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si parla – ja was eigentlich?

Die Schweiz mag ja ein kleines Land sein, flächenmäßig, rechtfertigt aber jeden Falls die Bezeichnung Grand Tour für das spektakulärste Angebot der Eidgenössischen Fremdenverkehrs Organisation. Ist tatsächlich eine große Tour, einmal rund ums ganze Land, immer innen an den malerischsten Bergketten entlang, über Berg und Tal, meist aber eher Berg. Und jeden Tag antworten die Menschen, welche man nach dem Weg fragt in anderen Idiomen, manchmal durchaus verständlich, schließlich verstehen die meisten von uns Italienisch oder Französisch, beim Rätoromanischen tun sich oft schon Mitmenschen aus dem nächsten Tal mit dem Dialekt hinter der Passhöhe schwer, besonders interessant wird es bei den Schweizer Deutschs.

Dem Österreicher, zumal wenn er noch vor der Zeit der vereinheitlichten Synchronsprache sozialisiert wurde, sollten die kleinen Eigenarten eigentlich keine Probleme bereiten, im Gegenteil, man lernt immer wieder neue Verben kennen, mit denen kann man seinen eigenen Wortschatz bereichern. Eines der wenigen Souvenirs übrigens, die nicht nur werthaltig sondern darüber hinaus sogar noch gratis sind, findet man in der Schweiz sonst eher nicht.

Erst neulich habe ich mir wieder eines mitgebracht, zusammen mit den üblichen Verdächtigen Chääs und Schoggi. „Währschaft“ heißt es, hat aber gar nichts mit der Neutralität oder Schweizer Garden zu tun, viel jedoch mit den kulinarischen Genüssen, die etwa das Appenzeller Land aufzuwarten hat. Und die sind, nein, nicht etwa reichhaltig oder schwer, sondern eben währschaft. So wie der Doppelkanton aus Innerrhoden und Ausserhoden selbst übrigens auch, wobei ich mir die Freiheit nehme, den Begriff nach meiner Fa’con zu verwenden. Versucht man sich vom Rheintal aus den Appenzellern anzunähern, etwa vom Schloss Brandis in der Bündner Herrschaft kommend, wo im Schatten himmelhoher Steinwände auf fruchtbaren Rieden im Maienfeld phantastische Pinots gedeihen, versperrt erst mal ein Bergmassiv den Zugang. Hat man das erste Hindernis überwunden und ist in die Heimat des Überschifliegers Simon Amann vorgedrungen, ist man noch lange nicht am Ziel, wie durch einen Syphon geht es um den Sentis, Huusberg der Appenzeller und Sankt Galler.

(Ich erlaube mir hier außerplanmäßig und ohne Absicht obigen Rechtschreibfehler erstens als typischen Freu´dsche Fehlleistung und zweitens als Beispiel dafür zu benennen, wie einfach Schwyzerdütsch zu verstehen sein kann. Haben Sie doch, oder?)

Hat man aber erst die Schwägalp überwunden breitet sich eine hügelige Wiesenlandschaft aus, bis fast zum Bodensee hinunter, ein augenscheinliches Paradies für alpines Braunvieh, zufrieden Widerkäuend schmücken sie die Landschaft, wenn der Euter voll und der Abend nahe sind kommt der Bauer, bringt die Milch in der Kühle der Nacht zum Senner, der resultierende Appenzeller unterliegt einem strengem Reglement, bringt dafür aber auch verlässlich Franken ins Haus. Was man den Bauernhäusern auch ansieht, eines schöner als das nächste, vielleicht heben sie hier auch eine lachhaft hohe Steuer auf Plastikfenster und Verputz in Leuchtfarben ein, in Österreich schaut so besten Falls ein Freiluftmuseum aus. Und auf den Wiesen blüht nicht nur mehr Löwenzahn, die Milchkuh steht auf ausgewogene Ernährung, der Senner erst recht, nur so funktioniert die Käswerdung ohne Gärung, also hält man sich beim Düngen zurück was Kräutervielfalt begünstigt. Ergibt ein unvergleichliches Geschmackserlebnis, nicht nur für die Muhkulis.

Das üppige Grün ist natürlich auch der Nordstaulage geschuldet, ein Begriff der jenen Glücklichen welche die Grand Tour sinnvoller Weise auf zwei Rädern in Angriff genommen haben schon mal Sorgenfalten in die Stirn schreiben kann. Sollte man das schlimme Wort aber morgens in den Nachrichten hören muss man sich in der Schweiz aber auch nicht grämen, die Alternative heißt sputen, am Besten gleich quer durch den Alpenhauptkamm. So ist man in etwa einer Stunde von Chur aus auf der anderen Seite von dem woran sich die Wolken stauen, je nach Wetterlage zielt man etwa weiter nach Süden ins mediterrane Tessin oder rechts runter gen Westen zu den bilingualen Wallisern die es an den Hängen des Tals des Rotten blendend verstehen so ziemlich alles gedeihen zu lassen, was man sonst mitten im Hochgebirge sonst eher nicht erwarten würde.

_GTS1088SUISSE_5_17©zenaty&homolka

So versorgt der fruchtbare Talboden die Eidgenossen mit dem auch uns nicht unbekannten Obi, nur dass der gespritzte Apfelsaft dort halt „mit Zisch“ genannt wird. Oben an den Hängen gedeihen auf teilweise abenteuerlich ausgesetzten Rieden immer noch alte Rebsorten wie Amigne, Humagne und Resi, tun sich aber zusehends schwer gegen leichter zu vermarktende Sorten. Ein Problem, das den Einwohnern des kleinen Ortes Mund fünfhundert Meter über dem Fluss am Nordhang des Lötschbergs nur schmunzeln können, ihre Jahresproduktion von eineinhalb bis zwei Klio wird ihnen aus den Händen gerissen, dementsprechend stabil sind auch die erzielbaren Preise. Das funktioniert natürlich nur mit dem richtigen Produkt, die mühsam aus den Blüten des Crocus sativus gezupften Griffel bringen in guten Jahren durchaus schon mal 18 Euro, wenn die Qualität stimmt, pro Gramm, wohl gemerkt!

Die Einwohner des malerischen Dorfes, dessen Name auf das frankoprovenzalische Munt, also Berg zurückgeht, nennen den Fluss zu ihren Füssen übrigens schon auch mal mit seinem walserdeutschen Namen Rottu, weiter unten, wo man sich relativ verständlich auf Französisch verständigt heißt er dann endlich le Rhône, den kennt man ja. Was die Sprachen anlangt, derer die Schweiz ja schon ohne die lokalen Abarten reichlich vier bieten kann, haben sich hier, wo sich alle Kulturen recht nahe kommen, einige interessante Inseln gebildet. Wobei als Insulaner durchwegs Deutsche auftreten, zumeist der Subspecies Homo Walser, der sich offensichtlich dem unwegsamen Gebirgsgelände besonders gut angepasst hat. Sieht man sich eine Karte über die Ausbreitung dieser alemannischen Volksgruppe anlässlich ihrer Einwanderung vor 1000 Jahren an könnte man meine, sie wären allesamt zur als Seilbahnmonteure eingewandert, so sehr überlappen sich walser Siedlungsraum und die Gegenden intensiver Schiwirtschaft. Naheliegender ist natürlich die Viehwirtschaft, es sieht ganz so aus, als hätten die Walser Mittel und Wege gefunden, ihre Herden auch dort noch über die Runden zu bringen, wo sich die romanischen Feinde nicht hinwagten.

Wohl deshalb trägt auch das Monte Rosa Massiv einen italienischen Namen, jeder einzelne Gipfel hingegen einen deutschen, egal ob im frankophonen Wallis oder gar in Italien. Dementsprechend heißt jene Straße, die vom italienischen Alagna hinauf in die Berge führt dann auch Walser Stross, man gelangt, wenn man ihr folgt, auch tatsächlich ins Wallis, sollte allerdings gut zu Fuß und schwindelfrei sein, die Dufourspitze dient als Orientierung, dahinter, in Zermatt dürfte man sein Motorrad ohnehin nicht nutzen. Gerade in der Schweiz muss man das auch nicht unbedingt, mindestens genau so malerisch wie die Passstraßen verlaufen die Bahntrassen, der Glacier Express verbindet ganz kommod Zermatt unter dem Matterhorn mit Sankt Moritz, Blick auf den Rhonegletscher und Furkaunterquerung inklusive.

Unter den Dreitausendern durch geht´s auch wenn man in Andermatt umsteigt, wieder runter ins Tessin, wo man bekanntlich parla italiano. Oder? natürlich erst wieder nicht überall, wieder mal hat sich ganz hinten in einem schwer zugänglichen Bergtal ein Rest höchstalemannischer Zivilisation eingenistet. Und zwar im 13. Jahrhundert auf Einladung der lombardischen Herrscher um die Alp ad Buschum zu besiedeln, wie gesagt, den Südländern war´s da oben nicht ganz geheuer. Keine hundert jahre später hatten die fleißigen Walser das Land um Bosco beinahe zur Gänze käuflich erstanden, Gurin oder Griin genannt, und lebten de facto unabhängig, wenn auch nicht gerade auf großem Fuß. Bis in die neunzehnhundertsiebziger Jahre lag der Anteil der Deutschsprachigen stets bei 90 Prozent, mittlerweile stellen sie nur mehr knapp die Hälfte, dafür ist der Anteil der Rätoromanisch Sprechenden mit 10 % der höchste außerhalb Graubündens. In absoluten Zahlen sind das dann gerade mal 7 Personen, also drei mal so viele wie sich als reformierte Christen deklarieren, die Mehrheit geht in die den Heiligen Jakob und Christoph geweihte katholische Kirche im höchst gelegenen Dorf des Tessins.

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700 Jahre gibt´s die schon, genau so lange wie die Walser hier sind, während das Italienische sich eher weiter unten durchgesetzt hat. Wie etwa am Lago Maggiore, verständlich, passt viel besser zu bella vita und nach Italien kann man mit dem Schiff reisen. Werden wir vielleicht auch machen, aber erst, nachdem wir den Blick auf den See vom Balkon des Hotel Belvedere ausreichend genossen haben, die Schweiz im Rücken, die Sonne im Gesicht. Wobei: wozu eigentlich? Bei der Vielfalt, welche die Eidgenossen auf Lager haben erübrigt sich ein Grenzübertritt eigentlich!

 

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Dieser Beitrag wurde am 2017/06/21 um 17:59 veröffentlicht. Er wurde unter DRIVE, grand tour of switzerland, graubünden, schweiz, st.gallen, tessin, walser abgelegt und ist mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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