, wer für die Qualität seiner Ware bekannt ist, teilt sie einfach zu, wie jener Scampispezialist, der aus riesigen Plastikbottichen ohne Unterlass die kleinen rosa Meeresfrüchte in Plastiksäckchen füllt, blitzartig wiegt und dankbaren Kunden überreicht. Hinter seinem Stand lehnt am Geländer einer Empore ein gutes Dutzend sachkundiger Beobachter, welche mit Kennerblick die Ware gustieren, als wären sie Dozenten, die einem berühmten Chirurgen über die Schulter blicken dürfen.
Nicht viel anders die Situation im dunklen Durchgang unter dem Erzbischöflichen Palais, das riesige Gewölbe dürfte auch schon seit Jahrhunderten die gleichen Geschäfte beherbergen. „Ich war der Erste und werde immer der Beste sein“ steht auf einem vergilbten Schild an einem Stand geschrieben, an dem ein älterer Herr mit dem Habitus eines Professors sich konzentriert mit dem Filetieren eines Thunfisches befasst, offensichtlich seine Studienrichtung. Jeden seiner Handgriffe beäugt kritisch eine adrette ältere Signora, die unschwer auch als verschrobene Contessa in einem Visconti Film durchgehen würde, offensichtlich hat sie das Layout zum Abendessen unverrückbar im Kopf. Daneben, vom langsam über die Dächer kletternden fahlen Sonnenlicht oder dem feinen Nieselregen durch einen fransigen Schirm beschützt warten borstige Seeigel auf Kenner, welche die köstlichen, nach purem Meer schmeckenden Innereien zu schätzen wissen, sicher nicht lange. Aus einem schmalen Fenster in den dicken Mauern schallt erst eine Bestellung, kurz danach greift eine Hand nach dem Edelstahlbehälter mit Ricci di Mare, welche kurz später durch die Tür einem gast im dazu gehörigen Restaurant serviert werden.
Den Fischern, die nun, am späten Vormittag, schon den grössten Teil ihres Arbeitsalltags hinter sich haben, steht der Sinn jedoch nun nach ganz anderen Genüssen, sie sehnen sich nach herzhafter, warmer Nahrung und nehmen einen riesigen dampfenden Kessel ins Visier. Unter der Eisenbahnbrücke hat, wie jeden Tag, Vitó seinen Gasbrenner aufgestellt, darauf brodelt eine interessante Brühe, in ihr dünsten Sangeli und Trippe, genau das, was durchgefrohrene Seemannsglieder brauchen. Unglaublich zart sind die Innereien, die Haut der Blutwurst knackt beim Hineinbeissen und gibt dann ihre köstliche Fülle preis. Trotz des offensichtlichen Genusses ist Vitó´s Budel die einzige, um die sich keine Touristen scharen, um so beliebter ist er offensichtlich bei den Einheimischen.
Dafür drängen sich die Fremden dann wieder um die Gemüsehändler, die sich in der Via Gesiri breit gemacht haben, unterbrochen nur von Geflügelhändlern und Fleischhauereien, deren Auslagen mit allen Arten von Tieren geschmückt sind, welche vier Beine haben und der Sizilianer für geniessbar hält, also praktisch allen einheimischen Säugetieren. Und weil er denen gerne ins Auge blickt, um Todesart und -Zeitpunkt sowie allfällige Anomalien vor der Zubereitung beurteilen zu können, haben die deutschen und amerikanischen Seniorengruppen von den Kreuzfahrtschiffen schon wieder etwas gefunden, wovor sie sich ekeln können. Der ernsthafte Esser hingegen lustwandelt durch diese Vorahnung des Paradieses, ihm fehlt zum vollendeten Glück nur noch die passende Küche.
Zum Beispiel so eine, wie man sie im Palazzo Asmundo findet, dieser liegt am Ende der Via Gesiri, während er Marktstunden ist das Tor, trotz seines riesigen Ausmasses, zwischen all den Viktualien und dreirädrigen Lieferrikschas kaum auszumachen. Auch stellt es noch ein stählernes Provisorium dar, Ersatz ist schon in Arbeit, zwei massive Eichenflügel werden bald wieder in den Angeln hängen, ganz so wie früher. Auf das damals völlig desolate Stadtpalais ist Günter Wetzelhofer gestossen, als er auf der Suche nach einem neuen Wohnsitz am Meer in Sizilien gelandet ist. Der Wiener hat die erste Hälfte seines beruflichen Lebens intensiv im Toursimusgeschäft geschuftet um sich mit Vierzig den Traum vom Leben im Süden zu erfüllen. Der Gefahr von Langeweile hat er sich aber nicht ausgesetzt, nach acht Jahren zwischen eingestürztem Dachstuhl, brüchigem Mauerwerk und folkloristischer sizilianischer Bürokratie steht er nun gerne in seiner makellosen italienischen Edelstahlküche im Dach seines Schmuckstücks und verwöhnt in aristokratischem Ambiente seine Gäste, welche draussen auf der Terrasse gerade den Aperitivo und den Ausblick auf die Skyline von Catania in der Dämmerung geniessen.