Ein Loblied auf die Toskana zu singen gilt zu Recht als hinfällig, spätestens seit sich die Römer das Etruskerreich unter den Nagel gerissen haben erfreut es sich regen Zuspruchs. Dass die Tusci keine Barbaren waren erkannten die römischen Snobs an der Badelust der Ureinwohner, Länder ohne fließendes Warmwasser suchten sie ja zu meiden. Umso erfreuter müssen sie beim Anblick des Thermenbetriebs in Bagno Vignoni gewesen sein, jedenfalls darf sich die kleine Siedlung auf den Tonklippen am Rande des Val d´Orcia seither als Kurort verstehen.
Den haben auch die Sanoner Brüder mal besucht, die wissen, wo´s schön ist, seit 7 Generationen führen sie Hotels in Südtirol, das sensibilisiert. Allerdings sind die Grödnertaler nicht, wie so viele vor ihnen, nach dem Bade weitergereist, sie haben eine Gelegenheit beim Schopf gepackt und ein interessantes Projekt übernommen. Rund um einen stillgelegten Steinbruch sollte ein Hotelresort entstehen, ursprünglich recht banal gestaltet, interessant war allenfalls das Thermalwasser welches aus den Spalten des Travertin drängte. Die Sanoners haben daraus allerdings eine einzigartige Wohlfühloase geformt und das Ensemble so perfekt in die Landschaft integriert, dass man es wahrnimmt wenn man schon mittendrin steht.
Dass das Adler Thermae nunmehr mitten im UNESCO Weltkulturerbe Val d´Orcia liegt kann man als Glücksfall für beide Parteien sehen, die im 14. und 15. Jahrhundert von den Herren des Stadtstaates Siena als idealisiertes Modell ihrer Regierungsform bewusst ästhetisch gestaltete Landschaft hat sich das verdient. Besonders schön lässt sich die übrigens von Pienza aus bewundern. Wenig überraschend, schließlich wurde die ursprünglich Corsignano genannte Stadt von Papst Pius Zwo, geboren 1405 als Aenea Piccolomini ebendort, nach reiner humanistischer Lehre angelegt.
Damit kannte sich der Jurist und Poet der viel Zeit am Kaiserhof in Graz und Wiener Neustadt verbrachte aus, hielt er doch Vorlesungen über die Dichter der Antike und ihre Ästhetik an der Universität Wien. Hervorragende Voraussetzungen für die intellektuelle Gestaltung einer idealen Landschaft, auch bei der Wahl seines Architekten Bernardo Rossellino hat er eine gute Hand bewiesen. Nur der Bauplatz des Doms ist unglücklich gewählt, dessen gotisch inspiriertes Hauptschiff sackt nämlich seit der Fertigstellung 1462 gegenüber der Renaissance Facade ab und bedarf stetiger Betreuung.
Eine solche genießt man auch als Gast im Adler Thermae und lässt sie sich auch gerne gefallen. Sei es in Form von Massagen oder Anwendungen in Sachen Schönheit und Wohlbefinden, aber natürlich auch was das leibliche Wohl anbelangt. Das fängt beim Frühstück an, welches alle Stückerln spielt, begonnen bei der historisch unitalienischen Vielzahl von frischem Brot und Gebäck, dessen Duft einen schon mal vom morgendlichen Bad aus dem dampfenden Außenpool locken kann. Dieses wird nämlich sämtlich im Hause gebacken und zwar aus Mehl welches ein Landwirt aus der Umgebung aus verschiedenen lokalen Urkornsorten von seinem Sohn in einer alten, revitalisierenden Mühle mahlen lässt. „Kilometro zero“ nennt man das in Italia, mögen auch ein paar mehr sein, jedenfalls kann man die Felder auf denen die meisten Lebensmittel geerntet wurden vom Balkon aus sehen.
Überhaupt, dieser Ausblick! Wüsste man nicht, dass hier eines – oder einiger – Humanisten Hand im Spiel gewesen wäre, man würde der Lobpreisung Gottes Schöpfung gar nicht satt werden. Selbst wenn, wie bei unserem Besuch im November, morgens Nebel über dem Tal liegen oder sich dramatische Wolken über den Gipfel des längst erloschenen Vulkans Monte Amiata über die Landschaft legen, stets staunt man von Neuem über dieses weite, detailreiche Bild. Die markanten Hügel zieren die Ziegelskulpturen alter Gehöfte umgeben von steilen, frisch gepflügten Äckern, dazwischen Zypressenalleen, Obstgärten und Weinbergen. Wenn dann Petrus´ Special Effects Abteilung einem kräftigen Schauer noch einen Regenbogen folgen lässt wird´s fast schon kitschig.
Was man im Val d´Orcia nicht sieht sind verlassene Höfe, unansehnliche Industriebauten oder geschmacklose Villen. „Certo, auch bei uns hat sich so manch Vermögender ein Haus als Ferienresidenz gekauft“ zerstreut Maitre Raffaele Illusionen, „die bleiben dann anfangs einen Monat, später den ganzen Sommer, irgendwann fahren sie nicht mehr weg und verfallen Gartenbau, Landwirtschaft und dem lokalen Lebensgefühl!“ Das Gros der Höfe wird ganz klassisch bewirtschaftet, relativ kleinteilig und zunehmend biologisch. Nicht ganz unbeteiligt daran sind auch die Aktivitäten der Sanoners, die meisten Produkte die bei ihnen verkocht werden kommen aus unmittelbarer Umgebung auf den Tisch.
Selbstverständlich auch die Weine, die Raffaele als Sommelier des Hauses bestens kennt und zu empfehlen weiss. Beginnend natürlich bei den üblichen Verdächtigen Brunello di Montalcino und Vino Nobile die Montepulciano deren Lagen das Val d´Orcia in West und Ost begrenzen. Interessanter wird es aber bei den lokaleren Gewächsen, immerhin leitet sich der Ortsname „Vignoni“ von den „vigne“ ab, Wein haben womöglich schon die Etrusker hier gekeltert. Nur logisch also, dass auch das Val d´Orcia seine Qualitätsweine hat, produziert aus jeweils mindestens 60% Sangiovese und 40% anderen, stets typischen lokalen Sorten beim Roten und mindestens 50% Trebbiano bei den weissen Vini DOC della Val d´Orcia. Dazu gehören auch jene der Tenuta Sanoner am Abhang unter der Chiesa San Biagio in Vignoni Alto.
Die soll auch das Ziel einer jener geführten Wanderungen sein, die das Hotel anbietet und wir anderntags machen wollen. Wobei am Weg dorthin gleich zwei weitere gastrosophische Pflichttermine absolviert werden mit welchen die unmittelbare Umgebung selbst verwöhnte Genießer zu überzeugen vermag. Gleich in der Früh geht es nach San Giovanni d´Asso, das als Frazione von Montalcino ausgewiesen aber dank seines mächtigen Castello auch für sich beeindruckend ist. Uns interessiert momentan ein netter älterer Herr mehr der neben seinem alten Panda 4×4 hinterm Bahnübergang wartet. Um den Hals hat Signor Bechi eine kleine Schaufel hängen, am anderen Ende einer mehrere Meter langen Reepschnur wartet Willy, eine hellbraune Bracke, auf seinen Einsatz. Kaum dass Gino Becchi ihm sein erstes „dai Uilly, cerca!“ zugerufen hat schnüffelt sich dieser diensteifrig durchs Unterholz am nahen Ufer des Asso.
Die lange Leine zieht er dabei lose hinter sich her, Gino erzählt, dass er gestern absichtlich nicht auf Suche war, versucht uns noch vom mühsamen, viel Geduld erforderndem Leben als Trüffelsammler zu erzählen, als er blitzartig aufschreckt, hektisch auf die Leine steigt und sich auf Willy stürzt. Der aber seine Krallen schon ins feuchte Erdreich gegraben und eine unscheinbare Knolle freigelegt. Mühsam hält Gino Willy im Zaum, lenkt ihn mit Trockenfutter aus dem Sackerl ab und inspiziert den Fund. Sein Gesichtsausdruck wechselt nun im Sekundentakt von erfreut auf überrascht und schließlich zu euphorisch. Auch wenn Ginos Krallenspuren eine Qualitätsstufe Abzug im Handel bedeuten wird die 150-Gramm-Knolle doch über 300 Euro beim Verkauf oben bei der Trüffelsucher Coop in der Stadt bringen. Und Willy ist noch nicht fertig für heute!
Wesentlich geruhsamer geht es dann bei Claudia und Egisto Brandi in San Quirico d´Orcia zu. Auch bei ihnen dreht sich alles um duftende Genüsse, wobei ihr Produkt einen Kilopreis bringt der selbst Trüffelfreunde ins Grübeln bringt. Egisto ist 1995 unten in den Abruzzen auf einen Krokus gestoßen der sein Interesse geweckt und die Ehe auf eine harte Probe gestellt hat. „Unser ganzes Geld hat er damals für diese komischen Zwiebel ausgegeben, tausende Euro für ein paar Kilo, ich habe gedacht er ist durchgedreht“ schildert Claudia den Beginn ihrer neuen Nutzpflanzenzucht.
War allerdings nicht irgendeine Blumenzwiebel sondern jene des Crocus sativus dessen Blütennarben zum köstlich gelben Gewürz Safran verarbeitet werden. Ist allerdings eine mühsame Arbeit, erst benötigt man gut 150 tausend Pflanzen für ein Kilogramm, dann wollen die Blüten innerhalb zwei, drei Wochen im Herbst geerntet und unmittelbar danach ihrer Griffel entledigt werden. Von denen auch nur der oberste, rote Teil genießbar ist, eine Arbeit die Fingerspitzengefühl und Geduld erfordert. Die sich aber durch einen Ab-Hof-Preis von 20 Euro für ein Gramm als durchaus lukrativ erweisen kann.
Tatsächlich ein gutes Geschäft für beide Seiten, „zehn Fäden pro Person reichen“ weiss Egisto und Claudia bringt einige kleine Köstlichkeiten als Kostprobe. Womit das Vergnügen deutlich günstiger kommt als bei der unansehnlichen Trüffelknolle die Chef Gaetano Vaccaro in der offenen Küche der Tenuta Sanoner über das Tartare vom edlen Chianina Rind hobelt. Für gewöhnlich sorgt Gaetano dafür, dass unten im Hotel die Küche stets auf Fünf-Stern-Niveau arbeitet, zu besonderen Anlässen stellt er sich mit kleiner Mannschaft aber gerne an den Herd der Tenuta, hier kann er sein ganzes Können im kleinen Rahmen zeigen. Ursprünglich war das kleine Weingut nur als Ferienhaus mit Garten für die Familie Sanoner gedacht, der Tatendrang der Tiroler Hoteliersfamilie liess daraus inzwischen eine veritable Weinproduktion entstehen.
Mit Giuseppe Basta haben sie sich einen jungen innovativen Winzer zu Hilfe geholt der auch nicht davor zurückschreckt Sangiovese Trauben als Blanc de Noirs zu keltren und nach der Charmant Methode zum grandiosen „Aetos Sparkling Brut“ Schaumwein auszubauen. Natürlich arbeitet der echte Einheimische biologisch und dynamisch, Nachhaltigkeit ist mittlerweile auch hier im Süden selbstverständlich, neben dem Spumante wachsen im Keller auch ein Sparkling Rosé sowie Fassgereifte rote Reserven heran. Und weil an den Abhängen noch genügend Platz in weniger tollen Lagen war gewinnt man aus den dort gepflanzten Oliven feinstes Öl, das ebenfalls unter dem „Aetos“ Label abgefüllt wird, wenig überraschend bedeutet das Wort, aus dem Griechischen übersetzt, Adler.
Nach so einer anstrengenden Tour der Genüsse kommt man gerne ins Adler Thermae nach Hause, entspannt im warmen Wasser, macht sich in der dampfenden „Grotte des Philosophen“ seine Gedanken. Hier hat anscheinend jemand den humanistischen Anspruch der Seneser Herren aufgenommen und in deren idealer Landschaft einen Ortgeschaffen, an dem sich Leib und Seele eine Auszeit vom Alltag nehmen können. Natürlich mit allem Luxus, war in der Renaissance auch nicht anders, den das Land zu bieten hat, aber auch dem gehörigen Respekt davor. Schön, wenn ein UNESCO Kulturerbe dann auch noch so gut schmeckt!
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