Wer sich mit Manos Nathanail über´s Essen unterhalten will, sollte Geduld mitbringen. Im Garten eines Cafés auf der Spianata mit Blick auf die Festung sitzt er im Kreise seiner Schach Schüler, während diese über ihren nächsten Zug sinnieren referiert er über die Küche Korfus und ihre Ursprünge. Und beginnt gleich mal bei Homer, es gibt in Griechenland nichts, worüber sich nicht schon die Alten den Kopf zerbrochen hätten. Der blinde Weise aus Chios -oder woher auch immer- liess seinen Block-Buster-Helden Odysseus auf dessen Irrfahrt seine letzte Station vor der Heimkehr auf Scheria machen. Das Eiland, an dessen Gestaden er nackt und hungrig von Poseidons stürmischer Rache geworfen strandete, könnte durchaus Korfu gewesen sein, jedenfalls haben ihm die lokalen Phäaken Speis und Trank offeriert und Homer ergeht sich in Schilderungen üppiger Gärten, in welchen während es ganzen Jahres köstliche Früchte reifen.
Die längste Zeit hat sich Korfu wohl auch, wie der Rest von Hellas, der erst viel später als Griechenland bekannt werden sollte, von den schon bei Homer erwähnten frugalen Rohstoffen ernährt, doch nach den Römern hat sich das geändert. Haben die ihr Imperium doch letztlich geteilt, den östlichen Teil später an die Osmanen verloren, während sich im westlichen Mittelmeer verschiedene neue Regionalmächte aus Europa das Ruder übernahmen. Und damit auch Korfu als wichtigen Stützpunkt ihrer Flotten. Sei es, um im Osten nach dem Rechten zu sehen, etwa mal wieder Jerusalem, Rhodos oder Zypern zu befreien, was ihnen langfristig allerdings mehr schlecht als recht gelang. Nur die Venezianer machten ihren Rebach, schifften die Kreuzritter an die Schlachfelder, gaben allerdings keine one-way Tickets aus, stattdessen füllten sie die Bäuche ihrer Galeeren mit Beutegut und exotischen Gewürzen. Die Kunstwerke dienten ausschliesslich dem Schmuck der Serenissima, der duftende Inhalt der weitgereisten Leinensäckchen wurde hingegen oft schon auf Korfu seiner Bestimmung zugeführt, bevor sie nach Italien weiter gehandelt wurden.
Also ist die Küche Korfus von der italienischen beeinflusst? „Ganz im Gegenteil, die italienische wäre ohne die griechische undenkbar“, erhebt Agathi Vlassi entschieden Einspruch. Von der Terrasse ihres Bauernhofes „Vioporos„ blickt man über den schmalen Korission See auf das Ionische Meer, bis zum Absatz des italienischen Stiefels sind es nur 50 Seemeilen, auch drüben in der Grecia Salentina kocht man altgriechisch. „So wie drüben Menschen leben, die nach dem Fall von Byzanz vor den Osmanen flüchteten, sind auch nach Korfu Griechen aus Zypern, Kreta und vom Festland gekommen, und haben ihre Rezepte mitgebracht.“ Viele der für die Europäer neuartigen Gewürze kannten sie schon aus Kleinasien, in der „politiki kouzina“ Konstantinopels fand und findet man einen Reichtum an Aromata, welche erst langsam wieder in den Küchen des neuen Griechenlands einzieht. Ausser auf Korfu, offensichtlich haben sich auch die zahlreichen fremden Herrscher immer gerne daran delektiert.
Wobei ausgerechnet die Oliven hier die Ausnahme von der Regel spielen, anders als im Rest von Hellas dienten sie nämlich nicht in erster Linie dem Genuss. Mittels Anbauprämien überzeugten die Venezianer riesige Planatgen anzulegen, im Falle der Befehlsverweigerung half man mit Strafzahlungen nach. Die Erträge wurden grösstenteils in Öllampen verfeuert, die winzigen Lianolia Oliven mit ihrem hohen Ertrag waren hierfür erste Wahl, und da man warten kann, bis sie im Herbst freiwillig von den Bäumen fallen, findet man noch heute auf Korfu dichte Wälder der haushohen Bäume. „Wir haben jetzt auch Oliven gepflanzt, für den Eigenbedarf, Koroneiki, die schmecken besser“, die Vlassis legen nämlich wert auf Qualität und Autarkie.
Agathi und ihr Mann stammen von der Insel, haben dann in Athen studiert und gearbeitet, bis es sie um 1990 wieder zurück zu den Wurzeln gezogen hat und sie sich hier ein kleines Paradies eingerichtet haben. Die neu angelegte Landwirtschaft wird von Anfang an streng biologisch geführt, versorgt die Familie und die kleine Taverne mit frischen Produkten, für Abwechslung sorgt der Sohn, als Imker bringt er die nötige Süsse in die Küche.
„In´s Kochbuch hab ich das letzte Mal als Teenager geschaut, dem von Sophia Skouras, das damals jede Mutter ihrer Tochter als Vorbereitung auf die Ehe geschenkt hat! Aber seit damals koche ich aus der Erinnerung an Geschmäcker, mit dem, was gerade reif ist, Gerichte, die ich seit meiner Kindheit auf Korfu kenne.“ Wobei sie auch gleich betont, dass „natürlich“ oben in den Bergen im Norden ganz anders gekocht wird, als hier im flachen Süden, selbst auf einer kleinen Insel findet sich immer eine Gelegenheit subtile Unterschiede zu finden.
Kein Wunder, im Süden lebt man ständig Aug in Aug mit dem Meer, schon am Morgen grüsst es einen in seiner ganzen Pracht. Besonders, wenn man im MarBella Corfu abgestiegen ist, dem einzigen Haus weit und breit, welches mit wirklich direkt am Strand liegt. Praktisch, wenn man am Vorabend der Völlerei gefrönt hat, ein Sprung ins Ionische Meer und der Kopf ist frei für den nächsten Gang. Der führt uns in die Berge, den Norden, mal sehen, was für Unterschiede Agathi denn nun gemeint hat!