Bereits zum 62. Mal erscheint der Guide Michelin heuer in seiner Italienischen Version, älter ist nur das französische Original. Für die Ausgabe von 2017 hat man sich vom gewohnten Präsentationsort in der Lifestylekapitale Mailand erstmals hinaus gewagt und mit dem TeatroRegio und dem Farnese in Parma einen überraschenden wiewohl absolut angemessenen Ort für die Auszeichnung der besten Italienischen Chefs gewählt.
Die kleine Stadt Parma ist eigentlich ein durchwegs logischer Austragungsort, nicht nur wegen dem atemberaubenden Barocktheater, sondern vor Allem der kulinarischen Vielfalt halber, die sich schon in den beiden für die gesammte Italienische Küche prototypischen Produkten zeigt, die ihren Namen tragen: Prosciuto di Parma und Parmiggiano Reggiano! Dass mit dem Stabilmento Pedrignano Barilla vor der Stadt auch noch die größte Pasta Fabrik der Welt betreibt passt auch ganz hervorragend ins Bild. Nur drei der Gründe für die UNESCO, die Stadt mit dem Titel „Stadt der kreativen Gastronomie“ zu Adeln und für uns, ihr einen intenisven kulinarischen Besuch abzustatten.
Schon bei der ersten Erkundungs-Passeggiata wird schnell klar: hier hängt der Himmel voller Schinken! In der Strada Garibaldi, die schon in römischer Zeit als Via Principalis Lebensachse der Stadt war, reiht sich ein Alimentari ans andere, die Theke ziert ein mächtiger Laib Parmesan, Wand und Decke sind mit zahllosen köstlichen Schinken verhängt. Natürlich ausschließlich jene aus Parma, dafür bürgt das Brandzeichen des Consorzio. Die fünfzackige Krone ist natürlich jene des Herzog von Parma, die den gereiften Schweinepopo erst nach gewissenhafter Prüfung durch den Inspettore tragen darf. Der schiebt zu diesem Behufe einen zugespitzten Pferdeknochen ins mindestens ein Jahr gereifte Fleisch, schnüffelt daran, und erteilt hoffentlich seinen Segen.
Um die erforderliche Qualität möglichst immer zu erzielen unterwerfen sich die etwa vierhundert im Consorzio organisierten Betriebe einem strengen Reglement, beginnend mit dem Rohstoff, den ausschließlich italienischen Schweinen aus nur zehn Regionen, die bei der Schlachtung mindestens neun Monate alt und hundertvierzig Kilo schwer sein müssen. Der Produktionsprozess orientiert sich an der historischen Schinkenherstellung, der sich die Bauern im Winter widmeten. Als erstes wird die etwa 15 Kilo wiegende Keule vom Salzmeister mit Meersalz eingerieben, und zwar in drei verschiedenen Feuchtigkeitsgraden und je nach Fleischstärke unterschiedlich intensiv. Aber jedenfalls möglichst sparsam, was dem Prosciuto di Parma seinen milden Geschmack verleiht. Danach dürfen die Dinger hundert Tage im Kühlraum abhängen, wie gesagt, wir spielen Winter, bevor sie mindestens ein Jahr gut durchlüftet reifen, das entspricht dann einem Jahr auf dem Speicher.
Einen besonders schönen Reiferaum haben sich die Gallonis gerade gegönnt, die Familie zählt zu den eher größeren Produzenten, gut 300.000 Keulen baumeln stets ihrer Reife entgegen. Die besten von ihnen dürfen dann eben im neuen Degustationskeller zeigen, was sie können, auf dem Altar einer großen roten Berkel Schneidemaschine opfert Signore Galloni eine Keule in hauchdünnen Scheiben, die Tante lässt die Korken knallen, fantastico!
Die andere Säule des kulinarischen Welterbes von Parma ist natürlich der Parmesan, wahrscheinlich weltweit der berühmteste Käse überhaupt. Und im Gegensatz zum Gauda, den die Kinder nur in seiner aseptischen Supermarkterscheinung kennen, meist auch als Original in Aller Munde. Wobei: Igino Morini vom Consorzio del Parmiggiano Reggiano öffnet auf Wunsch gerne auch mal den Giftschrank und präsentiert seine Horrorshow der Imitationen und Fälschungen. Keine Ahnung, wie viele Anwälte das Consorzio beschäftigt, um all die finsteren Gesellen zur Strecke zu bringen, die Parmesan fälschen oder gefälschten Käse in den Verkauf bringen, Käsereien die echten Parmesan machen dürfen gibt es jedenfalls nur knapp 140. Sie liegen alle südlich des Po in der Emilia, mit der einzigen Ausnahme jener von Mantua, unterliegen aber alle dem gleich strengen Reglement. Die Rinderbauern dürfen nur Futter vom eigenen Grund und Boden verwenden, müssen zwei mal täglich melken und an die Casifici liefern. Dort wird nach einem ausgeklügelten uralten Procedere täglich gekäst, was bedeutet, das die Käsemeister in den kleinen Betrieben nie Urlaub haben. Deshalb sind sie alle darauf erpicht, dass der Sohn so bald wie möglich die Kunst des Käsens erlernt und sie wenigstens kurzzeitig vertreten kann.
Und wenn der Papa dann in Pensione geht läuft der Betrieb auch ohne Zores weiter. Beim Käsemachen kommen zwar eine ganze Reihe exakt arbeitender Messgeräte zum Einsatz, beispielsweise ein Thermometer, der in Réaumur anzeigt, weil damals die Franzosen die Technik der Temperaturmessung mitgebracht haben, aber den Ausschlag gibt schließlich und endlich doch das Gefühl des Käsemeisters. Im Caseficio San Pier Damiani werden wir Zeuge dieses gewissen Etwas, als der Meister, nachdem er die Menge des Enzyms akkurat gewogen und im drei Liter Kübel aufgelöst hat, jeweils noch ein gestrichenes Löfferl Pulver nachlegt, basierend auf seinem Gefühl für aktuellen Luftdruck, Temperatur, und was man sonst noch so im kleinen Finger hat.
Logisch, dass bei solch aufwendig hergestellten Produkten wie Prosciuto di Parma und Parmesan der Preis im Supermarkt nicht in Leuchtendrot und auf 9,90 endend angeschrieben wird. Gut Ding braucht Weile und Zeit ist Geld, dafür bekommt man hier auch ganz etwas Besonderes, ganz ohne Chemie und Skrupellosigkeit. Doch nicht nur für den bewussten Feinspitz ist Parma ein Mekka, etwas außerhalb der Stadt steht eine Fabrik, die wie kaum ein zweiter Ort für täglichen Genuss und Kinderglück zu fairen, was sag´ ich, wirklich günstigen Preisen steht: Barilla! Ja, auch die Nudel kommt aus Parma, egal ob Schpagghetti, Vermicelli, Fusilli, Penne, Farfalle oder Tortelloni, insgesamt 145 verschiedene Pastaformen laufen hier vom Band, und Saucen gleich dazu. Als er die Fabrik 1968 errichten ließ hat Pietro Barilla sie gleich mal so auslegen lassen, dass sie den gesamten Jahresbedarf Italiens decken konnte, eine mutige Entscheidung, die sich aber als goldrichtig erwies. Die immer noch größte Pastafabrik der Welt läuft 24 Stunden täglich Vollgas, immer noch sind die Spaghetti mit circa 50% Anteil der absolute Renner, 270 Kilometer alleine davon werden hier jede Stunde hergestellt. Dazu bekennt sich die Familie, nach einer Kontroverse um ein schwulenfeindliches Interview des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Guido Maria Barilla, zu Fairness und Vielfalt. Gut, Vielfalt beweisen sie ja schon mit ihrem Nudelangebot, mittlerweile auch was die verwendeten Getreidesorten anlangt, dazu hat Luca Barilla anlässlich unserer Werksbesichtigung auch noch ein begeistertes Plaidoyer für Nachhaltigkeit und gegen den Finanzkapitalismus abgelegt. Kann man ihm glauben, was man hingegen sicher weiß: die Pasta schmeckt!
Und Michelin hätte gar keinen bessern neuen Ort für die Präsentation ihrer Guida Rossa wählen können, als Parma. Weil: was hat denn Mailand zu bieten? Salami, und das war´s auch schon!