Ich sag´s lieber gleich, mein Herz schlägt links, habe von den Eltern Empathie gelernt, soziales Verantwortungsgefühl, vom Herrn Papa politisch-rational, von der Mama christlich-spirituell, Egoismus, Raffgier und das Bedürfnis, sich anderen überlegen zu fühlen war nie Inhalt meiner Erziehung. So, das wäre mal gesagt, nur dass es dann nicht wieder heisst, der Homolka ist so ein weltfremder Sozialutopist. obwohl: schon auch!
Wir können uns also nun Kuba zuwenden, einem Land und einer Gesellschaft, welches, gleich dem gallischen Dorf von Asterix und Obelix, sich nicht und nicht einem übermächtigen Imperium unterwerfen will, mit all den mühsamen Konsequenzen, die solche Sturheit mit sich bringt. Ist für uns im „Westen“ ja kaum zu verstehen, wie man sich gegen die Errungenschaften der freien Marktwirtschaft, des Kapitalismus und dem Primat der individuellen Freiheit stellen kann. Und für jene, welche doch ihre Zweifel haben, gibt´s dann noch die freie Presse, die, durch Inserate finanziert, das Hohe Lied des Konsums anstimmt, und alle Alternativen als utopisch, undurchführbar oder infantil darstellt, oder, wie Mutti Merkel in solchen Fällen sagt: unser System ist alternativlos.
Man muss aber nicht unbedingt in den Slums von Mexico leben, unter einer Brücke in Athen oder gar in Afrika, um schön langsam seine Zweifel zu bekommen, ob denn wirklich Alles so perfekt läuft in unserem System. Nicht nur in der so genannten Dritten Welt gehört es zum Strassenbild, dass verwahrloste Strassenkinder die Scheiben hermetisch verschlossener Luxusautos putzen, um sich so vielleicht doch wenigstens eine tägliche Mahlzeit zu erarbeiten, das sieht man auch in Süd- und Osteuropa immer öfter. Super System, isn´t it?
Nun, auch in Havanna versuchen Menschen mit allerlei kreativen Ideen, den einen oder anderen konvertiblen Peso zu verdienen. Der ist vierzehnmal so viel Wert wie die gewöhnliche lokale Währung, die Kaufkraft entspricht damit, durchaus nicht zufällig, jener des Yankee Dollars, manche Dinge des täglichen Gebrauchs erhält man nur mit dieser Luxuswährung, Seife zum Beispiel. Typische Strassenjobs, mit denen Kubaner in Havanna an diese wirklich brauchbaren Pesos zu gelangen trachten, umfassen die ganze Bandbreite kleinkünstlerischer Beschäftigungen vom Musizieren über Singen, Tanzen und Malen bis zu jener Tätigkeit, welche nach keiner wie auch immer gearteten Ausbildung verlangt: sie stellen Kubaner dar und lassen sich dafür bezahlen, dass man sie photographiert. Für den Photographen bedeutet das allein in Havanna, bei einer Einwohnerzahl von gut zwei Millionen, von denen mindestens jeder zweite eine Belichtung rechtfertigt, einen unüberwindlichen Finanzbedarf. Allerdings lassen die Menschen mit sich durchaus reden, auf meine Erklärung, es wäre mein Beruf, sie abzubilden, und nachdem ich ihnen mein durchschnittliches Honorar für die Veröffentlichung eines Artikels dargelegt hatte, liess sich eigentlich ein Jeder photographieren, mit manchen leerte ich auch ein kleines Glas Rum, um das kommt man in Kuba ohnedies nicht `rum.
Es gibt da in Kuba eine Institution, welche Kritiker gerne mit der Stasi vergleichen, was zeitweise sicher völlig zutreffend war. Das CDR, Komitee zur Verteidigung der Revolution, ins Leben gerufen unmittelbar nach eben jener, als Batistas Anhänger und von den Amerikanern angestachelte und unterstützte Kräfte versuchten, ihren Einfluss und ihre Pfründe zu verteidigen, wurde es mit Informationen der Bevölkerung ausreichend gefüttert, um das neue System abzusichern. Man vergisst ja gerne, dass die Revolution nicht von aussen kam, sondern von einem ganz dringenden Wunsch der Bevölkerung nach fairen Verhältnissen genährt wurde. Auch wenig später, als von der CIA als Söldner unterstützte Exil-Kubaner in der Schweinebucht mit der Absicht landeten, das System Fidel zu beseitigen, waren es vor Allem ganz gewöhnliche Kubaner, welche die Invasion zu einer peinlichen Episode für die Yankees machten. Die konnten einfach nicht glauben, dass den meisten Kubanern das neue Regime einfach lieber war, als jenes unter Batista und der schützenden Hand des grossen imperialistischen Bruders im Norden, einfach weil die schönen bunten Autos und ausgelassene Abende in Nachtclubs wie dem Tropicana nur einer privilegierten Minderheit vorbehalten waren. Tja, man sollte halt die eigene Propaganda mit Vorsicht geniessen.
Das CDR verarbeitete also Information aus der Bevölkerung, erst über Revisionisten, dann auch über etwaige systemkritische Umtriebe, mittlerweile scheint es den Schwerpunkt seiner Arbeit wieder ganz in Richtung Übernahme sozialer Aufgaben verlagert und viel von seinem schlechten Ruf abgeschüttelt zu haben. Die Komitees, welche in jedem grösseren Wohnblock, Stadtviertel oder Dorf verankert sind, ihr Personal und ihre Führung demokratisch wählen, sind einerseits in Prozesse der Gesetzgebung insofern eingebunden, als sie Feedback weitergeben, andrerseits sorgen sie für die Umsetzung von Verbesserungen der Lebenssituation, momentan augenscheinlich sehr beliebt sind Massnahmen im Umweltschutz. Man kann an die Komitees auch Beschwerden richten, etwa in Sachen Strom- und Wasserversorgung, die versuchen dann zuständige Stellen zu motivieren Reparaturen zu veranlassen, hier setzt die Bürokratie ein, die genau so gut funktioniert wie fast überall.
Mindestens genau so ernst nimmt man soziale Verantwortung wahr, medizinische Versorgung, und die Betreuung der Senioren. Ich hatte die Ehre, vor Allem aber das Vergnügen, ein „Haus für den Opa“, wie man hier Tagesheimstätten nennt, offensichtlich ein Erbe jener Zeit, als sich auch im revolutionären Kuba die neue Rollenverteilung nicht herumgesprochen hat, zu besuchen. Das Haus in Centro Havanna steht in der Nähe der Callejon de Hamel, einer schmalen Gasse voller bunter Graffiti und Kunstobjekten, mitten drin auch ein Atelier von Salvador Gonzáles Escalona, dem diese künstlerische Initiative zu verdanken ist. Davor trifft man oft seine Frau, die nicht nicht nur gerne dem interessierten Besucher dieses afro-kubanische Paralleluniversum näher bringt, sondern als Vorsitzende des Komitees auch gleich einen Besuch im Nachbarschaftszentrum initiiert.
Im farbenfrohen Entree des Hauses sitzen auf altmodischen Liegestühlen etwa zwei Dutzend Damen und Herren, von denen die meisten wohl die Revolution unmittelbar miterlebt haben, schwätzend, plaudernd, flirtend, stolz erzählt ein Pärchen, dass sie sich gerade erst hier gefunden und verliebt haben. Stolz verweist eine elegante, sehr europäisch wirkende Lady mit gepflegtem weissem Haar auf ihr Alter, vierundneunzig Jahre, man sieht´s ihr echt nicht an, sie ist aber noch lange nicht die Älteste! Eine andere, kurz geschnittenes weisses Haar bringt ihre afrikanischen Züge hervorragend zur Geltung, erhebt sich und stimmt „dos Gardenias para ti an“, ihre Interpretation steht jener von Omara Portuondo in nichts nach.
Ja, sie hat fünfzig Jahre als Sängerin gearbeitet, klar kennt sie die berühmte Kollegin, aber die ist ja noch blutjung. Ausgelassen geht es weiter, es wird gesungen, getanzt, geplaudert, bis die Köchin zum Mittagessen ruft. Gleich, gleich, aber vorher wollen sie uns alle zusammen noch ein Lied singen, das scheint ihnen und der Animateurin am Herzen zu liegen. Und dann beginnen sie aus voller Kehle loszulegen, mit festen Stimmen intonieren sie die Hymne an einen der Säulenheiligen der Revolution: Commandante Ché Guevara!
Klar, auch für sie ist unerwarteter Besuch sicher Grund zur Freude, aber die Inbrunst, mit der sie einem ihrer Helden und Führer huldigen, kann nicht nur einstudiert sein. Da spürt man mehr, die Alten haben viel erlebt, von den Zeiten Batistas über den Bürgerkrieg, die amerikanische Blockadepolitik, die schwere Wirtschaftskrise der euphemistisch „Sonderperiode“ genannten Zeit nach dem Zerfall des Sowjetimperiums, bis herauf zu den Reformen des kleinen Bruders Raoul Castro, der altersmässig genau hierher passen würde.
Es ist sehr bewegend, diesen Menschen lauschen zu dürfen, ihren Enthusiasmus zu spüren, bei allem, was an dem System zu kritisieren ist, so schlecht dürfte es nicht sein. Oder, wie eine Alte gemeint hat: „Wenn ich Kuba mit anderen Ländern in Mittelamerika vergleiche, stelle ich fest: dort geht es manchen viel besser, aber der grossen Mehrheit viel schlechter. Bei uns kriegt jeder, was er braucht, genau dafür haben wir gekämpft!“