Wer immer noch meint, Elektroautos wären nur etwas für nüchterne Pendler, sollte sich mal in Schottland schlau machen, was die Kaledonier neben Whisky, aus Maische sonst noch machen.
„Also wenn wir hier richtig sind, wäre das die erste Austernfarm auf einem Berg“ grummelt mein Copilot über die kryptischen Richtungsangaben im Roadbook. Schon Port Ellen hat es uns vorenthalten, wo die Mälzerei steht, welche die Whiskybrennereien auf Islay mit dem Rohstoff versorgt, aus dem diese dann jene Sigle Malts brauen, für welche die Insel berühmt ist. Und zwar alle bis auf eine, nämlich jene von Bruichladdich, und genau wegen der sind wir hier. Oder auch wieder nicht, genau genommen hat uns Nissan hierher eingeladen, um ihren ausschliesslich elektrisch angetriebenen Leaf in freier Wildbahn zu gustieren.
Elektroautos gelten ja gemeinhin als städtische Fortbewegungsmittel, man traut ihnen vielleicht noch zu, Bewohner der Speckgürtel an ihre Arbeitsplätze in der City zu transportieren, aber hier draussen im Atlantik auf den Hebriden, weitab der metropolitanen Zivilisation wünscht man sich doch zumindest einen Hybriden, oder nicht? Um diese Fragestellung zu überprüfen, und wohl auch um sich der übermächtigen Toyota Hybrid Konkurrenz selbstbewusst in den Weg zu stellen, hat Nissan drei kleine Leafs vor dem Flughafen von Islay geparkt, nicht weiter kompliziert, zwei Flüge pro Tag mit kleinen Propellermaschinen nach Glasgow führen zu geringem Verkehrsaufkommen, da finden sich unschwer drei freie Lücken keine fünfzig Meter vom Flugzeug entfernt.
Die Einführung in die Funktionsweise des Automobils stellt auch für Technikmuffel keine grosse Hürde dar, Starten ist unkomplizierter als einen Herd auf Umluft einzustellen, und das Fahren überhaupt auf Kindergartenlevel. Gas – Pardon, Strom – geben, lenken, bremsen, alles wie gehabt, elektrisch unkompliziert, drehmomentstark, unmittelbar. Ganz unauffällig untermalt dezentes Turbinengeräusch den Beschleunigungsvorgang, hätten wir uns Zeit für die umfangreiche Bedienungsanleitung genommen wüssten wir, dass man sowohl das Fahr- als auch das playstationhafte Startgeräusch auf seine persönlichen Hörgewohnheiten abstimmen kann, aber das sind Nebensächlichkeiten.
Erst mal gilt es, beim Einbiegen auf die Hauptstrasse nicht den Faden zu verlieren, Rechts ist Links quasi, so lange man als Fahrer in der Fahrbahnmitte sitzt und nicht am Strassenrand ist alles in Ordnung, kein Problem an sich, nur nach dem Abbiegen schadet ein kurzer Check gar nicht. Immerhin erspart einem der Leaf die Mühsal des Schaltens mit der linken Hand, obwohl man auch hier umdenken muss: vorwärts fahren heisst Joystick nach hinten, will der Chauffeur hingegen reversieren so hat er den Hebel nach vorne zu bugsieren, irgendwie unlogisch find´ ich. `D´ steht wie gewohnt für Drive, ein zweiter seift nach hinten aktiviert den Eco-Modus, ergibt gemeinsam die dekorative Aufschrift D/Eco an der Schaltkulisse, wobei es umgekehrt auch nicht übel wäre, nämlich im Reichweitenfreundlichen Modus zu starten, die zusätzlichen Kilowatt lassen sich nämlich auch mittels Kickdown aktivieren, sollte man es tatsächlich einmal eilig haben.
Was auf Islay wohl nicht so häufig vorkommen dürfte, auch wenn man´s `Eila´ ausspricht, eilig hat´s hier kaum Einer, ausser die Fähre bläst das Horn zum Ablegen.
Wir, Navigator Peter und ich, begeben uns also auftragsgemäss auf die A846, die kaum frequentierte Hauptverkehrsachse der Insel, volle Kraft voraus, beschleunigen säuselnd auf gute fünfzig Meilen- und landen im ersten Stau. Na gut, hinter dem Linienbus warten zwei Lieferanten geduldig, die leben aber hier, wir sind morgen wieder weg und wollen ´was sehen, vom malerischen Eiland. Gegenverkehr droht keiner, also Fahrbahnwechsel und vorbei am Hindernis. Dabei zeigt sich, dass der Leaf gar nicht so klein ist, wie er auf den ersten Blick erscheint, es zwickt auch nix innen drinnen, angeblich ist auch der Kofferraum grösser als bei einer vergleichbaren Verbrennungslimousine weil kein Tank unterzubringen war, die Batterien hat man offensichtlich geschickt verteilt.
Wir kommen nun zu einer Abzweigung, ein Verkehrsschild weist links rechts nach Port Ellen, das Roadbook schickt uns nach links, wir folgen brav, die anderen denken selbstständig, wir werden sie so bald nicht mehr sehen. Dafür geniessen wir eine einspurige, hauptsächlich landwirtschaftlich genutzte, landschaftlich reizende Countryroad im Inselinneren. Peter packt plötzlich seinen Feldstecher aus, inspiziert die zahlreichen Paarhufer unterschiedlicher Farben und Formen auf den saftig grünen Hügeln, identifiziert jede einzelne hinsichtlich Rasse, Sorte, Herkunft und Nutzung. Als er ein belted galloway entdeckt zu haben meint erwacht unser Jagdinstinkt, entgegen der dringenden Warnung der netten Menschen von Nissan verlassen wir die markierten Pisten, um näher an den Verdächtigen heranzukommen, finden uns schliesslich auf einer abgegrasten Weide wieder. Und siehe da: als hätten sich die Gene des Nissan Patrol auf seine Platinen verirrt klettert der Leaf tapfer die Wiese hoch, bis die Energiesparreifen den Grip versagen. Das Alles so dezent und leise, dass weder Kühe noch Stare uns wahrnehmen, letztere schreckt erst das Nahen eines knatternden Traktors auf.
In Bowmore, oder wie´s gälisch heisst Bogh Mór, der mit über achthundert Einwohnern nicht übermässig hektischen Hauptstadt der Insel finden wir zurück auf die vorgegebene Route, in Port Askaig speisen wir vorzüglich in der Old Port Bar, staunen über die rasende Fliessgeschwindigkeit der Gezeiten im engen Islay Sound gegen die eine kleine Fähre ankämpft welche sich die halbe Meile hinüber zur Isle of Jura kämpft, bald wird ein Kraftwerk fertiggestellt sein, das diese absolut zuverlässige Energiequelle anzapft. Wir knipsen wieder den Nissan an, mittlerweile ohne einen Gedanken an die in der Früh noch sehr exotische geräuscharme Fortbewegung zu verschwenden, der dezente Turbinenton ist nun schon ein vertrauter. Auftragsgemäss nehmen wir Kurs auf Bridgend, biegen nach einer vorgegebenen Anzahl von Meilen nach Albrechts ab, folgen einer ausdrücklich als sehr schlecht bezeichneten Strasse, der Leaf darf hier ein Bisserl Rallyauto spielen. Als hätten die netten Menschen bei Nissan mich durchschaut steht unvermittelt eine junge Dame an einer Weggabelung, weist uns Weg, man scheint seitens des Veranstalters auf unsere abweichlerischen Tendenzen aufmerksam geworden zu sein. Oder besser gesagt weist sie uns auf auf einen Wegweiser hin, ihre Handzeichen misinterpretierend finden wir uns dann auf oben erwähntem Holzweg wieder, der uns nicht auf eine Austern- sondern mitten in eine Schweinefarm führt. Inmitten der in flüssigem Aggregatzustand die Farm verlassenden Stoffwechselprodukte legen wir, nachdem wir unseren Irrtum erkannt haben, ein engagiertes Umkehrmanöver hin, wovon fürderhin nicht nur ländlich dekorative Spuren an der Karosserie sondern auch eine ausgesprochen herbe Duftnote zeugen sollten.
Eine am Loch Gruinart malerisch geparkte Flotte verschiedener Nissans weist uns schliesslich doch den Weg zu den verlockenden Moluskeln, Tony Archibald, der zuständig Meeresfarmer beginnt soeben mit seine Ausführungen, beschreibt die Besonderheiten der nordatlantischen Auster plakativ am lebenden Objekt, bevor wir uns endlich von der tatsächlich beeindruckenden Qualität persönlich überzeugen dürfen. Und gleich auch noch die lokale Darreichungsform kennenlernen dürfen, wenig überraschend ergänzt hierbei wundervoll torfiger Whisky das salzige Aroma zu einem einzigartigen Geschmackserlebnis.
Von den einst 28 Brennereien Islays sind zur Zeit acht in Betrieb, die grösste davon, Caol Ila verweist stolz auf eine Produktion von 3,6 Millionen Flaschen, da müsste jeder Einwohner jährlich tausend Flaschen leeren, um nur deren Ausstoss zu vernichten. Ganz und gar nicht um schiere Zahlen kümmert sich Mark Reynier, der Managing Director von Bruichladdich. 1881 haben drei einschlägig vorbelastete Brüder aus Glasgow an den Gestaden des Loch Indaal eine damals ultramoderne Produktion aufgezogen. Etwas über hundert Jahre später wurde der Betrieb eingestellt, bis Reynier eines Tages in einem Glas Bruichladdich all jene Charakteristik wiederfand, welche er sonst nur vom Wein gewohnt war, mit dem die Familie bereits seit drei Generationen als Negociants zu tun hatte. Als er sich mit seinem Bruder auf Erkundungsreise nach Islay begab stiess er auf wenig Gastfreundschaft und eine Produktion, die den Anschluss an die generelle Modernisierung verschlafen hatte. Genau das war dann aber der Grund, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, die modernsten Anlagen aus dem neunzehnten Jahrhundert ohne die Erbsünde der Kommerzialisierung bildete das Fundament für die Wiedergeburt des echten, unverfälschten Islay Whiskys. Die Gerste stammt grösstenteils von der Insel, meist biologisch-dynamisch angebaut, gewälzt wird auch im Haus, und als einzige Firma füllt Bruichladdich auch vor Ort ab.
Nun kommt natürlich nur der wirklich reine Alkohol nach der Destillation ins Fass, der Nachlauf war früher teuer zu entsorgender Abfall, mittlerweile wandeln freundliche Bakterien die Reste in Methangas um, welches vermittels Generator die gesamte Fabrik Energieautark macht.
Und nicht nur das, Mark Reynier muss auch nicht mehr tanken, wenn er Autofahren will. Während er im Büro die Geschäfte führt oder Gäste in mitreissender Manier an seiner Vision teilnehmen lässt hängt sein Leaf am Kabel, und nährt sich, im weiteren Sinne, vom gleichen `Uisge Beata´, dem sprichwörtlichen Wasser des Lebens, welches auch die Wirtschaft auf der kargen Insel im Atlantik am Laufen hält. Nissan hätte keinen besseren Markenbotschafter erfinden können, um die Segnungen der Geräusch- und Geruchsfreien Individualmotorisierung zu Unterstreichen. Auf die Frage, warum er sich den Wagen angeschafft hätte, meint Reynier ganz selbstverständlich, weil er ihm gefallen würde, dass das Konzept genau zu seiner Philosophie nachhaltigen aber durchaus auch genussvollen Arbeitens passt, ist da ein ganz selbstverständlicher Nebeneffekt.
Während wir uns gewissenhaft Einblick in die Ergebnisse der Arbeit der Mälzer und Brenner verschaffen und die Aromen von Torf und Jod unsere Nasen und Gaumen erfreuen wird der Nissan Leaf von den letzten Spuren unseres Ausflugs in die schottische Landwirtschaft gesäubert, bald wird man davon kaum noch etwas riechen. Wir haben im Laufe des Tages praktisch vergessen, dass wir in einem Elektroauto unterwegs waren, und obwohl ich fast immer die Freuden des elektrischen Drehmoments ausgekostet habe, würden wir es laut Reichweitenanzeige noch locker bis ans Festland schaffen. Was aber total widersinnig wäre, bieten einem die `Progressive Hebriden Distillers´ in Bruichladdich doch alles, was man für sein Glück braucht: erstklassiges Lebenswasser und eine Steckdose!