Western Wall, Jerusalem
24. Juni 2016, 10:22
Es gibt reichlich Gründe Jerusalem zu besuchen, vor Allem Anhänger der drei großen monotheistischen Weltreligionen scheinen geradezu davon besessen zu sein, hier dicht an dicht ihrem Schöpfer nahe zu treten. Oder wenigstens einen Ort aufzusuchen, an dem einer der Messiasse gewirkt, den ein Prophet bezeichnet beziehungsweise ein Tempel geziert hat. Bei allem Respekt, mich erinnert´s ein Bisschen an jene Touristen, die zu den Locations von Sound of Music pilgern, aber denen macht´s ja auch Freude, gibt ihnen Kraft, soll sein!
Es gibt natürlich auch Auswüchse, „Jerusalem Syndrom“ heißt die psychotische Störung, über 400 Patienten hat man in der Psychiatrie des Kfar Shaul Hospital schon behandelt. Insbesonders rund um die hohen christlichen Feiertage kann man immer wieder beobachten, wie bis dahin ziemlich unauffällige Menschen sich ein Kreuz auf die Schultern legen und dieses durch die engen Gassen schleppen. Auch Johannes der Täufer ist regelmäßig auf Besuch, oder Maria Magdalena, selbst Moses mach manchmal seine Aufwartung. Nur die Moslems scheinen Immun zu sein, aber denen hat ja auch keiner versprochen, dass der Messias wiederkehrt.
Am vielfältigsten treten die Juden hier auf, bei denen gibt es ja von defacto atheistisch bis superreligiös so ziemlich jede Schattierung zu bewundern. Erstere findet man in der Altstadt kaum, abgesehen vielleicht von den Sicherheitsbeamten, die sich alle erdenkliche Mühe geben, die unterschiedlichen Glaubensgruppen auseinander zu halten. Ab Freitag Nachmittag strömen sie nämlich alle in die Altstadt, erst die Moslems zum Felsendom, jetzt, am Ende des Ramadan bei 40 Grad meist schon recht ermattet. Dann wuseln die orthodoxen Juden durch die engen Gassen, immer hastig, mit wehenden Pajes, Gebetsschals und weiten Mänteln, als hätten sie Angst, G_tt nicht mehr in ihrer Lieblingssynagoge anzutreffen. Besonders schweißtreibend ist die natürlich für jene strenggläubigen Chasiden, deren Vorfahren aus Osteuropa stammen. Die sind nämlich überzeugt, dass sie Ihm nur gefallen, wenn sie wagenradgroße Pelzhüte tragen. Der Brauch wurde zwar erst im 19. Jahrhundert erfunden, war in Nordpolen vielleicht auch sinnvoll, dass so eine Bekleidungsvorschrift nirgends in der Tora erwähnt ist versteht man aber gerne angesichts des im Heiligen Land seit jeher herrschenden Klimas.
Ich war natürlich nicht aus Glaubensgründen dort, G-tt möge abhüten, aux contraire, das Opernfestival war mein Ziel. Auf Einladung des Bürgermeisters durften ein paar Musikjournalisten den Aufführungen beiwohnen, Höhepunkt war wohl Verdis Rigoletto im Pool des Sultans, einer riesigen Zisterne im Schatten der Stadtmauer. Dafür mussten wir aber natürlich auch zur Pressekonferenz des Bürgermeisters, bei der auch der Sinn der Sache klar wurde. Nir Barkat, erfolgreicher IT-Unternehmer, hat 2008 den orthodoxen Vorgänger abgelöst, seine Partei heißt „Jerusalem wird erfolgreich sein“, das ist durchaus wirtschaftlich zu verstehen. Und weil die religiösen Besucher meist nicht gar so viel Geld ausgeben gilt es den ganz normalen, zahlungskräftigen Touristen anzusprechen, egal woher er kommt. Was, wie man sieht, auch ganz gut funktioniert.