Dass der Schweizer, selbst der calvinistische, leiblichen Genüssen nicht abhold ist lässt sich nicht verhehlen, Chääs, Kirsch und Schoggi sind für das Schweizer Selbstbewusstsein mindestens genau so Identitätsstiftend wie Neutralität und finanzielle Souveränität. Auch die zahlreichen Kühe stehen nicht nur aus dekorativen Überlegungen allenthalben auf sattgrünen Hängen, die dicken Euter versprechen nicht nur einfach Milch, oh nein, ein jeder Kanton hat seine eigene Methode entwickelt dem weißen Lebenssaft abgesehen von längerer Haltbarkeit auch noch ordentlichen Mehrwert einzuhauchen.
Besonders stolz auf ihren Käse sind die Appenzeller, übrigens auch auf ihre selbst diagnostizierte Schläue, dem unvoreingenommenen Besucher nötigt aber auch der Pragmatismus Respekt ab, mit dem sie selbst konfessionelle Differenzen hintangestellt haben. Immerhin trennte sich im Zuge der Gegenreformation das katholische Innerrhoden vom reformierten Ausserrhoden ganz friedlich, wenn es aber um den Käse geht steht das Appenzellerland hingegen weiterhin wie ein Mann hinter seinen Sennern. Mögen die Meinungen über den rechten religiösen Ritus auch auseinander gehen, was das für die besondere Qualität des Appenzeller Käses ausschlaggebende Kuhwohl angeht ist man sich völlig einig. Das seit dem 15. Jahrhundert im Kloster Einsiedeln gezüchtete und zum Brown-Swiss veredelte Braunvieh darf sich ausschließlich von Gras und Heu ernähren, seine Tagesproduktion von bis zu 30 Litern Milch landet umgehend in einer der 52 Sennereien des Appenzellerlandes. Um die Reifung der fertigen Laibe kümmert sich dann eine Hand voll spezialisierter Affineure, die Rezepte ihrer Kräutersulz, mit welcher der Käse währenddessen gepflegt wird halten sie streng geheim, aufmerksamen Beobachtern fällt aber beispielsweise Sternanis in der Mischung auf, der dürfte wohl nicht aus lokaler Produktion stammen.
Aus den beiden Appenzell gelangt man einerseits gar nicht so leicht hinaus, auf drei Seiten schützt er sich durch mächtige Gebirgsketten, jeden Falls landet man aber im Kanton Sankt Gallen. Geologisch am zugänglichsten ist die Route in dessen gleichnamige Hauptstadt mit dem prachtvollen Kloster, 612 der Legende nach vom irischen Mönch Gallus gegründet stieg es zu einem Machtzentrum der Region auf, die Lage am nördlichen Ende alter Handelswege durch die Alpen hat Sankt Gallen ganz offensichtlich auch wohlhabend gemacht. Prächtige alte Bürgerhäuser prägen die profane Stadt, leisten dem kirchlichen Prunk hinhaltend Widerstand, zur Zeit der Reformation hat man dem Bischof immerhin ein eigenes Stadttor zugestanden, durch welches er ohne Probleme die Besitzungen seines Lehensstaates erreichen konnte während die freien St. Galler regen Handel trieben. Wie weit sie dabei herumkamen erkennt man an den Motiven auf den reich geschnitzten Erkern, exotische Tiere, Menschen und Früchte wie Ananas sollten wohl auch den Neid der Zurückgebliebenen erregen.
Ganz genau weiß über die bewegte Geschichte der Stadt Ambros Wirth Bescheid, gibt auch gerne Auskunft, angenehmer Weise heißt er nicht nur so sondern ist auch der Wirt der Gaststuben zum Schlössli. In den verwinkelten, kleinen Stuben serviert er auf drei Stockwerken authentische Nordostschweizer Küche auf höchstem Niveau, währschaft, also nahrhaft aber nicht schwer. Und er weiß von jedem Produkt nicht nur wo es herkommt, sondern versteht es auch ganz vorzüglich, Zutaten und Zubereitung in einen geschichtlichen Kontext zu stellen. Dabei kommt auch die Rivalität zwischen den Konfessionen nicht zu kurz, humorvoll schildert er auf der Terrasse direkt gegenüber der einstigen Klostermauer historische Ereignisse als hätten sie sich gerade erst zugetragen. Und stellt auch gleich unter Beweis, wie entbehrlich religiöse Streitigkeiten sind, der Festsaal im dritten Stock dient den lokalen Freimaurern als Loge, in der Rokokostube wird gerne geheiratet, heute steht zufällig eine Menora in der Ecke, wie tolerant man in St. Gallen ist beweist die Zollikoferstube, sie gehört zur Raucherzone im Schlössli.
Nicht ganz so großzügig hat sich der Abt erwiesen, als Martin Schnyder um die Genehmigung ersuchte, für seine Confiserie Rogwiller ein neues süßes Produkt in Form des Klostersiegels zu kreieren. Das dürften nur Katholiken, hat man ihm beschieden, kein Problem, Herr und Frau Schnyder vereinen beide Welten, Problem erledigt. Zur echten Institution macht die alteingesessene Confiserie Roggwiller aber ihr Biber, dem Vernehmen nach der beste der Stadt. Dem lebkuchenartige Fladen verleiht feiner Honig und eine Gewürzmischung seinen Geschmack, eine Zutat seinen Namen, nämlich der Nelkenpfeffer, lateinisch pigmentum, schon wieder eindeutige Spuren exotischer Importprodukte.
Nicht mehr auf Einfuhren angewiesen ist man seit 1000 Jahren was den Wein anlangt, kaum, dass eine Lage geeignet scheint, wuchern schon die Reben an den Sonnenhägen. Insbesondere die Südhänge des Rätikons sind dicht bewachsen, der Rhein tut das seine dazu, die Umgebung von Maienfeld zum önologischen Naherholungsgebiet zu machen. Rund um die Burg der Freiherren von Brandis liegen auch die Rieden von Markus Stäger. Der hat sich vor Allem dem Pinot verschrieben, der Gris passt als Grauburgunder gut zum nahen Graubünden, der Pinot Noir zu den zahlreichen anderen Genussmitteln der Region, als Classic zum Käse, der Barrique begleitet dann das Bündner Fleisch. Das verspeisen die Schweizer übrigens zum überwiegenden Teil selbst, kann man ihnen nicht übel nehmen. Ist aber nur noch ein weiterer guter Grund, den Rhein zu überqueren und die paar Kilometer Reise ins Nachbarland zu wagen, aber Achtung, nicht nur ausgesprochene Feinschmecker könnten vor Neid erblassen!
HIN+HERUMKOMMEN
Das unübertreffliche Netz der schweizer Öffis in seiner Gesammtheit eröffnet die Swiss Card, außer Bahn und Bus kann man mit ihr auch Boot und Seilbahn nutzen. www.swisstravelsystem.com
Als Zubringer wählt man dann am Besten gleich den ÖBB Nightjet nach Feldkirch, Stress ausgeschlossen! www.oebb.at
WOHNEN
Der Frauenverein für Volkswohl und Mässigung hat sich längst zur modernen Hotel- und Gastronomiegruppe gewandelt, ihre 17 Hotels gehören zu den angenehmsten der Schweiz. Das Hotel City Weissenstein liegt zwischen Bahnhof und Altstadt, ideal für gastronomische Streifzüge. www.sorellhotels.com
ESSEN+TRINKEN
Die kulinarische Geschichtsstunde von Herrn Wirth sichert man sich am Besten dur Reservation unter der Nummer +41 71 2221256! www.schloessli-sg.ch
Den Durst löscht Markus Stäger meist ambulant, den Besuch in seinem Keller in Maienfeld kündigt man besser unter +41 81 3027644 an. www.staegerweine.ch
SN_APPENZELL_WÄHRSCHAFT_1.JULI.pdf