Auch wenn die Welt der Feinschmecker sich hauptsächlich an Frankreich und Italien orientiert gibt es doch nur eine Stadt, nach der ein Kochstil benannt ist: Wien! Was aber diese Wiener Küche nun eigentlich ausmacht haben wir drei ihrer zeitgenössischen Repräsentanten gefragt. Was diese gemeinsam haben ist auch schon der erste Hinweis auf den speziellen Charakter der Wiener Küche. Sie sind nämlich allesamt auch nicht in der Stadt geboren.
So wie heutzutage London, New York oder Hongkong – um nur ein paar zu nennen- als Metropolen gelten, in denen der lokale Einfluss vom weltweiten überlagert wird, waren dies bis ins zwanzigste Jahrhundert doch beinahe ausschließlich europäische Weltstädte. Und, auch wenn das heutzutage gar nicht so leicht zu glauben ist, gerade im neunzehnten Jahrhundert die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. Als deutsche, und später -auch- österreichische Kaiser haben die Habsburger dabei eine wichtige Rolle gespielt, von ihrer raffinierten Heiratspolitik gar nicht zu reden, die so unterschiedliche Gegenden wie die Niederlande, Spanien sowie etliche italienische Herzogtümer in ihre Besitz brachte.
Nicht nur die angeheirateten Prinzessinnen wollten nicht auf ihre gewohnten Speisen verzichten, auch die Einheimischen wollten an den fremden Genüssen mitnaschen, so sie es sich denn leisten konnten. Gewohnt war man fremde Geschmäcker ja schon seit immer mehr Zuwanderer aus den Kronländern die Rezepte ihrer Mütter mitbrachten, von den Triestinern über die Böhmen bis zu den Kroaten und Dalmatinern. Und die Ungarn darf man natürlich auch nicht vergessen. Was die nämlich als Gulyas in Suppenform genießen wurde als sämiger Eintopf zu einem der typischsten Wiener Gerichte, wenn auch in durchaus modifizierter Form. Und genau das ist es wohl, was die Küche der Hauptstadt ausmacht, ein traditionelles Gericht des einfachen Volkes irgendwo draußen im Vielvölkerstaat verfeinert mittels Techniken welche der Wunsch aristokratischer und bürgerlicher Konsumenten nach höfischen Koch- und Essritualen in die Stadt gelockt haben.
Auch Konstantin Filippou sieht das Spezielle der Wiener Küche in ihrem Ursprung als Vielvölkergemisch, „mittlerweile hat die Bezeichnung `Kronland Kitchen´ sogar Eingang in die internationale Gastrosprache gefunden!“ Überall her haben Menschen Rezepte und Kochtechniken aus ihrer Heimat mitgebracht, „natürlich nicht nur aus Böhmen oder von der Adria, sondern auch aus den Bundesländern.“ Und so spielt auch in Konstantins für Iconic Food zubereitetem Gericht mit dem Kernöl ein wahres Signature Produkt der Steiermark eine der drei Hauptrollen. Weiters umfasst das Stück Forellenfilets, „die bekomme ich von einem befreundeten Züchter in der Buckligen Welt, also keine Stunde entfernt“ sowie feinst aufgeschnittenen marinierten Radi der mit seiner Ähnlichkeit zum asiatischen Sauergemüse nicht hinterm Berg hält. „Den kriegen wir, wie einen größeren Teil des in unserer Küche zum Einsatz kommenden Gemüses entweder von den Wiener Gärtnern oder dem Umland“.
Schließlich ist Wien nicht nur eines der bedeutendsten Weinbaugebiete Österreichs sondern überhaupt in Sachen landwirtschaftlicher Produktion weitaus aktiver als man meinen möchte. Wer vom Flughafen kommend aus dem Busfenster blickt kann unzählige Glashäuser auf der Simmeringer Haide sehen, in denen das ganze Jahr grüner Nachwuchs gezüchtet wird, noch großflächiger wächst Gemüse jenseits der Donau, des Wieners geliebter Gemischter Salat kommt also quasi aus dem Vorgarten. „Aber auch sonst versuche ich typisch wienerische Zutaten zu verwenden“ ergänzt Konstantin, „die Flusskrebse sind beispielsweise Etwas, was einerseits lange Tradition hat und andrerseits perfekt in die moderne Küche passt!“ Tja, das Arme-Leute-Essen von hat sich zum Luxus gemausert, musste im 18. Jahrhundert noch ein Gesetz erlassen werden, „auf dass die Dienstboten nicht öfters als vier mal die Wochen Krebsen aufgetischt werden“ erfreuen sich heutzutage eher vermögende Kreise an den raren Krustazeen als das gemeine Volk.
Doch was ist eigentlich die lokale Lieblingsspeise des „zuagreisten“ Vier-Hauben-Kochs? „Ach, da gibt´s viele! Was ich mir aber regelmäßig gönne ist ein Tafelspitz, ganz klassisch zubereitet und serviert beim Plachutta! Die können das wirklich perfekt.“ Nein, er selbst würde sich dafür nicht hinter den Herd stellen, „auch nicht um meine eigene Version davon zu kreieren. Ich halte nämlich nichts von dekonstruierten Klassikern, die müssen ganz authentisch auf den Tisch kommen.“ Und wie in vielen Großstädten ist das Rind eben auch in Wien einer der wichtigsten Fleischlieferanten, ganz einfach, weil die Tiere in der Herde nach Sankt Marx in die riesigen städtischen Schlachthöfe getrieben werden konnte. Sich also quasi, in Ermangelung ausreichend alternativer Transportmittel, selbst zu Markte tragen konnte.
Nach Wien getrieben hat es auch Juan Amador, bei ihm war es die Liebe. Und der Wunsch aus der Süddeutschen „Provinz“ in eine Großstadt zu ziehen, wo es dann doch einfacher ist auf hohem Niveau zu kochen und die nötige Klientel zu finden um dieses halten zu können. „Berlin wäre eine Möglichkeit gewesen, doch dort ist es mir etwas zu hektisch, die Stadt eignet sich besser für junge Wilde bis 40, während der Wiener Lebensstil auch meinem spanischen Naturell viel näher liegt. Außerdem ist meine große Liebe auch Österreicherin, war also eine leichte Entscheidung!“ Wobei die Gattin aus Vorarlberg und also eigentlich nicht weit von Juans Heimat, dem Schwabenland, stammt. Womit Amador gleich ein paar weitere Einflüsse aus der Ferne nach Wien mitbringt, neben dem Schwäbischen sind es die andalusischen Gene die seinen Stil prägen. Dazu passt auch sein an einen Torrero erinnerndes Logo, gekrönt wird es vom geschwungenen Horn des iberischen Rindes. Welche auch die Klammer um die baskische und katalanische Kochtradition bilden in welcher sich Juan eingebunden sieht.
„Rind ist ja die bestimmende Fleischsorte in Wien, auch ich genieß gerne immer wieder das klassische Tafelspitz Menü“, erraten, bei Plachutta, “ besonders wenn wir deutsche Freunde zu Gast haben. In meiner Küche verarbeite ich aber meist französisches oder japanisches Rindfleisch. So wie sich ja früher auch Kaiserhaus und Aristokratie das Beste aus aller Herren Länder bringen ließen, was dem Ruf der Wiener Küche natürlich auch nicht geschadet hat!“ Genau so wenig wie Juan Amadors drei Michelin Sterne die er sich in seinem neuen Wiener Restaurant rasch erkocht hat, auch wenn das hier erst mal mit gerümpften Nasen aufgenommen wurde. „Aber nicht von den Kollegen“ versichert er, „wir sind eigentlich alle befreundet, versuchen gemeinsam die Küche in Wien weiterzuentwickeln. Und dass das schon länger hervorragend funktioniert hat war für meine Entscheidung nach Wien zu kommen sicher mit ausschlaggebend!“
Die österreichische Küche war ihm als Schwaben durchaus vertraut, nicht zu Unrecht heißt das diesbezügliche Standardwerk von Katharina Prato aus dem Jahre 1861 „Die Süddeutsche Küche“, dort finden sich unter anderem unzählige Gerichte mit Innereien, die mittlerweile auch in der Haute Cuisine zum Standardreppertoire gehören und manchmal auf Amadors Karte zu finden sind. Auch an den Tafelspitz hat er sich gewagt, natürlich vom Ozaki Beef und mit den originalen jedoch neu interpretierten Beilagen Spinat und Semmelkren serviert, auch aus dem klassischen Gulasch wurde unter Juans Regie ein neu komponiertes Gericht mit Steinbutt. „Und dann habe ich erfahren, dass Wien einst die Schneckenstadt schlechthin war. Das Produkt kannte ich gut aus dem Elsass, gleich hinter der Grenze zu Schwaben. Und hier habe es in der fantastischen von Andreas Gugumuck hergestellten Qualität hier wiederentdeckt!“ Und so finden sich die Wiener Schnecken nun gemeinsam mit Jakobsmuscheln im Sinne der spanischen Mar e Montana Küche und an seine Mannheimer Zeit erinnernd in einem „Laubfrosch“ genannten, die Wiener Küche um ein paar neue Schattierungen bereichernden Gericht wieder.
In dem sich genau so wenig vom Namensgebenden Tier findet wie im falschen Hasen, es handelt sich hierbei vielmehr um eine mit Spinat umwickelte Roulade. Ganz ohne Fleisch kommt die Küche von Paul Ivic aus, ganz im Gegenteil, sein Restaurant Tian gilt als Wiens erste Adresse des fleischlosen Genusses und darf sich als einziges vegetarisches Restaurant Österreichs und nur vieren weltweit mit einem Michelin Stern schmücken. Wobei es dem gebürtigen Tiroler mit kroatischen Wurzeln beileibe nicht nur auf die Abwesenheit von Fleisch ankommt, viel wichtiger ist ihm ein respektvoller Umgang mit Ressourcen und die bewusste Behandlung der Zutaten. Und weil sein Credo „Essen braucht keine Sprache sondern eine Seele“ lautet trägt auch er seinen Teil zur neuen Wiener Küche bei. „Selbst das ach so typische Tiroler Gröstel würde ohne die amerikanische Erdäpfel genau so wenig existieren wie ohne die Zwiebel aus Asien, erst die Migration und das Zusammenfügen neuer Bestandteile macht Speisen interessant, wenn wir uns dagegen sperren würden hätten wir die interessantesten Gerichte nie kennengelernt.“
Und genau das macht eben die Küche einer Großstadt erst interessant, erst recht, wenn sie auch noch als Hauptstadt eines Vielvölkerreichs ständig auch vom Zuzug neuer Lebensmittel geprägt war. „Und als Residenzstadt des Kaisers ist wohl auch das Schnitzel hier gelandet, das in Venedig noch blattvergoldet als Inbegriff der Dekadenz ersonnen und in Wien in Brösel aus alten Semmeln paniert seine Verbreitung erlebte. Nur goldgelb gebacken musste es halt sein.“ Wobei er als wichtigsten Einfluss seiner dalmatischen Herkunft die Art des Speisens sieht, stundenlang in Gesellschaft der Familie am reich gedeckten Tisch miteinander zu genießen, zu diskutieren und zu lachen. Wobei das Geld stets knapp war, die gemeinsame Mahlzeit aber das Wichtigste. Und diese Kultur findet man eben auch eher in Wien mit seiner nonchalanten Art als in Tirol oder Berlin.
Wo er sich auch endgültig von Fleisch aus Massentierhaltung und Fisch aus bedenklichen Gewässern die er wegen des Kostendrucks kaufen musste verabschiedet hat. Als er vor acht Jahren in Wien begann nach Bezugsquellen für unbedenkliche, ökologisch und ethisch produzierte Produkte zu suchen war das noch zeitaufwendig, mittlerweile ist das kein Problem mehr, „gerade auch die vegetarische Küche hat dazu geführt, dass immer mehr Bauern hier wieder mit der Erde statt gegen sie arbeiten.“ Was man auch bei den Paradeisern schmeckt, die er mit Basilikumöl und gefrorenem Champagner zu einer prickelnden Erfrischung kombiniert. „Die Paradeiser kommen, so wie 80% unserer Zutaten aus der Umgebung von Wien und sind völlig natürlich gewachsen. Das heißt, sie haben auch den Stress gehabt, den eine Pflanze auch braucht, um dichten Geschmack entwickeln zu können so wie wir das vom Wein ja auch kennen.“ Und der Champagner bringt dazu „das Laute und Ausgelassene was eine Großstadt wie Wien nun mal auch auszeichnet“.
Wobei Ivic in Sachen vegetarischer Wiener Gerichte dann doch bei den Mehlspeisen landet, die erst recht wieder, auch, aber nicht nur, zugewandert sind. Natürlich aus dem Norden, woher die sprichwörtliche Böhmische Köchin in die bürgerlichen Haushalte geholt wurde, aber auch aus dem Osten, wo der feine Strudelteig seinen Ursprung hat. Womit wir bei seiner Lieblingsspeise angelangt wären, dem Kaiserschmarrn, der luxuriösen Variante eines traditionellen alpinen Pfannengerichts dem sogar ein Eintrag auf der Homepage eines Österreichischen Ministeriums ein Eintrag gewidmet ist. Auch wenn die Legende vom Kaiser, der seiner magersüchtigen Sisi das Gericht schmackhaft machen wollte noch so schön ist, wahrscheinlich geht der Name auf „Schmarrn a casa“ zurück, also schon wieder ein Immigrant.
Genau wie das Gulasch, das für Ivic davor unverzichtbar ist, beides „unbedingt beim Hausmair auf der Lerchenfelderstrasse!“ Wienerischer als in dieser Gastwirtschaft in der ehemaligen Vorstadt am Lerchefeld geht´s nicht, von den Fürstlichen Freilandeiern vom Esterhazy über die königlichen Sulmtaler Hühner bis zum Aderklaaer Spargel vom Stadtrand scheint sich dort die gesamte glorreiche Geschichte der Stadt ein Stelldichein zu geben. Nur beim Wildbrett verlässt sich der Chef lieber auf die eigene Büchse, ganz wie der alte Kaiser. Auch in der Küche ist man historisch sattelfest, das Gulasch ist eben kein Gulyas, die ursprüngliche ungarische Hirtensuppe, “ Nationalgericht der Magyaren, dessen Cardinalwürze der Paprika, von dem ein rechter Ungarmagen einen Theelöffel verträgt, während den deutschen´s brennt wie Höllengluthen“ wie Habs und Rosner in ihrem Appetit-Lexikon 1984 warnen. Sondern ein sämiges, kraftvolles Ragout wie es sich der sozial aufgestiegen Hauptstädter eben verdient hat, gut papriciert, ideal auch um eventuell reichlichen vorhergehenden oder drohenden Alkoholkonsum zu komplementieren und daher zu jeder Uhrzeit in Wien erhältlich.
Am nächsten Morgen gönnt sich der Wiener dann ein Kipferl, das an den Sieg über die Osmanen erinnert und nun als Croissant von den Franzosen für ihres gehalten wird. Und zu Mittag erst eine Serbische Bohnensuppe, dann ein Schnitzerl, als späte Rache an den aufsässigen Mailändern und Venezianern, hinterher vielleicht als Wiedergutmachung ein Gefrorenes von einem der Nachkommen jener 23 Familien aus den Dolomiten, die ab 1870 ihre Familien in den Bergen zurückließen um Wien zur ersten Stadt nördlich der Alpen mit funktionierender Speiseeisversorgung zu machen. Und zum Kaffee gibt´s dann noch eine Torte mit einer Glasur aus jener Schokolade, die der spanische Zweig des Herrscherhauses einst in die alte Welt hat schiffen lassen. Sicherlich, Wien ist nicht mehr Hauptstadt eines Weltreichs, was den Wiener nicht weiter kümmert, so lange er die Genüsse der einstigen Größe nur auf seinem Teller wiederfindet.
Na, Appetit geweckt? ICONIC FOOD hat noch mehr!