homolka_reist

unbezahlbar!

„Siebzigtausend Dollar hat mir ein Italiener geboten, keine Chance!“ Ernesto, genannt Johnny, ist mit Geld nicht nicht rumzukriegen, auch wenn eine derart exorbitante Summe ihm in Kuba eine völlig sorgenfreien Lebensabend garantieren würde. Das Objekt der Begierde ist ein knallroter Ford Thunderbird, Baujahr 1959, und damit eines der letzten Exemplare dieses Inbegriffs dekadenter westlicher Motorisierung, welches es gerade noch ins vorrevolutionäre Kuba geschafft hatte. Er ist aber bei weitem nicht der einzige Strassenkreuzer jener Ära, der auf Kubas chronisch umausgelastetem Strassennetz seine Runden zieht, weit über hunderttausend Exemplare in unterschiedlichsten Erhaltungszuständen spielen immer noch ihre tragende Rolle im Individualverkehr. Doch Johnny´s T-Bird ist ein Paradiesvogel, bis er ihn vor zehn Jahren von ihr gekauft hatte, war er das Alltagsauto einer älteren Dame, sie hatte ihn damals von ihrem Liebhaber geschenkt bekommen. Und der war zufällig jener Präsident und spätere Diktator Fulgencio Batista, welcher vor den „Barbudos“ gerufenen bärtigen Revolutionäre um Fidel Castro 1959 ins Exil floh, natürlich nicht ohne ein Vermögen von 300 Millionen Dollar mitzunehmen. „Nur den Ford seiner Freundin hat er nicht mehr gekriegt, wenigstens den konnten wir auf der Insel halten!“

Johnny kost nur einer von vielen Enthusiasten, welche die hier Amandrones genannten Ami-Schlitten nicht nur am Leben halten sondern ihnen oft sogar neues einhauchen. Talentierte Mechaniker haben schon früh begonnen, in die robusten Karossen kleinere Motoren einzubauen, vorzugsweise solche von Fiat, denen das Fahrzeug rundherum in der karibischen Seeluft rasch weggerostet war. Die resultierenden Vehiculos Particulares, Privatautos, befördern tagtäglich als überbesetzte Sammeltaxis zum Einheitstarif Einheimische oder nach umständlichen Preisabsprachen Touristen im Tausch gegen die gefragten Pesos Convertibles, die Währung, für die man in Kuba praktisch Alles kriegen kann. Auch einen alten Thunderbird, “ dreitausend hab ich gezahlt, etwa noch mal so viel reingesteckt“ erzählt Johnny, für zweihundertfünfzig Pesos kutschiert er einen nun drei Tage durch Kuba, und zwar durch´s echte.

„Ich komme gerade mal wieder aus Varadero“, erklärt Bobby entspannt im Fond des riesigen Caddillac Fleetwood seines Freundes, er arbeitet als Guide, sie haben ein paar Touristen aus der Resort-Stadt Havanna gezeigt, „dieser Ort hat mit Kuba rein gar nichts zu tun, so was gibt es doch überall!“ Er ist immer wieder frustriert, nach diesen Ausflügen, zu stolz ist er auf die vielfältige Schönheit seiner Insel, versteht nicht, wieso man so lange im Flugzeug sitzt, um dann erst nur am Strand zu liegen. „Gut, dass Edelweiss die Destination geändert hat, wenn man in Havanna ankommt ist die Versuchung nicht so gross, auf der faulen Haut liegen zu bleiben!“

Tun ja die Kubaner auch nicht, vor Allem seit das „in die eigene Tasche Wirtschaften“ nicht nur nicht mehr verpönt sondern geradezu erwünscht ist. Natürlich führt dieser karibische Kleinkapitalismus noch lange nicht zur Anhäufung von Produktionsmitteln in den Händen weniger privilegierter, aber so manch geschickter Landmann versteht es mit seinen Produkten jene Nachfrage zu befriedigen, die gerne auch in harter Währung bezahlt wird. So haben die Brüder Montesino ihre Finc bei Finales bis an die legale Grösse von 60 Hektar pro Person vergrössert, um ihre Tabakernte einzubringen müssen sie schon Arbeiter beschäftigen. Die Setzlinge kommen erst aufs Feld, wenn der vorher dort ausgepflanzte Mais abgeerntet ist, innerhalb von nur vierzig Tagen sind dann die riesigen grünen Tabakblätter reif, danach kommen sofort die Bohnen, welche den Boden auch gleich düngen, alles bio und nachhaltig, das nur ganz nebenbei.
Den Löwenanteil der Ernte müssen die Montesinos zwar an die staatliche Zigarrenindustrie abliefern, doch die schönsten Blätter verarbeiten sie nach Trocknung, Reifung und Fermentierung selber zu perfekten Coronas mehret Grössen, die im Ab-Hof-Verkauf an Touristen reissenden Absatz finden, wahre Kenner pilgern auch schon mal extra hierher. „Momentan versuchen wir gerade, vom Ministerium die Genehmigung zu einer eigenen Marke zu bekommen. Dann sollten wir einen noch besseren Preis erzielen können!“

Doch nicht nur ihr Tabak erzielt etwas, was bei uns im kapitalistischen System als Marktpreis bekannt ist, auch Obst und Gemüse bekommt man nicht mehr nur gegen Bezugsschein im Lebensmittelgeschäft. Bei einer der Abfahrten der Ringautobahn rund um Havanna haben in der Dämmerung etliche Pick Ups und alte russische Lkws am Strassenrand Aufstellung genommen, ihre Ladung ist unter den Planen nicht zu erkennen, also frage ich Bobby nach ihrer Mission. Ein bisschen umständlich erklärt er, dass die Fahrer bei den Bauern am Land Ware gekauft hätten, und nun hier auf Kleinhändler aus der Stadt warten, „wie nennt man das bei euch?“ Grossgrünmarkt schreibt er sich dann in sein Notitzbuch, das Wort hat er weder beim Studium in der DDR gelernt, noch auf Kuba bis jetzt benötigt, und bei seinem Lieblingsautor Stefan Zweig kommt es auch nicht vor.

Noch besser schmecken diese im Land des ewigen Frühlings gewachsene Früchte natürlich ohne Zwischenhändler und Transport, Gelegenheit sich davon zu überzeugen bietet die rasch wachsende Zahl von Paladares, kleinen Restaurants in privaten Häusern oder Wohnungen. Von denen gibt es ja genug, enteignet wurden nach der Revolution nämlich nur Konzerne und amerikanische Firmen, Kubaner durften ihre Häuser behalten, selbst in den Villen der spanischen Konquistadoren leben meist noch deren Nachfahren. Allerdings fehlten denen die längste Zeit die Latifundien, um die Pracht auch zu erhalten, Rauls pragmatische Reformen haben da neue Chancen eröffnet. Seit Fidels´ kleiner Bruder relativ grosszügige Regeln für Privatinitiativen verkündet hat, dürfen die Damen des Hauses ihre Speisezimmer öffnen, holen Uromis schönstes Service vom Dachboden, und feuern mächtige alte Herde an. Oder stellen Tische auf die Terrasse ihrer Finca, holen aus dem Garten, was gerade reif, schlachten was fett ist, frisches aus dem Meer fehlt auch selten, die Küste ist ja immer nah, für die frischeste Ware bekommt der Fischer Devisen. Und so wundert man sich bei der Bestellung auch bald nicht mehr über die Frage: „Schwein oder Hummer?

In der Stadt müssen die neuen Selbstständigen natürlich andere Talente ausgraben, gut, dass die Kubaner so musikalisch sind, auf authentische Tisch- oder Tanzmusik muss man so nie verzichten. Und in einer renovierten Lagerhalle im Hafen regiert die bildende Kunst, Bilder in allen Grössen und Techniken sind gefragte Souvenirs, besonders die Aquarelle von Amandrones in der Altstadt und Stiche mit dem Antlitz von Dr. Ché Guevara gehen offensichtlich gut, auch einige Graffiti Künstler haben auf Papier umgeschult, lässt sich schliesslich einfacher verkaufen als eine Fassade. Sind aber immer noch genug da, die lieber auf Wände malen, gleich ums Eck in der Callejon de Hamel zeigen sich sogar die Wasserspeicher auf den Dächern kunterbunt. Eigentlich ist die ganze Gasse ein dadaistisches Kunstwerk, Skulpturen und Slogans an der Wand erschaffen eine surreale Traumwelt. Erschaffen hat sie Salvador Escalona Gonzalez im afro-kubanischen Stil, die Farben, Figuren und Symbole stehen dabei in Beziehung zu jenem Kubanischen Volksglauben, der Katholizismus mit afrikanischen Naturreligionen verbindet, und offensichtlich auch hervorragend die Staatsreligion ergänzt. Erklärt jedenfalls jene nette Dame, die sich schliesslich als Gattin des Künstlers ortet und ausserdem die Vorsitzende des Komitees zur Verteidigung der Revolution des Viertels ist.

„Aufgabe des CDR war früher vor Allem, Augen und Ohren für die Partei offen zu halten, mittlerweile nehmen wir aber hauptsächlich soziale Aufgaben wahr“, erklärt sie, „kümmern uns um Ausbildung, Gesundheitsvorsorge und Altenbetreuung.“ Wir könnten auch gerne eines der Tageszeiten für Senioren besuchen, wenn wir wollten, ist gleich um die Ecke. Im farbenfrohen Entree des Hauses sitzen auf altmodischen Liegestühlen etwa zwei Dutzend Damen und Herren, von denen die meisten wohl die Revolution unmittelbar miterlebt haben, schwätzend, plaudernd, flirtend, stolz erzählt ein Pärchen, dass sie sich gerade erst hier gefunden und verliebt haben. Stolz verweist eine gepflegte, sehr europäisch aussehende Lady mit gepflegtem weissem Haar auf ihr Alter, vierundneunzig Jahre, man sieht´s ihr echt nicht an, sie ist aber noch lange nicht die Älteste! Eine andere, kurz geschnittenes weisses Haar bringt ihre afrikanischen Züge hervorragend zur Geltung, erhebt sich und stimmt „dos Gardenias para ti an“, ihre Interpretation steht jener von Omara Portuondo in nichts nach. ja, sie hat fünfzig Jahre als Sängerin gearbeitet, klar kennt sie die berühmte Kollegin, aber die ist ja noch blutjung. Ausgelassen geht es weiter, es wird gesungen, getanzt, geplaudert, bis die Köchin zum Mittagessen ruft. Gleich, gleich, aber vorher wollen sie uns alle zusammen noch ein Lied singen, das scheint ihnen und der Animateurin am Herzen zu liegen. Und dann beginnen sie aus voller Kehle loszulegen, mit festen Stimmen intonieren sie die Hymne an einen der Säulenheiligen der Revolution: Commandante Ché Guevara!

Klar, auch für sie ist unerwarteter Besuch sicher Grund zur Freude, aber die Inbrunst, mit der sie einem ihrer Helden und Führer huldigen, kann nicht nur einstudiert sein. Da spürt man mehr, die Alten haben viel erlebt, von den Zeiten Batistas über den Bürgerkrieg, die amerikanische Blockadepolitik, die schwere Wirtschaftskrise der euphemistisch „Sonderperiode“ genannten Zeit nach dem Zerfall des Sowjetimperiums, bis herauf zu den Reformen des kleinen Bruders Raul Castro, der altersmässig genau hierher passen würde.
Es ist sehr bewegend, diesen Menschen lauschen zu dürfen, ihren Enthusiasmus zu spüren, bei allem, was an dem System zu kritisieren ist, so schlecht dürfte es nicht sein. Oder, wie eine Alte gemeint hat: „Wenn ich Kuba mit anderen Ländern in Mittelamerika vergleiche, stelle ich fest: dort geht es manchen viel besser, aber der grossen Mehrheit viel schlechter. Bei uns kriegt jeder, was er braucht, genau dafür haben wir gekämpft!“

Wiener_11-14_93_Kuba

Dieser Beitrag wurde am 2014/11/05 um 17:52 veröffentlicht. Er wurde unter amandrones, havanna, kuba abgelegt und ist mit , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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