Ihre alten Kampfjets geben die Schweizer nicht her. Die Piloten machen das Cockpit auch nicht gerne frei. Damit sie nicht rosten zeigen sie wehrlosen Gästen ihre höchsten Gipfel. Spannend!
Vom Pre-Flight-Briefing durch Paul Ruppeiner sind mir nur die letzten Worte in Erinnerung, alle vorherigen Anweisunge vergessen: „Wenn ich Ausstieg anordne, hast du drei Sekunden Zeit. Dann bin ich draussen!“ Merci vielmal, da hab ich wohl keine Wahl, im Gegensatz zum erfahrenen Piloten der Schweitzer Luftwaffe habe ich nämlich keine Ahnung davon, wie man einen Kampfjet steuert. Auch nicht, wenn er nur viertausendsechshundert Kilopond Schub bietet, was angeblich schwach ist, in der Welt der Jetpiloten. Selbst über dem Meer hätte ich wohl schwierigkeiten, auch nur ein kontrolliertes Manöver zu vollenden, schon gar nicht hier in Ambri.
Aber Platz ist in der Kleinsten Hütte, pardon, im kleinsten Chalet, würde der Schweizer sagen, und erst recht im engsten Tal. Man kann sich das eigentlich gar nicht richtig vorstellen, wie so ein Jet sich mit fünfhundert Knoten durch eine schmale gewundene Schneise im Tessin einfädelt, wo sich schon Bahngeleise und Autobahn im Weg stehen, die Berggipfel verschwinden in tief hängenden Wolken. Und will es auch gar nicht, wenn man gerade seinen Fallschirm umgeschnallt bekommt. Und dann wären hier noch die Staatsstrasse, ein Fluss, ein Dorf namens Ambri, und, unglaublich, was die Schweizer alles in eine Hütte bringen, wenn sie nur wollen, ein Flughafen mit allem Drum und Dran.
Na gut, nicht gerade allem, einen Tower sucht man vergeblich, der Hangar ist auch eher nur zum sich Unterstellen bei Platzregen geeignet, und die Zufahrt erfolgt vom Ort her quer über die Piste, ein Schranken soll Interessenskonflikte vermeiden helfen. Wer den steuert? Das erledigt der startende oder landende Pilot selber, drei mal kurz auf die Funktatse gedrückt, und der schliesst sich. Oder war´s vier mal? Nun, die Anrainer kennen die Geräusche, wissen, wie schnell man sein muss, wenn ein Jet startet oder eine alte Klapperkiste landet, den Rest erledigt wohl die Evolution.
Wenigstens hat die Dorfjugend reichlich Gelegenheit, ihre Sinne zu schärfen, die Eidgenossen fliegen offensichtlich so reichlich und begeistert wie wir Wiener, nun, was eigentlich, sagen wir mal Spritzer trinken, das dürfte hinkommen. Hat natürlich etwas mit der Verteidigung der Lufthoheit zu tun, die ja in Österreich, ach was, lassen wir das einfach, wohingegen die Schweiz, also die nehmen ihre Luftwaffe sehr ernst und lassen sich´s auch etwas kosten. Einsatzflugzeuge immer am letzten Stand der Technik, Training erstklassig, Personalstand hoch. Nun ist aber Pilot anscheinend kein Beruf wie jeder andere, wohl eher eine Berufung, möglicherweise sogar eine Suchterkrankung, jedenfalls scheint die Schweiz voll von pensionierten Piloten zu sein, die die Finger nicht von ihrem Knüppel lassen können. Paul Ruppeiner hat sich überhaupt gleich früher in den Ruhestand versetzen lassen, damit er mehr Zeit zum Fliegen hat. Da trifft sich´s natürlich blendend, dass die Luftwaffe die Flotte ständig erneuert, ausmustert was nicht tiptop ist, aber Neutral wie sie nun mal sind, die Eidgenossen, verkaufen sie ihre Gebrauchtvögel nicht an irgendwelche windige Nebenerwerbsdiktatoren auf fernen Kontinenten, sondern an ihre verdienten Senioren.
Beziehungsweise an Fliegerclubs, die sich dem Erhalt der historischen Flugzeuge verschrieben haben, wobei ich nicht sicher bin, ob das nicht nur ein Vorwand ist, hurtig über Berg und Tal zu zischen. Auch der Pilatus PC7, in den ich als nächstes gezurrt werden soll, hat seinen Dienst für die Heimat hinter sich. Eine komplette Staffel soll aus Altenrein einfliegen, sobald sich die Nebel gelichtet haben. Natürlich kostet das auch ein bisserl `was, Flugbenzin ist zwar nicht Mehrwertsteuerpflichtig, aber so ein Jettrainer bläst schon ordentlich Sprit durch die Düsen, macht dafür aber auch ordentlich Strecke, ein Knoten sind fast zwei Stundenkilometer, rechnest du. Schön, dass die Schweiz so manch florierende Firma beheimatet, traditionsreiche gar, und wenn eine Uhrenmanufaktur wie ORIS, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg für die US Air Force Fliegeruhren entwickelt hat, diesen Umstand feiern will, dann haben Alle was davon. Nicht nur die Firma ihre Werbung und die Clubs Unterstützung, sondern, so wie heute hier in Ambrí, auch ganz gemeine Fans, die Gelegenheit zu einem Rundflug erhalten. Halt nicht im ausgemusterten Militärjet, aber die alte Antonov hat auch ihre Reize, ihr Sternmotor brummt beruhigend vor sich hin, draussen zieht beruhigend der Wald vorbei, jeden Specht sieht man, so nahe fliegt sie am Abhang entlang.
Nächstes Briefing, Marco Guscio wird mich in der PC 7 pilotieren, selber fliegt er eine ältere PC 3, beruflich bei der Kantonspolizei Helikopter, macht den Eindruck eines besonnenen Profis. Diesmal passe ich von Anfang an auf, merke mir, wo man den Schleudersitz auslöst, frage auch gleich, wieviel Zeit ich habe, bevor die gläserne Kuppel wegfliegt. „ach, die durchschlagen wir einfach“ lautet seine entwaffnende Antwort. Ob er Loopings fliegen soll und wieviel G ich vertrage erkundigt er sich noch schnell, als wir auf die Piste rollen. Kein Problem, habe schon die Hawker hinter mir. Beeindruckt ihn wenig, „mit der kann man hier herinnen keine ordentlichen Manöver fliegen, zu schwerfällig, die Pilatus macht da schon mehr Spass!“
In der Tat, die 650 PS reichen, um das Fluggerät mit dem Gewicht eines Kleinwagens vehement vom Boden zu reissen, die anschliessende scharfe Rechtskurve lässt meine Hand mit der Kamera hart gegen den Sitz knallen. Während ich Halt suche schliessen unsere beiden `Wingman´ auf, wir fliegen ein paar Manöver über dem Tal, kippen ab, schiessen auf den Flughafen hinunter, der gemeinsame Überflug in enger zehn Metern über den Köpfen der Zuschauern muss von unten spektakulär aussehen. Den Meldungen in den Kopfhöhrern entnehme ich, dass wir die Formation auflösen, jeder sich ein Übungsgebiet aussucht, wir nehmen den Gotthard, nettes Sightseeing, bis zur entscheidenden Frage: Ob ich bereit sei für ein paar Manöver? Merci vielmals, mal sehen was geht, bei 4 G meist nichts mehr, wenn mir schwarz wird vor den Augen soll ich´s sagen – wenn ich noch kann.
Marco beginnt mit einigen harmlosen Scheinangriffen auf den Pizzo Rotondo, zirkelt dann in einer engen Kehre nach Süden, hart an italienischem Luftraum vorbei, Sturzflug auf den Lago dei Cavagnöö zu, ich ahne, was als nächstes kommt. Die Elbogen fest im Cockpit verkeilt versuche ich, die Kamera auf die Landschaft zu richten, der Gletscher des Basodino im gleissenden Licht ergäbe einen schönen Kontrast zum knallblauen Himmel über den Wolken. Irgendwann gewinnt schliesslich doch die Schwerkraft, später werde ich feststellen, dass ich nur mehr meine Knie und das Cockpit photographiert habe. Immerhin sieht man darauf auch die zuständige Anzeige, bei etwas über 5G steht der Zeiger. Mit freiem Auge gesehen hätte ich ihn da nicht mehr, nur an einen weissen Gipfel vor dem dunklen Himmel erinnere ich mich noch, und an die Frage von vorne: „hascht´ die Kamera noch in drr Hand?“
Hatte ich, denn das war die grösste Sorge von Marco, dass sich die selbsständig macht und irgendwo dagegen knallt, sie hätte in der Kurve immerhin ungefähr zwölf Kilo gewogen. Auch Walter Stüntzi war gleich besorgt wegen des Apparats, gut sichern sollte ich ihn, und ja nicht loslassen. Er war mein letzter Luftchauffeur für den Tag, ausgesprochen entspannt und nahm sich meiner fürsorglich an. Ob ich warm genug angezogen wäre, empfahl mir sicherheitshalber eine alte lederne Fliegerjacke, fellgefüttert, steif und schwer. Auch er war schon längst im Reservestand, hat Dienst auf all den anwesenden Kampfflugzeugen geleistet, und doch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Notfallbriefing hat er auf´s Minimum reduziert, „Aussteigen? Ich flieg doch nicht zum Abstürzen! Und mit der Stearman schon gar nit!“
Wäre auch reichlich kompliziert, zwischen all den Stützen und Wanten des Doppeldeckers durch zu klettern. Für ihn nicht, er sitzt hinten, ich hingegen geniesse den freien Ausblick des Bordschützen auf die schweizer Bergwelt. Manchmal so nah, dass ich meine die Schafe auf der Alm kraulen zu können, es riecht nach frischem Heu. „Und“, fragt Walter wieder am Boden, „welcher Flug hat dir am besten gefallen?“ Nun, der Jet war atemberaubend, der Trainer bewustseinserweiternd, aber wenn ich wählen müsste, ich nähme den offenen alten Doppeldecker! „Dacht ich´s mir doch. Du fährst Töff, odr? Ist wie mit dem Motorrad durch die Gegend zu tuckern, das totale Naturerlebnis. Aber mit einer zusätzlichen Dimension von Freiheit!“