Als Zeuge für die Entbehrungen des kargen, fleischlosen Mönchslebens am Athos ist Pater Epifanios denkbar unglaubwürdig, dafür reicht alleine seine schiere Leibesfülle und der gesunde Teint als Beweis für die Kochkünste seiner Bewohner.
Alljährlich im Frühsommer steht die Region um Ouranoupolis, der letzten Stadt auf der Halbinsel Athos vor der für Weibsvolk und Visalose unerreichbaren Mönchsrepublik, ganz im Zeichen der „Monastic Couisine„. Fürwahr nicht der schlechteste Vorwand, ans Ende der weltlichen Welt zu reisen, auch wenn der einst verschlafene Grenzort viel von seiner Unschuld eingebüsst hat und die letzten zehn Jahre wohl zu den ertragreichsten der lokalen Bauindustrie gehört haben dürften.
Doch nicht nur die ansässigen Hoteliers und Tavernen Betreiber haben neue Erwerbsquellen angeschlagen, auch die Mönche haben sich dem Markt angepasst, dass, wie soeben gesehen, ein ehrwürdiger Gottesmann seine Arbeitskraft in den Dienst weltlicher Unternehmungen stellt wäre vor nicht all zu langer Zeit undenkbar und wohl auch ein Grund für die Vertreibung aus dem Paradies gewesen.
Vergeben und vergessen, Vater Epiphanios rüttelt bei unserer Ankunft im Hotel Eagles Palace schon längst an der riesigen Kasserolle die auf einem ausreichend dimensionierten Gasbrenner in der Wiese vor dem Restaurant brodelt, die Suppe darin ist so gut wie fertig, sie entspricht allen strengen Speisevorschriften der orthodoxen Bruderschaft.
Zu aller erst bedeutet das völlige Vermeidung von Fleisch, was einer zwingenden Logik entspricht, auf einem Landstrich, den keinerlei weibliches Lebewesen betreten darf, sind der Tierzucht enge Grenzen gesetzt, schon weit länger als ein Jahrtausend hat hier kein Fortpflanzungsprozess stattgefunden, zumindest, wenn man der offiziellen Geschichtsschreibung glauben mag. Das betrifft natürlich nur Geschlechtsakte von Warmblütlern, Schnecken dürfen auch hier vögeln und vice versa, dem Kahlfrass der unersättlichen Ziegen, welche die spärliche Flora der Ägäis mehr geprägt haben als alle osmanischen Strafaktionen inklusive Brandlegung hat man offensichtlich mit dieser Vorschrift effektiv einen Riegel vorgeschoben.
Und so geniessen die Mönche auf der uneinnehmbaren Halbinsel ihr vegetarisches Dasein, ausser den Rumänen, ihres ist das einzige der zwanzig Klöster, in dem ab und an eine Sau geschlachtet wird. Okay, die Griechen, Serben und Russen fangen und braten sich manchmal ein Fischlein, das kann ja qua natura gar nicht auf dem heiligen Land gewachsen sein, aber sonst: nicht mal Eier, Butter sowieso nicht. Und selbst auf Olivenöl verzichten sie an den Fasttagen, und derer halten sie ganze zweihundert streng asketisch ein. Bleiben hundertfünfundsechzig für die Erhaltung der Körpermasse, und die nutzen sie, wie man nicht nur am Beispiel von Mönch Epiphanios feststellen kann, weidlich um ihre Kochkünste zu perfektionieren. Nach tausend Jahren Übung darf man ihnen Meisterschaft konzidieren, sie verstehen es vorzüglich, mit den vorhandenen und gottgefälligen Mitteln in riesigen Töpfen ausgesprochen wohlschmeckende Gerichte zu zaubern. Möglicherweise richten sich die Anweisungen für die Zutaten auch immer noch nach jenen Zeiten, als der Berg dicht besiedelt war, gespeist wird immer gemeinsam, und zwar nach den Vorgaben des Ersten, wie der Vorstand eines Klosters genannt wird. Wenn der satt ist, müssen alle Löffel ruhen, vielleicht haben deswegen die Küchenbrüder besonders schmackhafte Rezepte ausgetüftelt, wenn´s dem Ersten schmeckt haben die Brüder auch mehr Zeit, ihren Appetit zu stillen.
Alles schön und gut, mittlerweile kommen bis zu zweihundertfünfzig Gäste täglich in den Genuss der Klosterkost, früher waren´s viel weniger, doch die müssen leider eine ganz wichtige Voraussetzung erfüllen: es herrscht Penispflicht! Das heisst, die Hälfte der Menschheit kommt per definitionem erst gar nicht die Chance, den Tisch mit den Brüdern zu teilen und ihren Löffel in sein Tellerchen zu stecken, sofern sich Epiphanios nicht auf Tour ausserhalb der heiligen Gefilde befindet. Nun wirft die Griechische Frau nicht so schnell die Flinte ins Korn, ihre Kochkünste sind ohnehin legendär, fragen Sie mal ihre Söhne, oft reicht auch schon der Augenschein. Und so haben sich die Damen auf dem östlichsten Füsschen der Chalkidiki (ich weiss, wir sagen Finger. Aber die direkte Übersetzung aus dem Griechischen klingt doch viel süsser, finden Sie nicht?), ebenfalls Athos geheissen und insbesondere wegen der `Himmelsstadt´ Ouranoupolis seit Jahrzehnetn beliebt bei Stamm- und neuen Gästen an die Arbeit gemacht und kochen dass die Töpfe glühen. Und zwar fast so, wie die strengen Mönchsregeln es verlangen, für sie bedeutet das keine grosse Umstellung, die griechische Küche basierte immer schon eher auf der Ernte des Feldes und dem frischen Fang aus dem Meer, tierische Genüsse sind eigentlich auf Feiertage beschränkt oder wirklich hart arbeitenden Männern vorbehalten.
Das tun zwar die Mönche des Athos auch, moderne Maschinen sucht man noch vergeblich, doch ein Zugeständnis an die Hingabe an ein durch und durch spirituelles Leben macht den Zugang zu tierischem Eiweis schlicht unmöglich. Um im Garten der allerheiligsten Mutter Gottes, wie die Mönche ihr Land gerne genannt hören möchten, vor weltlichen Ablenkungen gefeit zu seien ist weiblichen Wesen der Zutritt grundsätzlich untersagt, also jedenfalls Warmblütern, Bienenköniginnen und Artverwandte hingegen sind gern gesehen. Sonst kommt nur auf den Tisch, was in der heiligen Erde ohne chemische oder technische Tricks gedeiht, Slow Food also, oder, wie der Italiener, dem dieses Label schon zum Halse raushängt gerne sagt „kilometro zero“, was auch wirklich zutrifft, die Mönche müssen ja ständig beten, da kommt man gar nicht viel weiter von der Küche weg.
Ihre Wurzeln hat die Küche natürlich im Byzantinischen Konstantinopel, vor tausend Jahren wurde von dort aus die Halbinsel mit Beschlag belegt, seither hat sich im Alltagsleben hinter der spirituellen Grenze nicht viel geändert, na ja, Paradeiser, Melanzani und Zitrusfrüchte sind halt zugewandert. A propos: keine neunhundert Jahre später hat noch eine Einwanderungswelle die Chalkidike erreicht, wieder vom Bosporus kommend, nach dem Vertrag von Lausanne 1923 wurde zwischen der griechischen und der türkischen Regierung einvernehmlich der Bevölkerungsaustausch vereinbart, der zwei Nationalstaaten schaffen sollte, eine Idee, die das 20. Jahrhundert blutig bestimmen sollte. Also mussten hunderttausende Türken, das heisst Menschen muslimischen Glaubens, andere Unterscheidungsmerkmale hatte man ja nicht, das Territorium des neuen griechischen Staates verlassen. Gleichzeitig verloren Millionen von Griechen, die seit zweieinhalb Jahrtausenden Kleinasien und die Küsten des schwarzen Meeres bewohnt und kultiviert hatten, ihre Heimat, Hab und Gut, und manche auch das Leben.
Nicht wenige von ihnen, und eher die glücklichen, landeten schliesslich auf der Chalkidike, das Land stand grossteils im Besitz von Klöstern, die leichter zur Abtretung zu überreden waren als, Private, die Gegend erinnert an die alte Heimat, und besonders weit war es auch nicht. Zu den wenigen Dingen, welche die Menschen mitbrachten, gehörten die Rezepte der Gerichte ihrer alten Heimat, und die zeichnen sich durch eine Aromenvielfalt aus, welche man in Griechenland sonst nur selten findet. Politiki Kouzina nennt der Grieche diese Küche, also jene der Stadt, und Stadt gibt es für den wahren Griechen nur eine: Konstantinopel! In dieser 685 vuZ von Kolonisten aus Megara an der strategisch wichtigen Meerenge zur Sicherung der Getreidelieferungen aus der Ukraine an Athen und die anderen Poleis gegründeten Stadt entstand mit Byzanz später das spirituelle und intellektuelle Zentrum der hellenischen Welt, der wichtigste Handelsort des Abendlandes, und natürlich ass man hier so gut und abwechslungsreich wie kaum sonst wo in der griechischen Welt. Viel davon ist im dunklen, gewalttätigen und nationalistischen zwanzigsten Jahrhundert verloren gegangen, doch schön langsam besinnt man sich wieder auf die Vielfalt vor der grossen Katastrophe, und gerade die Frauen der Emigrantendörfer auf der Chalkidike halten diesen Schatz in Ehre und Erinnerung.
Und so treffen dort, wo einst Xerxes in seiner Not die Halbinsel mittels Kanal abkürzte, weil seine Ruderer die Strömungen und Wellen vor dem heiligen Berg nicht und nicht bewältigten, die alte klerikal-byzantinische und die kleinasiatisch-griechische Küche wieder aufeinander. Beide sind tief in der Geschichte verwurzelt, basieren auf schlichten, ehrlichen Naturprodukten, veredelt durch über Generationen gewachsene Zubereitungstechniken, und immer voller Dankbarkeit an ein höheres Wesen, welches dem Menschen all diese herrlichen Ingrienzien geschenkt hat, einige der Rezepte findet man auch in Maranthi Milonas konzisen Standardwerks der griechischen Küche Culinaria Greece. Dass tatsächlich harte menschliche Arbeit, Geduld und Ausdauer dahinter steckt verdrängt der bescheidene Mönch genau so wie die duldsamen griechischen Frauen. Egal, Ergebnis ist in jedem Fall ein beglückendes kulinarisches Erlebnis, egal ob die bärtigen Männer in ihren schwarzen Kutten stundenlang über offenem Feuer riesige Tüpfe rütteln oder lustige Damen in bunten Blusen Marzipan kneten und flink zu Blüten und Figuren formen, hauchdünnen Filo Teig zu köstlichen Vassilopites schlichten oder tausend weiter verführerisch duftende Kleinigkeiten zaubern.