Eines muss man den Bewohnern von Thesaloniki lassen: Minderwertigkeitskomplexe haben sie keine! Wo sonst oft die Bewohner der zweiten Stadt eines Landes in Permanenz die ihre mit der Grössten vergleichen und deren Vorzüge preisen, zeigen sich die Menschen hier ganz zufrieden mit der ihren und deren Stellung.
Wobei, das ist eigentlich schon sehr untertrieben, sie sind richtiggehend stolz, und das wohl zurecht, haben ihren Platz in der Geschichte und Geographie endlich genau festgemacht. Und erstmals anscheinend eine Identität gefunden, die sie auf die Pole Position gehievt hat, nämlich als erste und wichtigste Stadt des Balkans.
Schon im antiken Hellas dominierte Athen, der grosse Makedonierchef Alexander hielt Hof in Pella, war aber meist ohnedies auf Geschäftsreise im nahen und fernen Osten. Wenigstens ist die Stadt nach seiner Schwester benannt, aber das war´s dann schon. Im oströmischen Reich war man zwar eine wichtige, aber doch nur Zwischenstation auf der Via Egnatia, dem Superhighway zwischen Rom und Konstantinopel. Die Nähe zu Byzanz war natürlich auch fruchtbar, mit Kyril und Method haben zwei Söhne der Stadt den wilden lesen, schreiben und beten beigebracht, genau, wegen des ersteren hat die slawische Schrift ihren Namen.
Kemal Atatürk, ebenfalls hier gebürtig, hat den Türken, neben der Idee des modernen Nationalstaates auch ein neues Alphabet gebracht, diesfalls das lateinische. Und schon in vorchristlicher Zeit war Saloniki eine der wichtigsten jüdischen Städte, halt wieder zweite nach Jerusalem, und erst recht nach der Reconquista. Die Osmanen waren da deutlich liberaler als die blutrünstige katholische Königin Isabella, die Sepharden fanden wohlwollende Aufnahme durch den Pasha und revanchierten sich durch prosperierende Handelstätigkeit.
Davon hat ganz besonders auch Saloniki profitiert, mit sechzigtausend Mitgliedern stellte die jüdische Gemeinde die Bevölkerungsmehrheit in der Stadt, nicht zu deren Schaden. Erst die deutsche Besatzung beendete dieses `goldene Zeitalter´, unser Ex-HBP hat davon leider nichts mitbekommen, obwohl das Offizierscasino einen prächtigen Ausblick über die Hafenstadt bot, `Panorama´ nennt man das Viertel, wo sie lag, zu übersetzen ungefähr mit `Alles zu sehen´, wie mein Vater mir erklärte, nur so viel dazu.
Was man von oben auch gut sieht, ist, dass die Stadt sich dicht ans Ufer drängt, nordöstlich in ein Hafen- und Industrie, andrerseits in eine scheinbar endlose Wohnvorstadt ausläuft. Ausserdem nicht zu übersehen: die im engeren Sinne für den neugierigen Gast interessante Stadt ist klar begrenzt, eingeschränkt durch die byzantinische Stadtmauer, alle Sehenswürdigkeiten scheinen sich dieser Ordnung zu unterwerfen, nur die Rotunda ragt selbstbewusst aus dem Häusermeer, hat sie doch alle Belagerungen und Naturkatastrophen überlebt. Als imposante Hauptachse läuft der breite Aristoteleous Boulevard vom Forum Romanum bis unmittelbar ans Meer. Gesäumt ist er von prachtvollen Gründerzeitbauten, im Schatten der Arkaden mustert man das Angebot in den Schaufenstern kleiner Boutiquen, nimmt einen schnellen kühlen Drink im stehen, trifft Bekannte, tauscht sich aus. Und unten an der Uferpromenade reihen sich Cafés, Bars und Restaurants aneinander, man sitzt draussen, nur durch die Promenade von der Ägäis getrennt.
An dieser trifft sich die Stadt, rund um die Uhr, morgens traben die Jogger direkt am Wasser während unentwegte Fischer ihre Angeln ins Wasser halten und auf der Fahrbahn dahinter der Frühverkehr langsam zäh wird. Tagsüber laden zahlreiche Lokale zum schnellen Plausch oder einem wichtigen Geschäftsessen. Und wenn sich dann die Dämmerung über den Thermaischen Golf senkt, tun die Griechen das, was sie immer noch am besten können: das Leben geniessen.
Vom `Weissen Turm´ bis zu den Hallen des alten Piers, die mittlerweile Lokale und kulturelle Veranstaltungsorte beherbergen, wälzen sich die Massen, und zwei, drei Blocks in die Stadt hinein, wo auch die Kontore von `Ladadika´ eine neue Nutzung erfahren. Der Mitteleuropäer wundert sich, wenn er weit nach Mitternacht im Stau steckt, sei es zwischen hupenden Autos auf der Strasse oder im ausgelassenen Getümmel der engen Gassen.
Und mittendrin: der Herr Bürgermeister! Iannis Boutaris wohnt quasi erste Reihe Parkett, und hat auch sonst keine Berührungsängste. Im Wahlkampf liess er sich von einem Filmteam begleiten, ohne jede Einschränkung blieben sie ihm auf den Fersen, dokumentierten sowohl den Besuch in der, von ihm selbst gegründeten Alkoholiker-Selbsthilfeorganisation, als auch seine heftige Kontroverse mit dem Metropoliten der Stadt. Sogar die wohlmeinenden Vorschläge seiner Freunde im Beraterstab, sich nicht mit den Religiösen anzulegen darf man miterleben. Ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen spricht Boutaris die Probleme der Stadt, aber auch der Gesellschaft insgesamt an, `so denk´ ich nun mal, und wenn das jemandem nicht passt, soll er mich halt nicht wählen´, schlägt er guten Rat fröhlich in den Wind.
Nun, es waren dann offensichtlich doch genügend Sympathisanten, knapp aber doch wurde `Kyr Iannis´ gewählt, und wenn man das rege Leben und die bewegte Geschichte der Stadt betrachtet, kann man auch gut verstehen, warum sich die Bewohner für diesen unkonventionellen Freigeist entschieden haben. Sie trauen ihm auch zu, die Stellung ihrer Stadt als Primus auf dem Balkan zu verteidigen, auch wenn so mancher die Initiativen, türkische und israelische Touristen vermehrt in diese, für beide so wichtige, Stadt zu holen anfangs nicht ganz geheuer war. Doch man lässt ihn machen, hat er doch schon als Geschäftsmann bewiesen, dass er weiss, was er tut. Seine Winzerei zählt zu den renommiertesten Griechenlands, während der Bruder seine Hälfte des Familienunternehmens diversifiziert und erweitert hat, konzentrierte sich Kyr Iannis auf Qualität und Authentizität. Das hat sich wohl bezahlt gemacht, er geniesst Respekt in der Stadt, soeben wurde er mit deutlicher Mehrheit bestätigt. Was seinen Wein anlangt, muss man sich auch keine Sorgen machen, den wählt man gerne immer wieder, schade nur, dass er selber gar nicht weiss, wie gut der tut. Iannis Boutaris ist nämlich seit einem knappen viertel Jahrhundert trockener Alkoholiker, besucht regelmässig die von im gegründete Selbsthilfegruppe, spricht auch oft darüber. Genau diese legere Offenheit dürfte den Bewohnern Salonikis gefallen, man merkt es an ihrer Stadt.
48Stunden
Essen+Trinken
Le Nouveau Café
Nicht nur für den ersten Café eignet sich dieses gar nicht mehr so neue Etablissement an der Ecke von Platz und Promenade prächtig. Mit Blick auf Meer und Aristotelous Platz findet man beim `Nescafé Frappé´ rasch einen Plan für den Tag, falls doch nicht, kann man bis zum Sundowner bleiben.
Plateia Aristotelous 2
Café Olympeion
Etwas weiter hinten unter den Arkaden kann man sich hier nicht nur zurückziehen, wenn der Wind vom Meer her weht, auch so manches schnelle Geschäft wird hier abgeschlossen. Nicht zu empfehlen, wenn man incognito bleiben will.
Plateia Aristotelous 10 & Mitropoleous 37
Kitchen Bar
Am Pier 1 legen schon lange keine Schiffe mehr an, dafür finden Hungrige nun hier einen sicheren Hafen. Und zwar egal, ob ihnen der Appetit nach physischer oder geistiger Nahrung steht. Man sitzt entweder in der alten Lagerhalle rund um auf die offene, innovative Küche, oder draussen am Wasser mit Blick auf die Skyline. Und das von früh bis spät, nachts wird es hier richtig voll.
Pyli 1, Warehouse B, Limani, +30 2310 502241
I Giannoula
Wen beim Sightseeing plötzlicher Hunger packt, der ist bei Kyria Giannoula bestens aufgehoben. Oberhalb der römischen Agora kocht sie seit 1974 beste Hausmannskost, wie man es von einer 80 jährigen griechischen Jiaja erwarten darf. Das Beste steht oft nicht auf der Karte, fragen und ein wenig Geduld zahlt sich aus!
Od. Kassandrou 50, +30 2310 263928
Fri
Ladadika nennt sich das verwinkelte Viertel nahe am Hafen nach den Lagerhäusern der Olivenöldealer, die von hier ihre Geschäfte machten. Nach dem grossen Feuer von 1917 ist die Gegend eine der wenigen, wo noch die alte Struktur erkennbar ist, ideal geeignet für kleine Lokale. Das `Fri´ ist ein Ouzeri-Mezedopoleio, ersteres steht für den sprichwörtlichen griechischen Lebenssaft, zweiteres für die kleinen Vorspeisen, ohne die man hierorts niemals dem Alkohol huldigt.
Doxis 4 & Salaminos, Ladadika, +30 2310 222008
Ouzo Melathron
Lassen Sie sich nicht von den zahlreichen Touristen täuschen, diese Ouzeri in einer engen Seitengasse beim Markt neben der Aristotelous zählt auch zu den Favoriten der Einheimischen. Neben den üblichen Mezedes frönt man hier der Fleischeslust, bestes Lamm, ob gegrillt oder in Süssweinsauce ist Geschmacksache.
Karypi 21, +30 2310 275016
To Inglis
Kallitheas heisst der Platz ums Eck hier in der Oberstadt, zur schönen Aussicht, die hat man aber auch von der Terrasse dieser Taverne. Und dazu pontische Küche, das heisst hier schmeckt´s fast wie im alten Konstantinopel. Und Dienstags und Mittwochs spielen dazu die Rembetes live auf ihren Bouzukis und Tsambounas.
Irodotou 32, Ano Poli, +30 2310 11967
Wohnen+Schlafen
The Met Hotel
Das Haus wirft Clichés über den Haufen, würde man ein solches doch eher in Londons Docklands erwarten. Bei den Docks liegt es dann auch, und doch nicht weit vom Zentrum, von der hippen Bar am Dach sieht man hinüber. Beim Frühstück im grünen Hof blickt man auf einen fetten Porsche von Wurm, auch sonst ist moderne Kunst allgegenwärtig. Wie auch das dezente Service des zuvorkommenden Personals.
Od. 26 Oktobriou, +30 2310 017ooo, www.themethotel.gr
Electra Palace
Historisches Haus, privilegierte Lage, traumhafte Aussicht. Am Aristotelous Platz gelegen wohnt man mitten im Zentrum, Ausstattung und Service sind luxuriös, und beim Frühstück auf der Dachterrasse sieht man die ersten Sonnenstrahlen die Heimat der Götter am Olymp wachküssen.
9, Pl.Aristotelou, +30 2310 294000, www.electrahotels.gr
Bristol
Das Hotel in einem prachtvollen Gründerzeithaus liegt in einer ruhigen Gasse im Zentrum und ist das einzige historische Hotel der Stadt. Seit 1860 beherbergt es anspruchsvolle Klientel, im Jahre 2000 wurde es authentisch restauriert und kombiniert nun moderne Ausstattung mit ottomanischem Stil.
2, Od. Oplopiou & Katouni, +30 2310 506500, www.bristol.gr
City Hotel
Ganz modern hingegen bietet das City einen Zufluchtsort nach einem anstrengenden tag in der City, neben dem Design sind Ökologie und Nachhaltigkeit Leitlinien des Eigners, der schräg gegenüber mit dem Excelsior auch noch ein traditionelles Luxushotel betreibt. Dessen klassizistische Facade bildet die schönen Aussicht vom Balkon, den Apivita City bietet nur das City.
11, Od. Kominion, +30 2310 269421, www.cityhotel.gr
Augustos
Das historische 3-Stern-Haus aus dem Jahre 1920 wurde soeben renoviert, sogar die Deckenfresken strahlen jetzt in neuem Glanz. Direkt an der Egnatia, der alten Römerstrasse nach Byzanz und in der Nähe von Hafen und Bahnhof liegt es verkehrsgünstig und doch mitten in der Stadt. Typisch griechische Gastfreundschaft zu fairen Preisen.
4, Od. Elenis Svorou, +30 2310 522550, www.augustos.gr
Anschauen
Religiös Byzantinisch
Wieder mal Zweiter steht Saloniki nur Byzanz selbst, heute Istanbul genannt, in Sachen byzantinischer religiöser Sehenswürdigkeiten nach. Schon im 4. Jahrhundert wurde die erste Kapelle zu Ehren des Stadtpatrons Agios Dimitrios eingeweiht, die, wie auch die folgenden dreischiffigen Basiliken, Raub der Flammen wurden. Basis der existenten Kirche ist die 634 fünfschiffig errichtete und 1493 bis 1912 als Moschee genutzte grösste Kirche Griechenlands, die vom grossen Feuer 1917 schwer in Mittleidenschaft gezogen erneut wiederhergestellt wurde. Neben Mosaiken aus dem 7. Jahrhundert fasziniert die Krypta, in den einstigen römischen Bädern soll Demetrios als Märtyrer gestorben sein. Die als einzige unzerstört erhalten gebliebene Kirche Panagia Archiropoetos aus dem 5. Jahrhundert bezaubert mit fragilen Steinmetzarbeiten, die Aghia Sophia, im 8 Jahrhundert nach dem Vorbild jener in Konstantinopel als Kathedrale der Stadt auf römischen Thermen erbaut durch ihre Mosaike und Fresken.
Byzantinisches Museum, 2, Leof. Stratou, www.mbp.gr
Imperial Römisch
Eine bewegte Geschichte hat die 306 von Kaiser Galerius als Pantheon oder Tempel für Zeus errichtete Rotunda. Erst wurde sie zum Mausoleum für Galerius, dann zur Kirche, unter den Osmanen zur Mosche, und schliesslich wieder zu einem christlichen Gotteshaus umgewidmet. Ein Jahr früher wurde der Galerius Bogen fertig, ein Triumphtor in der römischen Mauer, welches den Sieg über die Perser feiert und in filigranen Reliefs darstellt. Durch das Tor führt noch immer die Via Egnatia, Verbindungsstrasse zwischen den beiden Roms, westlich liegen die Ausgrabungen des Palastes von Caesar Galerius und des Hippodroms, östlich davon das Forum Romanum, welches anlässlich des geplanten Neubaus des Gerichtsgebäudes und der Metro zum Vorschein kam. Beide ermöglichen nicht nur einen Einblick in die Vergangenheit, sondern zeigen auch eindrücklich die Spannungen des Alltagslebens an einem derart geschichtsträchtigen Ort.
Archeologisches Museum, 6, Od. M. Andronikou, www.amth.gr
Kommerziel Osmanisch
Als Shopping Arterie zieht sich die Tsimski Avenue durch die Stadt, benannt nach dem Byzantinischen Kaiser Armenischer Herkunft, der im 10 Jahrhundert die heranstürmenden Abessiden noch erfolgreich abwehrte. Ob sein Name nun von den roten Schuhen oder der kleinen Statur kommen mag ist einerlei, er hätte sich in den zahlreichen Boutiquen jedenfalls problemlos einkleiden können. Der Kapani Markt wiederum kümmert sich um das leibliche Wohl, übersichtlich wird alles feil geboten, was den Appetit anregt, die Atmosphäre ist levantinisch. Ähnlich das Angebot im Modiano Markt ein Stück weiter nördlich, der Name erinnert an die bedeutende jüdische Kaufmannsfamilie, aus der auch der Architekt der klassizistischen Markthalle aus dem Jahre 1922 stammt. Im Giebel erinnern die stehen gebliebenen Zeiger der grossen Uhr an das Erdbeben von 1978. Das Gebäude des Bezesteni Marktes schliesslich ist durch und durch osmanisch, sechs Kuppeln überdecken die Halle, in der hauptsächlich Gold, Schmuck und feine Textilien gehandelt wurden. Und gleich nebenan steht noch immer das türkische Bad zur Erfrischung bereit.
Ethnologisches Museum, 162, Leof. Vas Olgas, www.lemmth.gr
Kulturel Modern
2014 ist Thessaloniki Europas Jugendhauptstadt, dementsprechend reich fällt das kulturelle Angebot aus. Schon seit langem behauptet dagegen das jährliche Filmfestival seinen hervorragenden Rang, im November geht es zum 55 Mal über die Bühne. Etwas jünger, aber nicht weniger bedeutend, ist das Dokumentarfestival im März. In der Photographie spielt man mit der Biennale und dem Photo Festival international mit, das Photomuseum am Pier 1 ist dann das Hauptquartier der Veranstaltung, aber auch die restliche Zeit mit seinen Ausstellungen immer einen Besuch wert.
Film- und Photomuseum, Warehouse A, Limani. 1995 anlässlich Thessalonikis Wahl zur Kulturhauptstadt 1997 ins Leben gerufen beherbergt das Museum nicht nur das international renommierte jährliche Film Festival, mit seiner Sammlung von Geräten, Dokumenten und Beispielen bietet es auch einen detaillierten Einblick in das griechische Filmschaffen. www.cinemuseum.gr, photobienniale-greece.gr
Filmempfehlung: `One step ahead´. Dimitris Athiridis hat Iannis Boutaris während seines Wahlkampfes 2010 mit Kamera und Mikrofon begleitet, und dabei ein beeindruckendes Dokument über den unkonventionellen Stil des heute 71 jährigen Rebellen gezeichnet, der sich weder von den Drohungen des Metropoliten noch den Warnungen seiner Berater von seinem Weg abbringen lässt.