Schöne schnelle Autos, elegante rote Weine und stilsicheres modisches Auftreten – so kennen wir die Italiener. Doch wenn ein soigniertes Unternehmen wie Aqua di Parma beschließt, einen Maserati bei den Mille Miglia einzusetzen, vergessen sie all ihre Zurückhaltung, das Produkt heißt schließlich Colonia Intensa. Und mit intensiver Leidenschaft erfüllt halb Italien ein anachronistisches Straßenrennen mit Leben.
Das Blaulicht kommt rasch näher, der Carabiniere auf seiner Guzzi hat wohl seine 140 Sachen drauf, nicht schlecht auf einer gewöhnlichen Landstraße in der Poebene in stockfinsterer Nacht. Er wirft einen schnellen Blick in den Rückspiegel, bevor er ausschert, um einen Konvoi von Vorkriegsrennwagen zu überholen, nimmt den knallroten Maserati im Rückspiegel wahr, lässt ausreichend Platz- und schon sind wir vorbei. Einhundertachtzig Stundenkilometer dürfte unsere Marschgeschwindigkeit sein, schlimm genug in einem modernen Audi, doch der Blick nach vorne in den flachen 54er Maserati 150S, der dem Ehepaar Gorni wie angemessen passt zwingt einen zur Hochachtung. Schön sieht man Roberto am riesigen Holzlenkrad kurbeln, während Angela das Roadbook Seite für Seite im Schein einer kleinen Lampe abarbeitet. 150 Pferdestärken mögen sich harmlos anhören, doch wenn diese auf eine knapp sechshundert Kilogramm leichte, in bester italienischer Kunsthandwerkstradition aus edlen Stahlrohren geschweißten und dünnen Blechen gedengelten, Konstruktion treffen, dann ist Spannung garantiert. Alleine der Sound lässt keine Zweifel aufkommen, der Carabiniere hat sofort gewusst, wem er da Platz macht.
Dabei hat Alles ganz beschaulich angefangen. Im edlen 5 Stern Hotel l´Alberetta des als Begründers der modernen italienischen Küche bekannten Dreisternkoches Gualtiero Marchesi traf man die gewohnten Besucher solch edler Anwesen, Franzosen, Briten, auch ein Deutscher Industrieller hatte eingecheckt, und ein indischer Entrepreneur aus der Softwarebranche. Auch die Marken der exquisiten Automobile am Parkplatz sind einschlägig bekannt, beeindruckender Neuwagen ist keiner dabei, die wartenden Minivans sollen offensichtlich in erster Linie niedere Hilfsdienste leisten. Das Baujahr der meisten Sportwagen ist offensichtlich vor dem Geburtsdatum der Eigner anzusetzen, von Abarth bis Zagato reicht das Angebot, doch wirklich atemberaubend wird die Show, als wir uns zur `Punzatura´ der teilnehmende Preziosen auf die Piazza della Logia ins Zentrum von Brescia durchgeschlagen haben. Die Punzatura, von den Italienern nonchalant als `punching oft the cars´ übersetzt, hat natürlich nichts gewaltsames an sich, sondern bezeichnet schlicht und ergreifend den Vorgang der, sieh mal an, Punzierung der Rennfahrzeuge. Das heißt sie bekommen eine Plombe verpasst, damit ja keiner von den reichen Schlingeln unterwegs womöglich den Untersatz wechselt. Diese Plombierung erfolgt mittels mächtiger Zange an der Lenksäule, der Fahrer behält natürlich während des Vorganges Platz im engen Cockpit, zwei Stewards machen sich zwischen seinen Beinen zu schaffen, sieht ein wenig nach einer alttestamentarischen Berit Milla Zeremonie aus.
Die Offiziellen haben alle Hände voll zu tun, 385 Teilnehmer hat der veranstaltende Auto Club von Brescia in seiner Verfassung als maximale Teilnehmerzahl verankert, heuer dürfen zusätzlich sieben Staatenlenker mitfahren, das hat Präsident Monti verordnet. Fast vierhundert Kunstwerke auf vier Rädern also, die lautstark durch die Renaissancekulisse paradieren, hinter den Absperrungen drängen sich tausende begeisterte Tiffosi, privilegierte Besucher und Teammitglieder dürfen sich in der Aqua di Parma Lounge in der Säulenhalle der Loggia am Besuch von John Elkann und anderer Spitzen der italienischen Industriegesellschaft erfreuen. Deutsche Automagnaten wie Daimler CEO Dieter Zetsche hingegen quälen sich unter knallblauem Himmel in ihren engen Boliden durch die Menge, auch Dr. Wolfgang Schüssel schwitzt auf Einladung von Mercedes in einem Flügeltürer 500 SL dem Rennen entgegen. Verglichen mit üblichen Lobbying Honoraren ist die Überlassung eines dieser einzigartigen Museumsstücke eine Mezzie, und Unvereinbarkeitsbestimmungen gibt es für Pensionisten ja Gtt sei Dank nicht.
Endlich sprotzt auch `unser´ Wagen in den Parque Fermé, ein Maserati 150, Baujahr 1954, das Ehepaar Gori, welches den Wagen heuer zum vierten mal über den historischen Rundkurs steuern wird stammt aus der gleichen Epoche, dementsprechend perfekt passen sie zum Untersatz, auch dass sie genau so sportlich sind wie die sehnige rote Rennflunder ist evident. Ein kurzes Interview mit dem Fernsehen, reichlich Photos mit Alessandro Casali, Präsident der Mille Miglia und Gabriella Scarpa, CEO von Aqua di Parma halten den Corso auf, ein Kühler beginnt zu dampfen, das folgende historische Hupkonzert bringt wieder Schwung in die Kolonne.
Die letzte Verschnaufpause kriegen die Teilnehmer nachmittags im Mille Miglia Museum gegönnt. An sich ein riesiges Fabriksgelände quillt es schon lange bevor der letzte Wagen gepuncht ist völlig über, rare 50er-Jahre Preziosen müssen draußen am Parkplatz des gewöhnlichen Volkes warten, bis sich die ersten Vorkriegsboliden langsam auf den Weg zur Startrampe in der Innenstadt begeben. Die Teams treffen letzte Vorkehrungen für die lange Reise, Brillen werden geputzt, Scheiben poliert, das Roadbook studiert, manch einer entdeckt gerade noch rechtzeitig einen Defekt und versucht ihn zu beheben. Die Goris treffen spät ein, haben sicherheitshalber noch ein paar Stunden geruht, denn Schlaf werden sie bis zur Zielankunft nicht mehr viel finden. Und wie letztes Jahr kurz vor dem Ende wegen einer kleinen Unachtsamkeit das Ziel nicht zu erreichen, das wollen sie heuer unter allen Umständen vermeiden. Obwohl nun tausend Meilen, drei Nächte und zwei Tage intensives Fahrerlebnis vor den Teilnehmern liegt, verleitet der Testosteronüberschuss den Einen oder Anderen den staubigen Innenhof des Museums mittels Kavalierstart zu verlassen, was der Abendstimmung ein angemessen abenteuerliches Flair verpasst. Langsam wird der Hof leer, doch draußen auf den Straßen von Brescia bricht der Wahnsinn los.
Der Start erfolgt von einer Rampe auf einer Allee am Rand der historischen Altstadt im 30 Sekunden Takt, beginnend um viertelacht mit den ältesten Fahrzeugen, fast drei Stunden später macht sich schließlich der Letzte auf den Weg an den Gardasee und dann weiter über enge Landstraßen nach Verona, wo die Goris den Maserati kurz vor Mitternacht unter reger Anteilnahme der unzähligen Fans elegant über das Pflaster vor der Arena driften lassen, bevor sie wieder hinaus in die finstere Poebene rasen, nach Ravenna, gegen drei in der Früh sind dann endlich alle ziemlich aufgekratzt am Ziel.
Der zweite Tag hält gleich am Morgen eine der anspruchsvolleren Prüfungen für Mensch und Maschine bereit. Und zwar gar nicht wegen der hohen Geschwindigkeit oder gefinkelten Streckenführung, sondern ganz im Gegenteil. Es steht die Ortsdurchfahrt von San Marino am Programm, der kleinen uralten Republik unweit von Cattolica, einst Hausstrand der Wiener. Die mittelalterliche Stadt hockt, einem Adlerhorst gleich, oben auf einem Felsen, es gibt nur eine Zufahrt, über welche sich Teilnehmer, Zuschauer und der ganz gewöhnliche Alltagsverkehr bergan quälen und die ist zudem durch eine Baustelle verengt. Spektakuläres Resultat dieser ausgesuchten Zutaten ist der exquisiteste Stau dem ich je beiwohnen durfte. Egal aus welchem Fenster man auch blickt, die Straßenkameraden sitzen in Meisterwerken der Ingenieurs- und Karosseriespenglerzünfte, wie eine Figur im Skulpturengarten des Louvre fühlt man sich. Wären da nicht so prosaische Details wie Rennfahrer in weit aufgezipten Overalls, welche hinter der Leitschiene dem Ruf der Natur folgen, während sich die Co-Piloten und Mechaniker auf die Suche nach Wasserstellen und Kannen machen, um den des erfrischenden Fahrtwind beraubten Motoren Kühlung zu verschaffen. Vor dem Tor zur Festung wird selektiert, Begleitfahrzeuge müssen am jenseitigen Ende der Altstadt warten, Besucher mit der Seilbahn ins Zentrum gondeln, nur die Helden dürfen das Allerheiligste befahren. Und verlassen über die Via Donna Felicissima überglücklich die enge Altstadt, strömen die Serpentinen hinunter, nehmen endlich wieder Fahrt auf, röhren weiter in die Wälder der Alpi di Luna, über die Pässe des Apennin hinüber nach Umbrien zur nächsten Zeitkontrolle in Sansepolcro.
Nomen non est Omen lässt sich hier vermelden, keiner der strapazierten Sportwagen hat in diesem `heiligen Grab´ die Patschen gestreckt, mancher ein kleines Service erhalten oder die Besatzung einen frugalen Snack, der Platzsprecher hat bei der Durchfahrt durch die Stadt wieder einmal brav den aufmerksamen Zuhörern die Geschichte eines jeden Rennwagens erzählt, erst bei den Nachzüglern war er schon ein bisserl alleine am Stadtplatz.
Die Ankunft in Rom war prachtvoll organisiert, Rampe vor der Engelsburg, wie sie allerdings dorthin kamen, war den Teilnehmern selbst überlassen, eine nervenaufreibende Stunde im anarchischen samstäglichen Abendverkehr der ewigen Stadt wurde von einem Spalier tausender begeisterter Römer und einem Gala Buffet im Garten des Castel Sant´ Angelo belohnt. Das haben sich aber die meisten erspart, der Start für die lange Etappe retour nach Brescia sollte um sechs Uhr erfolgen, zwei, drei Stunden Schlaf waren sicher verlockender als Champagner mit Sponsoren und Würdenträgern. Denn der Samstag hat es in sich! Erst eine gezeitete Runde auf der Rennstrecke von Vallelunga, dann wieder durch Umbrien, Sonderprüfung auf Schotterstraßen bei Radicofani, Zeitkontrolle Buonconvento, Stadtdurchfahrt Siena, dort, wo sonst der Pallio die Massen anzieht, stehen diesmal dichtgedrängt die Freunde forcierter Fahrzeugkontrolle. Und damit das ganze nicht zu sehr nach Kaffeefahrt ausschaut, öffnen sich prompt die Wolken über der Toskana, wer eines hat, schließt das Verdeck. Unsere Goris haben keines, schließlich ist der Maserati ein echtes Rennauto, erst 1955 hat Mercedes Stirling Moss einen Rennwagen mit Dach hingestellt, aber nicht wegen der Witterung, sondern weil sich nur mit ausgeklügelter Aerodynamik ein Schnitt von hundert Meilen realisieren ließ. Sir Sterling hält noch immer den Streckenrekord, zehn Stunden und vier Minuten, Schnitt 99,7 Meilen, er gibt es nicht zu, aber ich bin mir sicher, die fehlenden drei Zehntel auf den runden Hunderter ärgern ihn noch immer.
Selbst in einem modernen Automobil fühlen sich solche Geschwindigkeiten unwirklich an, von Florenz nach Bologna führt die Route über den legendären Passo della Futa, einige Passagiere scheinen das herrliche Mittagessen in der Tenda Rossa in San Casciano in der Landschaft zurücklassen zu wollen, erst auf den langen Geraden in der Poebene Richtung Modena kommt wieder Ruhe in die Peristaltik.
Modena! Was dem Katholiken Rom, ist dieser Ort für den Ferrarista, natürlich darf Fiorano auf der Mille Miglia der Neuzeit nicht fehlen, für eine Runde in der Abenddämmerung auf der Teststrecke hinter dem legendären weißen Haus des Commendatore stellen sich Alle gerne wieder an, auch Doktor Schüssel, dessen Mercedeskotflügel deutliche Spuren von Kaltverformung aufweist. Für unseren Aqua di Parma Begleittross ergibt sich hier die Chance, wieder den Anschluss an Herrn und Frau Gorni im Maserati zu finden, unsere Abkürzungen in der Toskana haben uns ins Hintertreffen geraten lassen. Wir nehmen also die Verfolgung auf, der Chauffeur, eine würdige italienische Version von Jason Statham wirft den klobigen Audi behände um die unzähligen Kreisverkehre, in den Ortschaften übernehmen die Einwohner die Verkehrsregelung, rote Ampeln dienen der Dekoration, man hat die Esszimmereinrichtung auf den Gehsteig verfrachtet, Omi schwingt Wimpel, dem Opa saugt der Fahrtwind die Spaghetti vom Teller, hoffentlich hat Mama die Feststellbremse des Kinderwagens ordentlich angezogen.
Während wir so durch die nächtliche Emilia Romania brausen, macht sich leichte Ratlosigkeit breit, wo sind denn bloß die Gornis? Im Rückspiegel, sagt Jason noch, da haben sie uns auch schon überholt. Der englische Kollege von GQ am Beifahrersitz durchschaut die Situation sofort, „oh no!“ seufzte er noch, Erica von der Huffington Post neben mir greift sich meine Hand, Jason schaltet zurück, wir nehmen die Verfolgung auf. In Parma hätten wir natürlich unseren Gastgebern die Referenz erweisen sollen, immerhin sprudelt hier ja die Quelle des Aqua di, doch für dieses eine Mal zieht wohl jeder den Duft von verbrannten Kohlenwasserstoffatomen den femininen floralen Tönen der neuen Damenlinie le Nobili oder den natürlichen Citrusaromen von Colonia Intensa und Assoluta eindeutig vor. Dieses unmittelbare, intensive Erleben dieser absoluten Hingabe der Italiener an ihren Lebensstil voll Geschwindigkeit, Eleganz und Leidenschaft reißt einen einfach mit, selbst die vernünftigsten Protestanten unter den mitreisenden Journalisten waren schnell wehrlos.
Kurz vor dem Stadtzentrum von Brescia hat dann plötzlich ein Streckenposten mittels roter und gelber Flaggen den Verkehr virtuos entwirrt, Rennautos rechts auf die Zielgerade, Begleitfahrzeuge links ins Nirwana der heillos verstopften Stadt. Doch weil bei so einem historischen Rennen nicht einfach über die Ziellinie gerast wird, sondern jedem, der es geschafft hat, persönlich gehuldigt wird, haben wir es doch noch rechtzeitig geschafft, unseren Maserati würdig zu empfangen. Signora Presidente Gabriella Scarpa war da auch eindeutig nicht mehr CEO, sondern glühende Tiffosa. Mit reichlich Champagner wurden Roberto und Angela Gorni empfangen, nicht wenige der Zuschauer dürften sie für die Sieger gehalten haben, so überschwänglich wurde ihre Ankunft auf dem Corso gefeiert.
Die tatsächliche Siegerehrung ging am folgenden Sonntag Vormittag im prachtvollen Rahmen des Teatro Grande über die Bühne, nach einer Schweigeminute für die Opfer des Erdbebens, welches die Emilia Romania nur wenige Stunden nachdem deren Bewohner der Mille Miglia ausgelassen zugejubelt haben, erschüttert hat. Ausgezeichnet wurden Sieger vieler verschiedener Klassen, ältester und jüngster Teilnehmer, bestes Damenteam, fleißigster Sponsor, und schließlich auch Claudio Scalise und Daniel Claramunt, das Siegerteam aus Argentinien auf einem Alfa Romeo 6C 1500 Grand Sport aus dem Jahre 1933. Ach ja, falls Sie das interessiert, unsere Gornis haben schließlich den einundachtzigsten Platz belegt, und sie ärgern sich über diese Platzierung weniger als Sir Sterling damals über die verlorenen vier Minuten.