„Ich hoffe, ihr habt warme Pullover mit, in Nuwara Eliya wird´s ziemlich frisch“ warnt uns Pem Wickramsinghe und wir halten es für einen reichlich plumpen Scherz. Wir haben uns nach einer langen Nacht im klimatisierten Flugzeug noch nicht an die Schwüle von Sri Lankas Küstenland gewöhnt, obwohl wir auf deutlich wärmere Temperaturen als Daheim vorbereitete waren, aber warme Kleidung? Nicht wirklich.
Die haben wir dann auch schnell wieder vergessen, erst mal geht es in die letzte der drei königlichen Hauptstädte aus vergangenen Zeiten, bevor die verschiedenen europäischen Kolonialisten das Geschäftszentrum an die Küste und die Briten die Hauptstadt schließlich verkehrsgünstig nach Colombo verlegten. Stetig sanft bergauf schwingt die Straße durch zusehends schütterer werdende Ortschaften, die sich vor Allem durch zahllose Verkaufsstände und Geschäfte am Straßenrand auszeichnen, dazwischen wird eifrig Landwirtschaft betrieben, hauptsächlich manuell. Nicht alles, was nach Reisfeld aussieht ist tatsächlich ein solches, auch verschiedene Getreidesorten stehen im feuchten Erdreich, nachdem die Vorboten des Monsuns ihre feuchten Grüsse entboten haben funkelt überall zwischen dem grellen Grün das stehende Wasser durch. Gummistiefel hätten sich im tiefen Boden schon längst ihrer Träger entledigt, doch der Sri Lankese kennt das Problem ohnehin nicht, er geht lieber gleich bloßfüßig, nicht nur im Tempel.
Während wir in unserem kleinen Bus langsam Höhe gewinnen bietet sich uns auch gleich die Gelegenheit die grundlegend andersartige Gesellschaftsform des Landes an Hand der Art kennen zu lernen, wie man hier den Straßenverkehr anlegt. Völlig chaotisch, würde der unvorbereitete Westler sagen, man könnte die vordergründig rücksichtslose Nutzung des vorhandenen Raumes allerdings auch als zutiefst pragmatisch deuten. Hat man das zweifelhafte Glück, in der ersten Sitzreihe die unverstellte Aussicht auf den heranbrausenden Gegenverkehr zu genießen, ist man zwischen Bewunderung für die stoische Ruhe und souveräne Fahrkunst des Chauffeurs und akuten Panikattacken hin und hergerissen. Wie auch in Indien haben die Briten ihre spiegelverkehrte Straßenverkehrsordnung hierher mitgebracht, doch im Gegensatz zu ihren Verwandten vom Subkontinent, welche sich offensichtlich meist schon auf die versprochene Inkarnation freuen, verlässt man sich auf der kleinen Insel auf höfliche asiatische Rücksichtnahme. Und sei´s auch oft nur im letzten Augenblick. So finden auf der zweispurigen Hauptverkehrsachse, von link beginnend, problemlos beim Fischhändler haltende Motorräder, erratisch manövrierende TukTuks, gemütlich dahinstrampelnde Radfahrer, der rare SUV-Herrenfahrer, häufig haltende Linienbusse, sowie einander hektisch überholende Fahrzeuge unterschiedlichster Klassen ab. Und sollte irgendeiner mal auf die Idee kommen, am gegenüber liegenden Straßenrand zuzufahren, auch kein Problem, dann teilt sich der Verkehr wie das rote Meer und fließt unbeeindruckt weiter.
Auf einer Seehöhe von 500 Metern über dem indischen Ozean angekommen laufen wir in Kandy ein, der Hauptstadt des letzten singhalesischen Königreichs. Ende des 15. Jahrhunderts hatten die Herrscher der Insel hier oben im Hochtal vor den Portugiesen Zuflucht gesucht, und gefunden, die sich an der Küste breit gemacht hatten, und immerhin bis 1815 erfolgreich alle Versuche der wechselnden Kolonialmächte abgewehrt, ihnen ihr Königreich Kandy abzuknöpfen. Den etwas irreführenden Namen verdankt es dem Unwillen der Briten, sich die korrekte Bezeichnung „Kanda uta rata“ zu merken, vielleicht wollten sie aber deren Bedeutung „Königreich auf dem Berg“ schlicht nicht zur Kenntnis nehmen. Sie haben´s dann aber ohnehin bekommen, 1867 gleich auch die erste Eisenbahn hierher gebaut, wenig verwunderlich, das Klima hier ist schon viel angenehmer als in der Tiefebene. Unter anderem wegen des Stausees, den König Vikrama Rjasingah schnell noch drei Jahre vor seiner Abdankung anlegen liess, quasi eine Klimaanlage als unfreiwilliges Einstandsgeschenk für die beharrlichen Briten. Gespeist wird der von träge durch die Stadt fließenden Mahaweli Ganga, dem mit 350 Kilometern weitaus längsten Fluss Sri Lankas. Vom, etwas außerhalb der Stadt am Ufer gelegenen Cinnamon Hotel sieht man ihn sich majestätisch aus dem Regenwald herauswälzen, unschwer versteht man, dass die Produzenten der „Brücke am Kwai“ in Sri Lanka den idealen Drehort für die Verfilmung des Romans von Pierre Boulle fanden.
Den idealen Wohnort haben sich natürlich rechtzeitig die Könige gesichert, direkt am See, mit Blick auf die kleine Insel, die sich durch ein Tunnel unter dem See erlustwandeln ließ. Und weil, nicht unähnlich der europäischen Aristokratie, ja eigentlich aller Herrscher von irgendjemandes Gnaden, der Führungsauftrag irgendwie göttlich untermauert werden wollte, haben die Singhalesen sich halt immer ein Originalstückerl vom historischen Buddah organisiert und ihm in ihrem eigenen Palast einen Verehrungsort eingerichtet. In Kandy ist das der Zahntempel, der nicht wegen der vergoldeten Elephanten Stoßzähne die den Schrein bewachen so heisst, sondern wegen des Eckzahns Siddharta Gautamas, der darin verwahrt wird. Ein mal in der Woche wird er gereinigt, wobei aus Sicherheitsgründen einige Kopien existieren, ob aus Angst vor Ungläubigen oder Karies kann selbst Pem nicht genau sagen. Drei mal täglich wird der Schrein geöffnet, auf dass Gläubige sich an seiner Wundertätigkeit erfreuen können, in ihm ist, der Überlieferung nach, die spirituelle Kraft des Buddha gespeichert, sein Besitz war daher auch ein Machtinstrument, immerhin soll er die Kraft des Regenmachens beherrschen, und das Reich seines Besitzers auf ewige Zeiten vor Dürre Schützen. Allerdings findet man im weitläufigen Tempelbezirk auch den achteckigen Turm der Bibliothek, die Könige dürften sich also nicht nur auf religiöse Methoden verlassen haben, die seit Jahrhunderten auf ihren Befehl angelegten Stauseen im ganzen Land dürften das Ihre zu verlässlichen Ernteerfolgen beigetragen haben.
Drei der vier Tempel der Anlage sind zudem Hinduistischen Gottheiten gewidmet, dazu gibt es noch eine Moschee und eine Kirche, kann also gar nichts schiefgehen. „Als Bewohner einer kleinen Insel waren wir schon immer neugierig, sind mit allen Besuchern gut ausgekommen“ erklärt Pem die Vielfalt der kulturellen Einflüsse, „und als Buddhisten erst recht! Schaut der Buddha da nicht aus wie Apollo?“ In einer Halle neben dem Zahntempel ist das Leben Buddahs und die Odyssee des Zahns in bunten Bildern nachzusehen, ganz am Anfang ist tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit hellenistischen Darstellungen zu erkennen. „Das bezieht sich auf den Stil von Ghandara, eine Gegend, die unter Alexander d. Gr. erobert und künstlerisch beeinflusst wurde!“ Na gut, erst die Griechen, dann die Araber, deren Nachkommen hier als Moors in den Bevölkerungsstatistiken zu finden sind, oder, nach Vermischung mit den Holländern oder Portugiesen als Burgher, schließlich die Engländer, dazu Tamilen aus Südindien, nicht zu verwechseln mit jenen, die schon als Händler zu Zeiten der islamischen Eroberung gekommen sind. Und übrigens von den zugewanderten Tamilen während des Bürgerkrieges aus ihren angestammten Siedlungsgebieten im Norden vertrieben wurden.
Von dem ist, den Göttern sei Dank, nichts mehr zu spüren, außer ein paar Verwaisten Kontrollposten an der Straße in den Norden. Dorthin, in die von Pem als Dry Zone bezeichneten Landschaft, reisen wir weiter, um die zwei weiteren Königsstädte des Kulturdreiecks zu besuchen. Ab 400 v.u.Z. war dies Anuradhapura, danach Polonnaruwa, beide bedeckten eine riesige Fläche, sind aber mittlerweile großteils überwuchert und lassen ihre einstige Grösse nur erahnen. Wer sich allerdings die Mühe macht, die 1200 Stufen auf den kahlen, 500 Meter hohen Magmablock von Sigiriya zu erklimmen, kann sich eine beeindruckende Vorstellung davon machen, wie ausgeprägt das Gemeinwesen der singhalesischen Zivilisation um die Zeit Christi Geburt gewesen sein muss, Anuradhapura war immerhin, noch vor Athen, die neuntgrößte Stadt der Welt. Gleichzeitig mit der Gründung der Stadt wurde auch ein Mahabodhi Baum gepflanzt, nicht ident mit jenem, den man heute bewundern kann. Der dürfte dafür tatsächlich ein Ableger von jenem sein, unter dem Buddha seine Erleuchtung hatte, wurde jedenfalls gut zweitausend Jahre lang verehrt und bewacht, ist also alleine dafür schon anbetenswert!
Wirtschaftlich und für die Bekanntheit Sri Lankas jedoch weitaus bedeutender ist die Camellia sinensis, unter ihrem chinesischen Namen und zumal als Ceylon Tee hat sie die Tassen dieser Welt erobert. Den hat natürlich auch ein Brite gebracht, der Schotte James Taylor, um genau zu sein, und das auch erst, nachdem der Rotpilz die bis dahin blendend gedeihenden Kaffeesträucher ausgerottet hatte. Gerade im Hochland, welches nach Eroberung des „Königreichs auf dem Berg“ reichlich Platz für Plantagen bot, gedeiht der Tee ganz prächtig, den Arbeitskräftemangel behob man mit dem Import südindischer Tamilen. Die arbeiten, teilweise auch in Eigenregie, immer noch dort, in die Berge haben sich die Rebellen ja erst gar nicht getraut. Weil, und da hat Pem Recht behalten, da oben ist es schön frisch, zuweilen gar saukalt. Erstmals auf der Reise fiel beim Betreten des Hotelzimmers im köstlich kolonialen St. Andrews nicht der eiskalte Luftstrom der Aircondition auf sondern das lauwarme Säuseln der Heizung. Auch der englische Garten, die Royal Mail Station, der Golfplatz und die Pferderennen passten ins Bild, dass die Teefabrik, in der wir mit den Geheimnissen der Herstellung betraut wurden, auf den Namen Glenloch hörte und damit dem Schotten Taylor Reverenz erweist ist da geradezu der Tropfen Milch in der Tasse heißen Wassers.
Und sonst? Na klar, Ayurveda, ist hier ganz alltäglich, Apotheken und Ärzte gibt es in beiden Ausprägungen, die östliche Medizin schmeckt aber immer besser als die westliche, außerdem klingen die Nebenwirkungen, so es überhaupt welche gibt, lustiger als auf unseren Beipacktexten. Dann waren da noch Elephanten, sogar mit eigenem Waisenhaus, Krokodile, allerdings satt und faul, angeblich sind die Wasserwarane aggressiver. Die Affen hingegen nur lästig, lassen mit Vorliebe Nüsse von hoch oben in den Bäumen aufs Blechdach fallen, um an ihr Frühstück zu gelangen und streiten dann gerne lauthals um ihren Löwenanteil. Nein, Löwen gibt es dort nicht, dafür Leoparden, die passen vom Fellmuster ohnehin besser zur bunten Landestracht. Man kann sich all die Viecherln im Yala Nationalpark gemütlich vor Augen halten, manche sogar von der Terrasse der Bungalows aus. Deshalb wird man beim einchecken auch instruiert, sich zum Abendessen von einem Angestellten abholen zu lassen, der kommt dann sicherheitshalber mit einer starken Taschenlampe ausgestattet als Body Guard. Und schützt einen vor, nein, nicht was sie denken, am gefährlichsten sind die Wildschweine! Vor allem, wenn sie gerade Junge haben, kennt man ja, die Papas sind dann ausgesprochen wachsam. Wäre nicht notwendig gewesen, die süße kleine Frischlingsherde, die sich lautstark im kleinen Bächlein unter meinem Zimmer vergnügte, nahm jäh Reißaus, als ich versuchte, sie zu photographieren, Mutti hatte gerufen. Musste ich wenigstens nicht auf meinen Boy warten, um rechtzeitig zum Frühstück zu erscheinen. Danach ging es übrigens an den Strand, blendend weiß, herrliches Wasser, schöne Wellen, könnte man auch blendend surfen oder einen Badeurlaub machen hier. Kein Wunder, dass Pem es, in Kenntnis von 16 Ländern, die er bereist hat, ohne Umschweife zu seinem Lieblingsland erklärt. „Ich hoffe, Sie können das verstehen!“ Ja, können wir. Nur einen Chauffeur müsste man sich halt leisten.