Womöglich wollten sie einfach ihre Ruhe, die Götter. Und haben den Sterblichen eine falsche Fährte gelegt, hinüber zum Festland, der Olymp macht ja auch ordentlich was her. Chronologisch (vgl. Χρόνος, Gott der Zeit) betrachtet haben sie sich seinerzeit, aus Kleinasien kommend, tatsächlich wohl eher für diese wie eine Festung die gesammte Ägäis vom Norden aus kontrollierende Insel als Hauptwohnsitz entschieden. Wobei es anfangs offensichtlich nur ein paar, womöglich vier, waren welche die ersten Thraker, die hier vor viereinhalb Jahrtausenden siedelten, als Die Großen identifizierten. Und natürlich sicherheitshalber in einem entsprechenden Heiligtum verehrten. Muss lustig gewesen sein, man hat sich mit verbundenen Augen tanzend dem mystischen Kult hingegeben, in dessen Mittelpunkt anfangs ziemlich sicher eine Erd- oder Muttergöttin stand, Rhea, Demeter oder Gaia wären passende Kandidatinen. Hellenisch wurde die Geschichte etwa ab dem 8. Jahrhundert v.u.Z., da kamen die Aioler von den Inseln der östlichen Ägäis hierher, Samos kannten sie wohl, das nahe Thrakien am Festland im Norden auch, der Name der Insel war gefunden.
Wahrscheinlich hat es ihnen die Lage angetan, nahe der Einfahrt zu den Dardanellen und doch vor der daraus stetig ins Mittelmeer drängenden Strömung geschützt. Sogar hinüber schauen kann man, die Halbinsel Gallipoli begrenzt den Horizont im Nordosten, würde Imvros nicht im Weg liegen sähe man bis Troja. Womit wir schon wieder im Reich der Sage wären, jeden Falls in der Literatur, manche sagen, Homer hätte von einem Gipfel des Fengari Gebirges den troianischen Krieg gesehen. Kann schon sein, nachdem er angeblich blind war werden ihn Entfernung oder eine nebbiche Insel in der Sichtachse auch nicht gestört haben. Dabei ist gerade die Aussicht eine guter Grund, Samothraki als Urlaubsziel anzusteuern. Aber eben nur einer. Egal, in welche Richtung man schaut, die Ingredenzien endloses Meer, schroffe Gebirge am Horizont, Schiffe die unbeirrt einen Hafen genau dort ansteuern, wo man nicht mehr hinsieht gehören genau so dazu wie die umwölkten Gipfel der Insel selbst, man braucht sich nur umdrehen.
Der Urlaub begänne, wie auf beinahe jeder wenig frequentierten Ägäisinsel mit dem köstlichen Chaos sobald der Kahn von Alexandroupolis am Festland kommend festgemacht hat. Neugierig betritt man in Kamariotissa den historischen Boden, wobei der Hafen hier relativ jung ist, nachdem der ursprüngliche ein paar Kilometer nördlich vor Paleopolis regelmässig Opfer von Piratenüberfällen geworden ist erzählen nur noch ein paar alte Steine vom einstigen Pier die langsam aber sicher von den Fluten verzehrt werden. So wenig ist davon übrig geblieben, dass man sich vorstellen kann, der Heilige Lukas wäre hier von Bord gegangen, „Wir fuhren von Troas auf dem kürzesten Weg zur Insel Samothrake“ schreibt er schliesslich in seiner Apostelgeschichte, „und am nächsten Morgen nach Neapolis“, nichts jedoch von einem etwaigen Nachtlager. Neapolis, die neue Stadt, heisst mittlerweile Kavalla und ist die zweite florierende Hafenstadt neben Alexandroupolis, Palaiopolis, die alte, hingegen ist kaum noch als Stadt zu erkennen, nur ein paar schmucklose in die Landschaft geworfene Häuser bilden überhaupt eine Art Siedlung, nichts, was einen Besuch rechtfertigen würde.
Wäre da nicht dieser kleine Parkplatz in einem trockenen Bachbett und das Hinweisschild auf das Archäologische Museum. Das liegt dann versteckt im Wald ein paar Schritte den Hang hinauf, wieder ein Stück weiter wartet ein Beamter der Verwaltung der Archäologischen Stätten in einer kleinen Hütte hinter einem Tor im Zaun, auch die griechische Bürokratie mag korrekte Titel, der junge Herr erweist sich als kompetent und sachkundig. Dabei ist es gar nicht so einfach, zu erklären wer genau die Großen Götter wären und was sie von den Zwölf unterscheidet, der genaue Cast ist nach so langer Zeit und der hellenistischen Kulturrevolution nicht mehr genau eruierbar. Darüber hinaus basierte der Kult auf Samothraki auf dem Mysterium, Eingeweihte durften nicht über Details plauder, logisch, dass der Wissensstand da eher dürftig ist. Aber die Archaeologen haben jede Menge Dinge gefunden, aus denen sich gewisse Schlüsse ziehen lassen, minoische Münzen aus dem zweiten Jahrtausend v.u.Z. etwa, was auf die Herkunft des Kultes schliessen lässt, einen goldenen Löwen persischen Ursprungs, was Hinweise auf den Aktionsradius gibt, sowie jede Menge goldene Wimpern welche wohl Statuen ziehrten die im grossen Runden Zeremonienraum und im „Raum der Tänzerinnen“ standen. Hier darf man gerne seine Phantasie spielen lassen, die Wissenschaftler tun das schliesslich auch.
Am Besten, man lässt die geheimnisvolle Stimmung auf sich wirken, vom Fundament der über hundert Meter langen Stoa sieht man weit hinaus aufs Meer, die störenden Bäume standen damals sicher nicht im Weg. Muss eine veritable Siedlung gewesen sein, Reste der Stadtmauer und des Turmes wachen immer ncoh über den heiligen Ort. Und demnächst auch wieder über die Marmorstatue der Nike, beziehungsweise einer Replica, das Original wollen die Franzosen partout nicht rausrücken. Die majästetische Ruhe geniesst man inzwischen übrigens wieder ganzjährig, Veranstalter und Teilnehmer der allsommerlichen Raves wie des Aurora- oder Earth Fesivals sind anscheinend in die Jahre gekommen, wahrscheinlich hat auch der Mix psychedelischer Substanzen und Rythmen in der Augustsonne das Seine beigetragen. Man trifft sie zwar weiterhin auf der Fähre, die sympathischen jungen Freaks, jetzt aber kommen sie wegen der atemberaubenden Natur. Wie damals machen sie sich von der neben heissen Schwefelquellen gegründeten Siedlung Therma auf den Weg den Fluss hinauf, überwinden Steilstufen und Wasserfälle, die neue Generation beachtet womöglich sogar die drastischen Warnschilder. Und kommt gut oben an, campiert, geniesst, tanzt und erweist den großen Göttinen die Ehre.
Beäugt werden sie dabei maximal von den zahllosen Ziegen, sie sind die wahren Eigentümer der Insel. Wobei, ganz blöd sind die Menschen auch nicht, ihr Aktionsradius eingeschränkt ist, wäre auch schade um die urtümliche Vegetation. Doch in den Maschendrahtgrenzen ihrer Welt bewegen sie sich recht frei, vormittags geht´s ans Meer, als einzige ihrer Art trinken diese Inselziegen nämlich Meerwasser, dann würzen sie sich selber dank aromatischer Kräuter am Heimweg, zu Hause angekommen werden sie entweder gemolken oder, ist nun mal ihre gottgewollte Bestimmung, zärtlich geschlachtet. Mit ein wenig Glück, für uns natürlich, nicht die Viecherln, landen sie danach im Bergdorf Profitis Ilias bei Athanasios Kalaizis, der weiss genau wie man sie am besten behandelt. Über der Tür seines Etablissements steht „i Ypomoni“ geschrieben, was, wenn man den kleinen Rechtschreibfehler ignoriert, „Die Geduld“ bedeutet, und die beweiste er auch, egal ob er die Ziegen grillt, im Ofen brät oder Klassiker wie den Eintopf Gemista zubereitet. Man lohnt es ihm, geht zum „Brachos“, dem Felsen, unter diesem Namen finden ihn sogar Neuankömmlinge, ganz einfach am Ende der Sraße hinauf ins Gebirge.
Natürlich speist man auch im Chora ganz ausgezeichnet, dem Hauptort der Insel. Der liegt versteckt in einem Hochtal, beschützt von der Burg der Gatelussi, die Genuesischen Herren von Lesvos, die, bis zur Einverleibung ins Osmanische Reich auch diese Insel kontrollierten. Hatten eine fantastische Aussicht von dort, wenn auch etwas eingeschränkt. Ganz im Gegensatz zu jener die man vom Pool des Eroessa Beach Hotels geniesst. Denn das kleine feine Dreisternhaus thront dermassen theatralisch am Nordrand der Ägäis, dass man das Gefühl hat, vom Griechischen bis zum Türkischen Festalnd das Meer zu überblicken, bis hinunter bis zu jenenen ungezählten Inseln, die man von früheren Besuchen in Hellas kennt, während einem der Bergrücken des Saos- voulgo Fengarigebirges den Rücken freihält. Wenn sich dann noch der Vollmond drüben hinter Troja von Kleinasien erhebt um das Meer zum Glitzern zu bringen kann man eigentlich nur Gott danken, nein, den Götterm, sein´s die Großen oder alle Zwölf! Nur daß das einer allein zu Stande gebracht hätte mag man kaum glauben.