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Heimliche Hauptstadt

Auch auf Kreta zahlt es sich aus, sich an den Venezianern bei der Wahl ihrer Stützpunkte ein Beispiel zu nehmen. Und das nicht nur im Sommer!

Pepi Birlaki ist immer noch sauer. Spricht man sie auf den Karneval von Rethymnon an, den sie als für Kultur und Tourismus resortierende Vizebürgermeisterin mitverantwortet, kann sie ihren Frust nicht verbergen. „Unser Umzug ist der größte in Griechenland, die Karnevalsgesellschaften arbeiten den ganzen Winter an ihren Armas, den kreativ gestalteten Wagen, die gesamte Region fiebert auf diesen Tag hin. Und dann kommt keine zwei Tage davor die Direktive aus Athen, die Parade wegen dieses Virus abzusagen!“ Wobei es ihr gar nicht so sehr um den Umsatzrückgang geht, den Hoteliers und Gastronomen befürchten mussten, sondern um das Gemeinschaftserlebnis und den Stolz der Rethymnioten auf ihr einzigartiges kulturelles Erbe. Und das Ende des Winters in venezianischer Tradition zu feiern gehört da eindeutig dazu.

Weil Frau Pepi als Politikerin mit zwei Jahren Haft bedroht war, wenn sie die Parade zulassen würde ist sie am Faschingssamstag abends nicht einmal in der Stadt gewesen, hat also gar nicht gesehen, dass sich die Griechen den Spaß nicht verbieten haben lassen, die zahlreichen Bars und Restaurants waren jedenfalls zum Bersten voll. Auch das Hotel ihrer drei Kinder war beinahe ausgebucht, der Schaden hielt sich also in Grenzen, da hat es andere Destinationen schon wesentlich ärger erwischt. Doch natürlich hätte sie gerne mehr Menschen gezeigt, was Rethymnon alles zu bieten hat, gerade abseits der Hauptsaison. Das ist nämlich gar nicht so wenig, sieht man auf den ersten Blick, vom alten venezianischen Hafen blickt man am osmanischen Leuchtturm vorbei übers blitzblaue Meer und saftig grüne Hänge auf die schneebedeckten Gipfel des Psiloritis Gebirges.

„Für gewöhnlich liegt der Schnee dort oben bis in den Juli, heuer schmilzt er ein Bisschen schneller“, erklärt mir Vagelis Archontakis, “ aber genau dieses Schmelzwasser verwandelt die Landschaft darunter in einen reichen Garten voller Genüsse!“ Genau das war wohl auch einer der Gründe, warum Vagelis aus San Francisco, wo er nach dem Studium in der IT Branche gearbeitet hat, heimgekehrt ist, auf unserem kleinen Ausflug ins Hinterland hält er ständig an um Blumen und Kräuter genauer in Augenschein zu nehmen. Nicht nur rare Orchideen und Margeriten für seine Frau haben es ihm angetan, noch spannender sind jene wilden Abarten von Spargel, Artischocken, Petersilie sowie etlichen von den Griechen unter Chorta zusammengefassten Kräutern wie Löwenzahn oder wildem Spinat. Viele davon wachsen natürlich im Schatten der zahllosen Olivenbäume, tritt man aus dem heraus erblickt man im Norden stets das Meer während in die anderen Richtungen die Berge uns und die Natur beschützen.

Diese privilegierte Lage haben natürlich zu allererst die Männer der Kirche genutzt, ihre Klöster stets an Stellen mit Fließwasser und spektakulärem Ausblick errichtet. Wobei: die ersten waren die Christen hier natürlich nie! Wie weit zurück die Geschichte der Insel auf halbem Weg zwischen den frühen Kulturen des nahen Ostens und dem noch reichlich wilden Europa reicht kann man im Museum von Eleutherna bestaunen. Diese, erst seit kurzem intensiver erforschte Fundstätte in Sichtweite der Nordküste, dürfte ein bedeutendes Handelszentrum gewesen sein, jedenfalls legen das die Funde nahe. Importierte Luxuswaren und Wafern aus dem Osten, mykenische Einflüsse auf lokale Keramik, Kultobjekte verschiedener Religionen, alles da. Die Stadt war ja auch günstig halbwegs zwischen Knossos und Chania gelegen und schon in vorminoischer Zeit besiedelt, der Legende nach von Kureten, den neunköpfigen Dämonen, welche den neugeborenen Zeus vor seinem Vater beschützten. Konsequenter Weise haben die Römer dann auch hier eine erste Basilika und das erste Bistum gegründet, die haben verstanden, wo Gott wohnt.

Auch das Kloster Moni Arkadiou auf der anderen Seite des den Burgberg von Eleutherna begrenzenden Tales gibt es schon lange, die erste Gründung geht auf das 5. Jahrhundert zurück, das heutige Gebäude wurde spätestens im 14. begründet. Die zweischiffige Basilika im inneren des an eine Kulisse aus einem Wildwestfilm erinnernden massiven Baus wurde jedenfalls 1587 errichtet, der für eine orthodoxe Kirche unübliche Renaissance Stil rührt von Herrschaft der Venezianer über die Insel zu jener Zeit. Nachdem 1669 die Osmanen die Insel übernommen hatten wurde das Kloster erst mal gründlich geplündert und das Glockenläuten verboten. Irgendwie haben die schlauen Mönche es aber geschafft, den Pasche mit Geschenken umzustimmen und durften wieder einziehen. Bis zum 7. November 1866, da wollte man auch auf Kreta die Besatzer endgültig loswerden, durch ein Missverständnis wurde das Kloster, in das 964 Menschen geflüchtet waren nicht verteidigt. Getreu dem Motto der Unabhängigkeitsbewegung „Elevtheria i Thanatos“ wählte der Abt den Tod, Freiheit war bei über 1500 feindlichen Belagerern keine Option, ließ das Pulvermagazin in die Luft jagen, es gab kaum Überlebende.

Eine konfliktreiche Geschichte, sicher, aber Kreta, und gerade Rethymnon, hat es stets verstanden, sich mit den Herren einzurichten, sich das Beste rauszusuchen. „Schau dir nur die Häuser in der Altstadt an“ weist mich Pepi auf den typischen Stilmix hin, „auf die alten Grundmauern haben die Venezianer ihre Paläste gebaut und danach die Osmanen ihre hölzernen Erker montiert, prachtvoll!“ Stimmt. Dort, wo jetzt Lahme und Sieche dem Heiligen Antonius huldigen brachte man einst Hermes, dem Gott des Verkehrs, der Diebe und Kunsthändler seine Opfer dar. Und geht seinen Geschäften nach, säht, erntet und genießt.

„Und zwar die kretische Diät, weil eine mediterrane gibt es eigentlich gar nicht“, wie Rethymnos Bürgermeister Giorgis Marinakis betont. Fast keine tierischen Fette, ausschließlich bestes Olivenöl, Meeresfrüchte und das stets ausreichend vorhandene frische Gemüse nicht zu vergessen. Und nicht nur, aber sicher auch, weil der Kreter lieber Produkte seiner eigenen Insel verwendet verweist Marinakis auch stolz auf seine Initiative, Produzenten und Hoteliers zu verbinden, auf dass möglichst lokal eingekauft wird. „Nachhaltigkeit ist ja nichts neues für uns, wir mussten immer mit dem auskommen, was wir auf der Insel hatten. Und mittlerweile ist das genau so ein Verkaufsargument für uns als Urlaubsort, wie die elektrischen Citybusse oder unsere Rad- und Wanderwege. Von den herrlichen Stränden, zu denen auch die Schildkröten zurückkommen gar nicht zu reden!“

Was soll man da noch sagen? Dass er erstaunlicher Weise kaum übertreibt vielleicht. Oder doch, dass er meint, im Sommer wäre es eigentlich zu voll für seinen Geschmack und dass er Frühling und Herbst bevorzugt, was er aber lieber nicht zitiert haben will. Sorry Dimarche, leider Herr Bürgermeister, das ist jetzt raus, persönlich erlaube ich mir noch hinzuzufügen, dass Ostern überhaupt die geeignetste Zeit wäre, dieses feine Stück Kreta zu besuchen. dann ist nämlich die Fastenzeit vorbei und die Kreter dürfen wieder das tun, was sie so gut können: Feiern und Völlern. Kali anastasi!

Unterkunft
Was einst die erste Mädchenschule von Rethymnon war dient nunmehr als familiär geführtes Boutique Hotel. Mitten im Zentrum gelegen hat man´s nirgendwo hin weit, selbst am Strand ist man in wenigen Minuten. Sicherheitshalber gibt es aber auch noch einen Pool unter Palmen im Hof! www.pepiboutiquehotel.gr

Detaillierte Infos zur Region Rethymnon finden Sie unter info sowie www.visitgreece.gr

Dieser Beitrag wurde am 2020/04/01 um 10:33 veröffentlicht. Er wurde unter griechenland, inseln, kreta, kreta, rethymnon, SALZBURGER NACHRICHTEN abgelegt und ist mit , , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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